Was Apotheker über die Geschlechtsangleichung wissen sollten |
Brigitte M. Gensthaler |
28.06.2021 11:00 Uhr |
Tessa Ganserer ist seit Oktober 2013 Abgeordnete im Bayerischen Landtag für Bündnis 90/Die Grünen und queerpolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion. Sie ist Transfrau. / Foto: Imago Images/Future Image
»Transgender zu sein, lässt sich vergleichen mit der Händigkeit. Man weiß einfach, ob man Links- oder Rechtshänder ist. Mit dem Geschlecht ist es genauso.« Mit diesem einfachen Vergleich beschreibt Kirsten Anschütz, angestellte Apothekerin in der Marien Apotheke Bodenmais, die Situation von Transgender-Personen.
Zur Begriffserklärung: Ein Transmann ist ein Mensch mit biologisch weiblichem Geschlecht, der sich als Mann fühlt und so lebt. Umgekehrt ist eine Transfrau genetisch männlich und hat bei Geburt männliche Geschlechtsmerkmale, ihre Geschlechtsidentität ist jedoch weiblich. Eine Transperson lasse sich in das Männlich-Weiblich-Schema klar einordnen, sei also »binär«, erklärte die Fachapothekerin für Offizinpharmazie in einem online-Seminar der Bayerischen Landesapothekerkammer. Wenn sich Menschen nicht eindeutig als Mann oder Frau empfinden, sind sie »nicht binär« oder »divers«.
Anders ist es beim intersexuellen Geschlecht: Hier sind die Körpermerkmale bei Geburt nicht eindeutig. Die Kinder habe man früher meistens umoperiert zum Mädchen, berichtete Anschütz. In Deutschland ist es seit Mai 2021 gesetzlich nicht mehr erlaubt, intersexuelle Kinder vor dem 14. Lebensjahr zu operieren. Sie sollen sich erst einmal entwickeln können.
Das Körperbewusstsein könne schon im Kindesalter so ausgeprägt sein, dass sich das Kind im falschen Geschlecht fühlt. Manche Menschen verstünden aber erst in der Pubertät oder im Erwachsenenalter, was »nicht stimmt«.
Wie viele Transpersonen in Deutschland leben, ist unbekannt. Man gehe davon aus, dass etwa 0,5 Prozent der Bevölkerung mit abweichender Geschlechtsidentität leben, aber nicht jeder von ihnen oute sich offen. »Vermutlich kennen Sie transidente Menschen, ohne es zu wissen«, sagte Anschütz. Etwa sechs typische Medikamente könnten in der Apotheke darauf hinweisen, dass eine Person auf dem Weg der Geschlechtsangleichung (Transition) ist oder transident lebt.
Sehr wichtig für den/die Betroffenen sei das »Passing«, also die Entsprechung des Aussehens mit dem gefühlten Geschlecht. Von der Optik her sei es einfacher, wenn ein weiblicher Körper männlich aussieht, denn kurze Haare und (kurze) Hosen sind gesellschaftlich akzeptiert. Viel auffälliger sei es, wenn ein bärtiger Mann einen Rock trägt.
Anschütz nannte es einen schweren Faux-pas, eine Person mit dem falschen Geschlecht anzusprechen («misgendern«). »Ein Transmann ist ein Mann. Eine Transfrau ist eine Frau. Fragen Sie in der Apotheke lieber nach, wie jemand angesprochen werden möchte, wenn Sie unsicher sind.« Ebenso spreche man nicht von »Geschlechtsumwandlung«, denn eine transidente Person werde nicht »umgewandelt« in eine andere.
Transidente Menschen hätten oft einen langen Leidensweg hinter sich, aber ein starkes inneres Bedürfnis, im gefühlten Geschlecht zu leben. »Sie brauchen Hilfe in der Apotheke. Trans zu sein, ist keine spontane Entscheidung.« Sind die hohen rechtlichen Hürden genommen und die schwierige Kostenübernahme mit den Krankenkassen geklärt, kann die Angleichung beginnen, die medikamentös und chirurgisch erfolgen kann. In der S3-Leitlinie zur »Diagnostik, Beratung und Behandlung im Kontext von Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit« (Stand 2019; AWMF Reg. Nr. 138 – 001) werden die sogenannten körpermodifizierenden Behandlungen ausführlich vorgestellt.
