| Alexandra Amanatidou |
| 30.05.2025 14:30 Uhr |
So kämpft eine englische Stadt gegen das überlastete Krankenhaussystem. / © Imago/NurPhoto
In der neuen arte-Doku »Re: Erste Hilfe für das britische Gesundheitssystem«, die in der ZDF-Mediathek abrufbar ist, wird das städtische Zentrum für Gesundheitsversorgung in Luton ins Visier genommen. Vor zwei Jahren startete in der Stadt nördlich von London ein neues Behandlungsmodell, bei dem Menschen zu Hause statt im Krankenhaus versorgt werden.
Patient Colin liegt auf dem Flur und kann nicht aufstehen. Er ist zum zweiten Mal zusammengebrochen. Anstatt eines Krankenwagens kommt ein mobiles Ärzteteam mit einem ausgestatteten Koffer zu ihm. Die Ärztin misst seinen Blutdruck, dann benutzen sie einen automatischen Hebestuhl, um ihn aufzurichten. Sie und eine Pflegerin helfen ihm, in seine Wohnung zu gehen. Sein Zustand ist nicht stabil. Die Ärztin will später noch einmal vorbeischauen.
Laut der Doku sind die Teams 9 bis 12 Stunden unterwegs und jedes Team schafft es, acht Patienten pro Tag zu pflegen. Eine Maßnahme, die für das Krankenhaus günstiger sei. Denn ein Krankenhausbett koste das Krankenhaus pro Nacht 1700 Pfund, umgerechnet 2026 Euro, so der Teamleiter des mobilen Ärzteteams gegenüber dem Sender.
Und Krankenhausbetten sind in Großbritannien ein seltenes Gut. Laut der neuesten Statistik der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2022 stehen in Deutschland pro 1000 Einwohner, 7,8 Krankenhausbetten zur Verfügung. In England sind es nur 2,4.
»Es ist sehr frustrierend. Mir fehlen manchmal die Worte, wie ungeeignet unser Gesundheitssystem und unsere Krankenhäuser für ältere Menschen sind. Und das, obwohl wir wissen, dass die Zahl älterer Menschen zunimmt«, so eine Ärztin der mobilen Krankenhausteams.
In der Dokumentation berichten Patienten und Angehörige von katastrophalen Zuständen: Patienten würden alleine gelassen, seien mit Essensresten beschmiert und lägen in blutigen Bettlaken, da es keine sauberen mehr gebe.
Auch ein im Januar veröffentlichter 460 Seiten langer Bericht des Royal College of Nursing (RCN), der größten Gewerkschaft und Berufskörperschaft für Pflegeberufe in England, nennt Beispiele, die das Ausmaß des Pflegenotstands in Krankenhäusern in ganz Großbritannien zeigen. Laut dem Report sterben Patienten auf den Fluren und bleiben manchmal stundenlang unentdeckt vom Krankenhauspersonal.
Fast sieben von zehn Pflegekräften (66,81 Prozent) geben an, dass sie täglich in überfüllten oder ungeeigneten Räumen – wie Fluren, umgebauten Schränken und sogar Parkplätzen – Pflege leisten müssten. Im Südwesten Englands sagte eine Krankenschwester: »Es handelte sich um eine Krebspatientin, deren Immunsystem aufgrund ihrer Behandlung sehr eingeschränkt war. Sie hätte in einem Nebenraum untergebracht werden müssen. Sie war sehr aufgebracht und weinte. Wir haben sie mit Paravents abgeschirmt, aber sie stand im Weg zum Personalraum und zur Toilette, sodass ständig etwas los war. Die arme Frau ist schließlich verstorben.«. Eine andere Krankenschwester aus dem Südosten berichtete: »Ein Patient ist auf dem Flur gestorben und wurde aber erst nach Stunden entdeckt.«
Die Situation frustriere nicht nur die Patientinnen und Patienten, sondern auch die Mitarbeitenden des Krankenhauses, wie die Doku berichtet. Deshalb gibt es in der britischen Stadt Luton neben einem mobilen Krankenhausteam auch andere kreative Methoden, um Patienten zu versorgen. So sitzt ein Notarzt in der Telefonzentrale und entscheidet per Ferndiagnose, ob die Sanitäter die Patienten ins Krankenhaus bringen sollen oder nicht. Er berichtet gegenüber dem Sender von Wartezeiten von bis zu 12 Stunden.
Auch eine Rettungssanitäterin hat eine ungewöhnliche Aufgabe: Sie muss Menschen, die den Krankenwagen gerufen haben, davon überzeugen, dass sie besser zu Hause auf das mobile Ärzteteam warten sollen. Denn viele rufen aus Verzweiflung den Notruf an, weil Hausärzte überlastet seien. »Im Januar konnten wir 300 Rettungseinsätze einsparen, indem wir unsere mobilen Teams geschickt haben. Allein gestern 24 Mal«, sagt die Rettungssanitäterin.
Dazu gehört auch Patient Colin, den die Ärztin ein paar Stunden später ein zweites Mal besucht. Sein Blutdruck ist wieder gesunken. Der Patient wird in den nächsten Tagen überwacht und die Ärztin wird entscheiden, wie es weitergeht. Doch für den Moment kann er die Nacht in seiner Wohnung alleine verbringen.