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Prävention 

Warum Impfen im Alter so wichtig ist

Die Coronapandemie hat der Impfwilligkeit hierzulande einen Bärendienst erwiesen. Nach einem kurzen Zwischenhoch sind die Quoten bei allen Impfungen niedriger denn je, selbst bei den klassischen »Herbst-Injektionen«. Dabei bieten Impfungen gerade im Alter besonderen Schutz vor Komplikationen. 
Elke Wolf
11.03.2025  07:00 Uhr

»Die empfohlenen Impfungen für Erwachsene ab 60 Jahren werden häufig nicht in Anspruch genommen. Demzufolge ist der Schutz unzureichend«, informiert das Robert-Koch-Institut im Epidemiologischen Bulletin 50/2024 . In der Tat: Nur 16 Prozent ließen sich in der Saison 2023/24 gegen Covid-19 immunisieren. Und die Quote gegen Influenza fiel von einst 51 Prozent auf zuletzt nur noch 38 Prozent, unterbrochen von einem vorübergehenden Anstieg in der Saison 2020/21 auf 48 Prozent.

»Es muss mehr Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass vermeintliche Atemwegsinfektionen zu Komplikationen führen können. Wir wissen mittlerweile, dass Impfungen vor allen Dingen auch die Folgekomplikationen am vaskulären System - also Herzinfarkte, Schlaganfälle, Thrombosen - deutlich reduzieren können«, sagt Dr. Ulrich Enzel, als Mediziner seit Jahren in der Impfaufklärung engagiert, im Gespräch mit der PZ.

Aufgrund ihrer Gefäßbeteiligung erhöhen sowohl eine Influenza- als auch Covid-19-Infektionen massiv das Risiko, während der Erkrankung einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bekommen, und das vor allem bei älteren Erwachsenen. Wie hat man sich das pathophysiologisch vorzustellen? »Grundproblem bei älteren Personen sind Entzündungen der Intima. Die Kompensationsmechanismen sind bei mit Plaques belegten Arterien eingeschränkt. Wird durch die Virusinfektion die Innenwand zusätzlich geschädigt, kommt es zu Plaquesrupturen. Die Mikrozirkulation ist dann nicht mehr gegeben«, erklärt Enzel, Apothekerinnen und Apothekern von zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen bekannt. Durch Impfungen senke man das Herzinfarkt- und Apoplexrisiko etwa um ein Drittel, haben große Studien ergeben.

Die nachlassende Immunkompetenz ist dagegen der Hauptgrund, warum sich ältere Erwachsene gegen Infektionen mit den Respiratorischen Synzytial- und Varizella-zoster-Viren impfen lassen sollten. Mit dem Alter steigt aufgrund der Immunoseneszenz das Risiko für eine Erkrankung generell sowie für einen schweren Verlauf oder Komplikationen. Im Unterschied zu anderen »Senioren-Impfungen« empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) die Vakzinierung gegen RSV erst ab 75 Jahren, solange Herz-Kreislauf-Erkrankungen, solche der Atemwege oder Diabetes medikamentös gut eingestellt sind.

Gürtelrose im Griff

Nach den Empfehlungen der STIKO sollen sich Personen ab 60 Jahren zweimalig mit dem adjuvantierten Totimpfstoff Shingrix® im Abstand von zwei bis sechs Monaten impfen lassen. Liegt eine chronische Grunderkrankung vor, etwa Asthma, Diabetes mellitus oder auch eine Depression, gilt die STIKO-Empfehlung bereits ab 50 Jahren. In Studien schützte der Impfstoff in mehr als 90 Prozent der Fälle vor einer Gürtelrose. Der Impfschutz bleibt mindestens 11 Jahre stabil.

»In Deutschland gibt es jährlich rund 400.000 Fälle von Gürtelrose, jeder zweite Ungeimpfte jenseits der 50 erlebt eine Episode«, führt Enzel aus. Der Benefit der Impfung liege vor allem in der Verhinderung der Komplikationen, die eine Infektion nach sich zieht: etwa Sehstörungen durch einen Befall der Augen (Zoster ophthalmicus) oder eine Post-zoster-Neuralgie, bei der die Schmerzen über Monate bis Jahre bestehen bleiben können. »Über 90 Prozent der Herpes-zoster-Patienten haben Schmerzen, die die Aktivitäten des täglichen Lebens beeinträchtigen.« Das habe Auswirkungen auf Schlaf, Stimmung, Aktivitäten und letztlich die Freude am Leben.

Die Impfraten sind äußerst bescheiden. Daten des RKI zufolge lag die Impfrate von 2019 bis 2022 bei der ersten Impfung bei 11,5 Prozent, für die zweite Impfung nur bei 7,7 Prozent.