Bei der Angleichung von Mann zu Frau wird vor der Orchiektomie (Entfernung der Hoden) Cyproteronacetat (zum Beispiel Androcur® als Testosteronblocker) plus Estradiol (oral oder dermal) eingesetzt. Ziel ist es, den physiologischen Blutspiegel einer Frau zu erreichen. »Es geht um die niedrigste Dosis, mit der sich die Frau wohlfühlt.« Nach der Orchiektomie braucht die Transfrau keine Androgenblocker mehr.
Unter dem Hormonblocker wächst die Körperbehaarung langsamer, Haare und Haut werden feiner. Das Fettgewebe nimmt zu und der Körper wird weiblicher. Während die Hoden schrumpfen, werden die Brustwarzen größer und sensibler.
Ein großes Problem bei Transfrauen, die nach der Pubertät mit der Hormonbehandlung beginnen, sei der Bartwuchs, erklärte die Apothekerin. Da dieser genetisch bedingt und wenig Testosteron-abhängig ist, wachsen die Barthaare trotz Hormonblockade weiter, sodass regelmäßige Rasur oder eine Epilation nötig sind. »Viele Transfrauen leiden zudem an Haarausfall und tragen Perücke.« Die männliche Stimmlage sei nur durch Logopädie oder eine Kehlkopfoperation zu verweiblichen.
Ältere Transfrauen können die Estrogentherapie absetzen und kommen dann in die Wechseljahre.
Bei der Anpassung von Frau zu Mann wird nur Testosteron gegeben: als Injektion (Depotbildung über vier bis zehn Wochen) oder dermal (täglich). »Ziel ist es, die physiologischen Blutspiegel eines Cis-Mannes zu erreichen.« Unter der Hormontherapie nehmen Körperbehaarung und oft der Bartwuchs («für Transmänner sehr wichtig«) zu, aber das Kopfhaar werde schütter. Es kommt zum Stimmbruch, die Fettverteilung verlagert sich von Hüfte zur Taille. Der Habitus wird kantiger und die Aggressionsschwelle steigt. Die wachsende Klitoris werde mitunter zum Aufbau eines Penoids genutzt.
Die Testosteron-Wirkung auf die Stimme sei unterschiedlich. Bei manchen verändere sie sich nicht, bei manchen langsam über Monate, bei manchen sehr schnell.
Mitunter fühlen schon sehr kleine Kinder, dass sie »im falschen Geschlecht« leben. »Der erste Peak des Outings kann im Kindergarten passieren«, berichtete Anschütz.
Um den Kindern das Durchleben der »falschen« Pubertät zu ersparen, werden GnRH-Analoga wie Leuprorelin oder Triptorelin als Pubertätsblocker eingesetzt. Der Effekt ist reversibel: Setzt man die Medikation ab, kommen die Kinder in die Pubertät.
Ab 16, manchmal schon ab 14 Jahren könne man mit der Hormonersatztherapie (HET) beginnen. Allerdings werden Menschen beim direkten Übergang von Pubertätsblockern zur HET nicht mehr fertil und bleiben eher klein. »Aber die Ergebnisse sind hier am besten, weil der Körper nie die quasi falsche Entwicklung durchlebt hat«, erklärte die Expertin.
Nahezu alle transidenten Menschen leiden an einer Dysphorie, also einem starken Unwohlsein durch die Geschlechtsinkongruenz. »Sie sagen von sich: weil alles an mir nicht passt«, so Anschütz. Daher sei eine psychiatrische Comedikation mit Antidepressiva oder Anxiolytika häufig. Die Suizidalität scheine höher zu sein als in der Restbevölkerung.
Die Hormontherapie muss vom Endokrinologen engmaschig begleitet werden, unter anderem wegen möglicher Folgen auf Blutbild, Herz-Kreislauf-System und Knochengesundheit. Risikofaktoren sind Zigarettenkonsum und Übergewicht. Insgesamt sei die Langzeithormongabe aber risikoarm. Anschütz: »Man muss immer abwägen zwischen den Langzeitfolgen einer Hormontherapie und einer Dysphorie. Viele Transpersonen entscheiden sich auch in Extremsituationen für die Hormone.«