Warum Frauen öfter betroffen sind |
Theo Dingermann |
07.02.2024 13:30 Uhr |
Frauen haben normalerweise zwei X-Chromosomen in jeder Zelle, von denen eines bereits während der Embryonalentwicklung stummgeschaltet wird. Das macht sie anfälliger für Autoimmunerkrankungen. / Foto: Getty Images/anusorn nakdee
Von Autoimmunerkrankungen sind Frauen viel häufiger betroffen als Männer: Von fünf Menschen, die an einer Autoimmunerkrankung leiden, trifft es viermal Frauen. Da ist es offensichtlich, dass das kein Zufall sein kann. Hatte man bisher das unterschiedliche Hormonspektrum von Mann und Frau als einen möglichen Grund in Betracht gezogen, weiß man es seit einigen Tagen genauer.
Dass die Theorie mit den Hormonen auf wackeligen Füßen stand, war zum Beispiel daran ersichtlich, dass Menschen mit Klinefelter-Syndrom, die in ihren Zellen zwei X-Chromosomen plus ein Y-Chromosom (XXY) besitzen, ebenso wie gesunde Frauen ein erhöhtes Risiko für Autoimmunerkrankungen aufweisen, obwohl sie phänotypisch männlich sind und auch ein männliches Hormonmuster ausbilden. Diese Tatsache ließ Forschende aus den USA, Schweden und der Schweiz spekulieren, ob eventuell die X-Chromosomen-Dosis für das erhöhte Risiko für Autoimmunerkrankungen verantwortlich sein könnte. Dass sie mit dieser Hypothese nicht falsch lag, zeigt die Gruppe jetzt in einer Publikation in der Fachzeitschrift »Cell«. Sie identifizierte einen Ribonukleoproteinkomplex (RNP), der offensichtlich für die bevorzugte Ausprägung von Autoimmunerkrankungen bei Frauen mitverantwortlich ist.
Bekanntlich ist bei Frauen jeweils nur eines der beiden X-Chromosome in einer Zelle aktiv. Inaktiviert wird eines der beiden X-Chromsome während der Embryonalentwicklung. Maßgeblich beteiligt an diesem Prozess ist ein langes RNA-Molekül mit der Bezeichnung »Xist«, das von den X-Chromosomen selbst erzeugt wird, sobald zwei davon in einer Zelle präsent sind.
Zusammen mit Dutzenden von Proteinen bildet Xist einen Ribonukleoproteinkomplex (RNP), der an eines der beiden X-Chromosomen andockt und so das aktive Ablesen der Gene auf diesem Chromosom blockiert. Dieser Komplex wird nun auch dafür verantwortlich gemacht, dass das Immunsystem bei Frauen immer wieder überreagiert.
Die Forschenden untersuchten diesen Komplex in transgenen männlichen Mäusen, auch um störende Hormonmuster zu vermeiden. Die transgenen Tiere waren mit einem induzierbaren Xist-RNP ausgestattet, der so angepasst war, dass für die Mäusemännchen lebensnotwendige Gene auf deren X-Chromosom nicht blockiert wurden.
Wurde die Expression dieses Komplexes durch die Zugabe von Doxycyclin im Futter der Tiere unter Bedingungen induziert, unter denen experimentell die Autoimmunerkrankung systemischer Lupus erythematodes (SLE) entstehen kann, führte dies bei männlichen Tieren, die ansonsten schlecht auf das SLE-Modell ansprechen, zu Autoantikörpern und zu einer Autoimmunpathologie. Auch wurden T- und B-Zellpopulationen der männlichen Tiere auf frauenähnliche Muster umprogrammiert und es ließen sich Autoantikörper gegen den Xist-RNP-Komplex nachweisen, die für weiblich geprägte Autoimmunkrankheiten charakteristisch sind.
Die Krankheitsraten der transgenen männlichen Tiere entsprachen denjenigen, die für weiblich geprägte Autoimmunkrankheiten charakteristisch sind. Kontrolltiere, die nicht mit dem induzierbaren Xist-RNP ausgestattet waren, erkrankten dagegen nicht.
Beim Menschen scheint der Xist-RNP eine ganz ähnliche Rolle zu spielen wie in dem Tiermodell. Denn auch bei Patientinnen mit SLE entdeckten die Forschenden Autoantikörper und Immunzellen, die gegen den Xist-RNP gerichtet waren.
Zu einer Autoimmunerkrankung kommt es jedoch nur bei Menschen, die bestimmte genetische Veranlagungen haben. Diese Ergebnisse können sich als richtungsweisend herausstellen. Denn nun gibt es eine potenzielle neue Zielstruktur, gegen die Wirkstoffe entwickelt werden können.