Warum dieser Trend so gefährlich ist |
Kerstin A. Gräfe |
14.02.2025 16:20 Uhr |
Apotheker sollten derzeit besonders wachsam sein, wenn Jugendliche nach Paracetamol verlangen. Die Abgabe an Minderjährige ist wie bei jedem Medikament immer eine Einzelfallentscheidung. / © Getty Images/Marc Calleja Lopez
Soziale Netzwerke sind zunehmend Plattformen für riskante Challenges. Die meisten Trends stammen ursprünglich aus den USA, schwappen aber oft peu à peu nach Europa über. So gab es beispielweise auch in Deutschland im Jahr 2023 die »Hot Chip-Challenge«: Ziel war, einen Tortilla-Chip mit einem extrem scharfen Gewürz zu essen und dann so lange wie möglich durchzuhalten, ohne die Schärfe durch Milch oder ähnliches zu neutralisieren. Zur Überprüfung der Durchhaltezeit wurden teilweise Timer eingesetzt. In Deutschland führte dies zu mehreren Krankenhausfällen – in den USA starb ein junger Mann.
Bei der möglicherweise derzeit aktuellen »Paracetamol-Challenge« geht es um den Schmerzmittel-Klassiker. Jugendliche sollen sich gegenseitig auffordern, möglichst hohe Dosen Paracetamol einzunehmen und die Einnahme in sozialen Medien zu dokumentieren. Groteskes Ziel der Challenge ist, eine toxische Dosis zu überleben.
Auch wenn es derzeit Zweifel an der tatsächlichen Existenz dieser Challenge gibt, ist es wichtig, über die potenziellen Gefahren des Missbrauchs von Medikamenten wie Paracetamol informiert zu sein. So warnen in diesem Zusammenhang auch Pharma Deutschland und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: »Paracetamol ist ein sicheres und gut verträgliches Schmerzmittel – bei ordnungsgemäßer Dosierung. Wenn diese mutwillig um ein Vielfaches überschritten wird, kann dies die Leber irreparabel schädigen oder zum Tod führen«, so die beiden Organisationen.
Eine Paracetamol-Vergiftung führt zunächst nur zu unspezifischen Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen im Oberbauch. Die Patienten können in den ersten 24 bis 48 Stunden symptomfrei sein. Erst danach entwickeln sich Zeichen eines akuten Leberversagens.
Der schleichende Verlauf ist der geringen Geschwindigkeit der Stoffwechselprozesse geschuldet: Paracetamol wird in der Leber hauptsächlich über die Konjugation mit Glucuronsäure und Schwefelsäure metabolisiert und über den Harn ausgeschieden. Ein geringer Teil wird über CYP2E1 zu N-Acetyl-p-benzochinonimin (NAPQI) metabolisiert – ein hochreaktiver toxischer Metabolit.
Metabolismus von Paracetamol / © Uni Frankfurt/Steinhilber
NAPQI wird bei therapeutischen Dosierungen von Paracetamol rasch an Glutathion oder andere SH-Gruppen-tragende Verbindungen gebunden und somit unmittelbar inaktiviert. Bei einer Überdosierung ist jedoch aufgrund eines relativen Glutathion-Mangels die Kapazität der Leber erschöpft, sodass der toxische Metabolit kumuliert und zu irreversiblen Leberzellnekrosen führt.
Zur Behandlung einer Paracetamol-Vergiftung steht das Antidot Acetylcystein als SH-Gruppen-Donator zur Verfügung. Die Substanz ist am effektivsten, wenn sie innerhalb von acht Stunden nach der Paracetamol-Einnahme gegeben wird. Nach 24 Stunden ist der Vorteil des Antidots fragwürdig, es sollte aber noch gegeben werden.
Apotheken sollten derzeit besonders wachsam sein, wenn Jugendliche nach Paracetamol verlangen. Rechtlich gesehen ist die Entscheidung für oder gegen eine Abgabe eines Arzneimittels an Minderjährige anhand von verschiedenen Kriterien im Einzelfall zu treffen. Tipps gibt die Arbeitshilfe der Bundesapothekerkammer (BAK) »Hinweise zur Abgabe von Arzneimitteln an Minderjährige«.
Demnach fällt der Kauf von Arzneimitteln unter das Zivilrecht (§ 104 ff BGB). Minderjährige im Alter von sieben bis 17 Jahren gelten als beschränkt geschäftsfähig. Ihre Willenserklärungen können wirksam sein oder werden, wenn die Eltern diesen zustimmen oder sie nachträglich genehmigen. Im Einzelfall können Verträge auch dann wirksam sein, wenn Minderjährige mit eigenem Geld bezahlen (Taschengeldparagraf, § 110 BGB), wobei dies im Einzelfall umstritten ist.
Die BAK empfiehlt, das OTC-Arzneimittel Paracetamol an Jugendliche unter 14 Jahren, die es für sich selbst kaufen wollen, nicht ohne Einverständnis der Eltern abzugeben. Bei älteren Jugendlichen sollte abgewogen werden, die Eltern zu informieren oder das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen zu respektieren. Grundsätzlich sei es empfehlenswert, die Sorgeberechtigten mit Einverständnis des Jugendlichen einzubeziehen, so die BAK.
Entscheidend für oder gegen eine Abgabe ist die Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten im Einzelfall. Für eine Abgabe spricht, dass der Minderjährige über die kognitiven Fähigkeiten verfügt, die Beratung über die Einnahme des Arzneimittels sowie eventuelle Risiken und Nebenwirkungen zu verstehen und umzusetzen.
Falls das Apothekenteam Bedenken hat, dass der Minderjährige die Hinweise zur Anwendung des Arzneimittels nicht verstanden hat und umsetzen kann, wird das Arzneimittel nicht abgeben. Alternativ kann das Apothekenteam telefonisch mit den Eltern Rücksprache halten und nach abschließender individueller Einschätzung das Arzneimittel abgeben oder nicht. Bei Verdacht auf Missbrauch muss die Abgabe des Arzneimittels per se verweigert werden.