Warum Frauen deutlich häufiger erkranken |
Brigitte M. Gensthaler |
08.03.2023 09:00 Uhr |
Frauen erkranken häufiger als Männer an einer Alzheimer-Demenz. Körperliche und geistige Aktivität sowie soziale Kontakte tragen viel zur Vorbeugung bei. / Foto: AFI/Nottebrock
Der größte Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit ist das Alter, aber Altern führt nicht zwangsläufig zur Demenz. Es müssen angeborene, zum Beispiel eine genetische Disposition, und erworbene Risikofaktoren wie kardiovaskuläre Erkrankungen hinzukommen. Weibliches Geschlecht gehört zu den angeborenen Risikofaktoren.
Lange hatte man vermutet, dass Frauen häufiger an Alzheimer erkranken als Männer, weil sie länger leben. Heute weiß man, dass ihre Erkrankungswahrscheinlichkeit generell höher ist. Als wichtigste Ursache dafür gilt der weibliche Hormonhaushalt, wobei die Zusammenhänge noch nicht exakt erforscht sind, informiert die Alzheimer Forschung Initiative (AFI) anlässlich des Weltfrauentags am 8. März.
Eine zentrale Rolle spielen die Estrogene. Diese sind entscheidend am Hirnstoffwechsel und an kognitiven Prozessen wie Denken, Erinnern, Orientieren und Sprechen beteiligt. In einem 2022 im Fachblatt »Gynäkologische Endokrinologie« veröffentlichten Übersichtsartikel (DOI: /10.1007/s10304-022-00445-7) weisen die Gynäkologinnen Dr. Sabrina Baumgartner, Universitätsspital Zürich, und Professor Dr. Petra Stute, Universitätsfrauenklinik in Bern, auf die nachgewiesenen neuroprotektiven Effekte der Estrogene hin: Verbesserung des zerebralen Blutflusses und des Glucosemetabolismus, Unterstützung des neuronalen Wachstums, Reduktion neuroinflammatorischer Prozesse durch antioxidative Wirkungen (verminderte Plaquebildung und β‑Amyloid-Akkumulation) sowie Verbesserung der cholinergen Neurotransmission. Das cholinerge System wiederum ist an der Regulation des Gedächtnisses und des Lernens wesentlich beteiligt.
In den Wechseljahren sinkt der Estrogenspiegel, was die Energieversorgung und den Schutz der Nervenzellen beeinträchtigen kann. Eine mögliche Folge sind kurzfristige kognitive Beschwerden wie Gedächtnisprobleme, Vergesslichkeit und Verwirrtheit. Mittelfristig könnten die hormonellen Veränderungen zur Entstehung von Alzheimer beitragen, schreibt die AFI.
Wichtig ist auch die Länge der Reproduktionsphase von Frauen, also der Zeitraum zwischen der ersten Periode (Menarche) und der Menopause. Frauen, die »nur« 21 bis 34 Jahre fruchtbar waren, hatten ein um 26 Prozent höheres Demenzrisiko als Frauen mit einer reproduktiven Phase von 39 bis 44 Jahren, ergab eine Studie der US-Krankenversicherung Kaiser Permanente, die 2019 im Fachmagazin »Neurology« veröffentlicht wurde (DOI: 10.1212/WNL.0000000000007326). Auch die Entfernung der Gebärmutter (Hysterektomie) erhöhte demnach das Demenzrisiko.
Umstritten ist, ob eine menopausale Hormonersatztherapie (HRT) das Alzheimer-Risiko senken kann. Dem gingen Baumgartner und Stute in ihrem Review nach. Sie fanden zwei 2020 publizierte Metaanalysen, in denen eine Hormontherapie in den Wechseljahren das Risiko einer Demenz/Alzheimer-Erkrankung um etwa 11 Prozent beziehungsweise 33 Prozent reduzierte. Vermutlich gebe es ein kritisches Zeitfenster (»window of opportunity«), wonach ein früher Therapiebeginn in der Peri- oder frühen Postmenopause günstig sein könnte. Andere Arbeiten konnten keinen zeitlichen Zusammenhang feststellen. Eine späte Hormontherapie könnte das Risiko eventuell sogar erhöhen. »Ob es ein günstiges Zeitfenster für die HRT gibt, müssen zukünftige wissenschaftliche Arbeiten klären«, schlussfolgern die Gynäkologinnen.
Verbessert eine Hormontherapie die Kognition bei bereits diagnostizierter Demenz? Die Antwort der Autorinnen: »wahrscheinlich nein«.
In der S3-Leitlinie »Peri- und Postmenopause – Diagnostik und Interventionen« (Stand 2020) heißt es: »Frauen in der Peri- und Postmenopause sollen darüber beraten werden, dass es unklar ist, ob eine HRT vor dem 65. Lebensjahr das Demenzrisiko beeinflusst.« Es gebe keine Daten mit starker Evidenz für ein erhöhtes Demenzrisiko oder Vorteile einer peri- oder postmenopausalen HRT vor dem 65. Lebensjahr.
Die AFI weist zum Weltfrauentag auch auf die allgemeinen Risikofaktoren für eine Alzheimer-Erkrankung hin. Dazu zählen Depressionen, Diabetes, Fettleibigkeit, Schädel-Hirn-Traumata, Infektionen und chronische Entzündungen. Diese Erkrankungen scheinen sich bei Frauen stärker auf den kognitiven Verfall auszuwirken als bei Männern, schreibt die Gesellschaft. Wahrscheinlich könnten Frauen daher noch stärker von einem gesunden Lebensstil profitieren als Männer.