Unberechenbare Kokken

Die für Enzel am meisten unterschätzte Atemwegserkrankung für ältere Personen ist die Infektion mit Pneumokokken. »Wir wissen immer noch nicht, warum es einerseits so viele stille Pneumokokken-Träger gibt und warum die Bakterien andererseits bei einigen so bedrohliche Krankheitsbilder hervorrufen können.« Was klar ist: Treffen die Bakterienstämme auf einen bereits mit Influenza Typ A infizierten Organismus, verhalten sie sich deutlich aggressiver.

Die STIKO hat sich »endlich dazu durchgerungen, geradezu radikal geänderte Empfehlungen« abzugeben. So wird nun die Verwendung des 20-valenten Konjugatimpfstoffs (PCV20, Prevenar® 20) als Standardimpfung bei allen ab 60 Jahren nahegelegt. Als Indikationsimpfung soll sie zudem bei Menschen mit speziellen Vorerkrankungen oder mit Immunschwäche zum Einsatz kommen. Ob eine Wiederholungsimpfung notwendig wird, ist bislang unklar.

Um die Impfraten zu verbessern, hält es der Mediziner für sinnvoll, die Pneumokokken-Immunisierung verstärkt auch in der Reisemedizin zu etablieren. »Pneumokokken sind das häufigste auf Reisen erworbene Mitbringsel, das zu schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen führt – weit mehr als Cholera, Typhus und Co. zusammengenommen. Die Durchseuchungsraten mit polyresistenten Varianten sind auch im europäischen Ausland wie Griechenland, Italien, Rumänien, Polen oder Portugal deutlich höher als hierzulande.«

Vertane Krebsprävention

Dass die STIKO-Empfehlung bezüglich der Impfung gegen Humane Papillomaviren (HPV) auf die Altersgruppe 9 bis 17 Jahre begrenzt ist, kann der Mediziner nur bedingt nachvollziehen. »Dies auch weil der erste Gipfel von Neuinfektionen mit kanzerogenen HPV-Viren zwischen 20 und 27 Jahren und ein zweiter - wie bei anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen - zwischen 45 und 55 Jahren liegt.«

Schließlich könnten sich Frauen wie Männer lebenslang immer wieder neu mit HPV-Viren anstecken. Eine durchgemachte Infektion hinterlasse im Gegensatz zur Impfung oft keinen anhaltenden Schutz. »Und wenn, dann nur gegen den aktuell ‘durchgemachten‘ HPV-Serotypus«, wie Enzel erklärt. Die STIKO führt dazu aus: »Frauen und Männer, die älter als 17 Jahre sind und keine Impfung gegen HPV erhalten haben, können ebenfalls von einer Impfung gegen HPV profitieren, jedoch ist die Wirksamkeit der Impfung bei nicht HPV-naiven Personen reduziert.«

Enzel weist darauf hin, dass eine Hochrisikogruppe in jedem Lebensalter gezielt auf diese Impfung angesprochen werden sollte: nämlich Personen, bei denen eine erstgradig Verwandte an einer HPV-induzierten (Prä-)Kanzerose mit zervikalen intraepithelialen Neoplasien (CIN) erkrankt war. Selbst wenn Angehörige dieser Gruppe bereits mit einem zweivalenten Impfstoff geimpft wurden, sollte auch jenseits des 14. Lebensjahres dreimal mit dem neunvalenten Impfstoff Gardasil® 9 ein Schutz aufgebaut werden. Viele Krankenkassen übernehmen die Kosten als freiwillige Satzungsleistung.

Der Mediziner bezeichnet es als großes Versäumnis, dass Jungen die HPV-Impfung erst zehn Jahre nach den Mädchen, nämlich erst seit 2018, empfohlen wurde. Mittlerweile ist nicht nur der Zusammenhang einer HPV-Infektion mit Gebärmutterhalskrebs nachgewiesen, sondern auch mit Tumoren für den an die Mundhöhle angrenzenden Teil des Rachens (Oropharynx) und den Anogenitalbereich.

Aktuelle Daten zeugen davon, dass HPV durchaus ein Krebsvorsorgethema auch für Männer ist. Anlässlich des Weltkrebstages Anfang Februar teilte das Robert-Koch-Institut mit, dass etwa 1900 Männer pro Jahr ein Oropharynxkarzinom aufgrund einer HPV-Infektion und 1000 Männer Tumoren an Anus oder Penis entwickeln.

Die Umsetzung der Impfempfehlung läuft indes nur schleppend: Im Jahr 2023 waren gerade einmal 34 Prozent der 15-jährigen Jungen und 55 Prozent der 15-jährigen Mädchen vollständig geimpft. Anders sieht es in Ländern wie Australien, Norwegen oder Großbritannien aus, wo eine Impfquote von nahezu 90 Prozent erreicht wird. »Diese ist nötig, um das WHO-Ziel zu erreichen, HPV bis 2030 zu eradizieren«, gibt Enzel zu bedenken.

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