Warum Brustkrebs-Früherkennung neu gedacht werden muss |
Melanie Höhn |
14.10.2025 09:00 Uhr |
Jessica Gummersbach (Tagesspiegel-Redakteurin und Moderatorin), Sabine Weissinger (Gilead Sciences), Lina Seitzl (SPD-Bundestagsabgeordnete), Elke Naujokat (Bundesverband Frauenselbsthilfe Krebs) und Professor Dr. Christiane Kuhl (RWTH Aachen) (von links). / © PZ/Melanie Höhn
Mit mehr als 70.500 jährlichen Neuerkrankungen ist Brustkrebs die mit Abstand häufigste Krebserkrankung bei Frauen. »Etwa jede achte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Und das betrifft nicht nur die Patientinnen selbst, sondern auch Partner, Kinder, Freunde und Kollegen«, führte Tagesspiegel-Redakteurin Jessica Gummersbach in das Thema ein. »Brustkrebs geht uns am Ende irgendwie alle an.«
In der Vorsorge, Diagnostik, Behandlung und Nachsorge gebe es strukturelle Defizite: Viele Diagnosen kämen zu spät, nicht alle Patientinnen hätten den gleichen Zugang zu Angeboten. »Gerade jüngere Frauen, Menschen mit familiärem Risiko oder aggressiven Tumorformen stoßen immer wieder auf Lücken in der Versorgung«, so Gummersbach.
Bei der Tagesspiegel-Expertenrunde »Früherkennung und Versorgung bei Brustkrebs – Wie gelingt der Strukturwandel« sprach Professor Dr. Christiane Kuhl, Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie an der RWTH Aachen, über die Grenzen des Mammografie-Screenings. »Trotz systematischer mammografischer Früherkennungsprogramme hat sich am eigentlichen Problem der Brustkrebssterblichkeit nicht viel geändert«, sagte sie.
Das Grundmodell aller aktuell laufenden Mammografie-Programme, an denen Frauen zwischen 50 und 75 Jahren freiwillig teilnehmen, sei in den 1970er-Jahren aufgelegt worden und habe sich seither nicht mehr großartig verändert: »One-Size-fits-All« sei das Gegenteil dessen, was man heute unter personalisierter Früherkennung verstünde. Ungefähr ein Drittel aller Frauen, die ein Mammakarzinom entwickeln, profitierten derzeit nicht von der Früherkennung.
Insbesondere bei sehr dichtem Brustgewebe stoße die Methode an ihre Grenzen: Tumoren blieben in solchen Fällen oft unentdeckt oder würden nicht früh genug erkannt. Manche aggressive Formen wie das dreifach negative Mammakarzinom könnten zudem in der Bildgebung harmlosen Strukturen wie Zysten ähneln. Bei Mammografien würden eher ungefährliche Vorstufen entdeckt, »während sie gerade bei prognostisch besonders relevanten Tumoren versagen«, so Kuhl.
Seit den 1970er-Jahren habe sich das Wissen über Brustkrebs jedoch deutlich weiterentwickelt: Heute würden unter dem Begriff Brustkrebs eine Vielzahl unterschiedlicher Krankheitsbilder zusammengefasst, von eher harmlosen bis zu äußerst aggressiven Formen. Die medizinische Herausforderung bestehe daher nicht darin, jeden Tumor oder jede Vorstufe gleichermaßen frühzeitig zu erkennen, sondern jene gefährlichen Karzinome früh zu identifizieren, die unbehandelt lebensverkürzend wirken würden, erklärte die Professorin.
Eine weitere Technologie zur Brustkrebs-Diagnostik sei die Magnetresonanztomografie (MRT). Laut Kuhl senkt diese die Zahl der sogenannten Intervallkarzinome, jener Tumoren, die zwischen zwei Screening-Terminen entstehen, und hilft dabei, spät erkannte Brustkrebsfälle zu vermeiden. Anders als bei der Mammografie gelte hier: Je schneller ein Tumor wächst und je höher sein Metastasierungspotenzial ist, desto eher werde er im MRT erkannt.
Trotzdem werde ein universeller Einsatz der Bildgebung nicht empfohlen. Kuhl plädiert für eine risikoadaptierte Vorgehensweise: Die Untersuchung müsse gezielt Frauen mit einem erhöhten Risiko angeboten werden. Mittlerweile könne mit hoher Präzision bestimmt werden, welche Frauen ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs haben und wer von einem herkömmlichen Screening durch Mammografie nicht profitiert. Dazu zählen insbesondere Frauen mit extrem dichtem Brustgewebe. Aus diesem Grund empfiehlt die European Society of Breast Imaging (EUSOBI) seit 2022, dass Frauen nach einer Screening-Mammographie über ihre Brustdichte informiert werden und bei sehr dichtem Gewebe eine zusätzliche MRT mit Kontrastmittel angeboten bekommen.
Darüber hinaus setzt sich Kuhl für eine individualisierte Früherkennung ein, idealerweise durch künstliche Intelligenz (KI) unterstützt. So könne man zukünftig auch Frauen identifizieren, bei denen ein MRT unabhängig von der Brustdichte sinnvoll wäre. Durch KI-basierte Texturanalysen der Mammografie beispielsweise könnten Frauen gefunden werden, die ein hohes Risiko tragen, innerhalb der nächsten zwei Jahre an einem Mammakarzinom zu erkranken, und zwar unabhängig von der Mammografie selbst.
In der Studie ScreenTrustMRI konnte ein KI-Algorithmus die 7 Prozent der Frauen mit dem höchsten Brustkrebsrisiko herausfiltern. Diese erhielten teilweise ein MRT. Daraus resultierte eine »Karzinom-Detektionsrate, die es in der Geschichte der Früherkennung noch nicht gegeben hatte«, so Kuhl.
Für jüngere Frauen unter 50 Jahren gebe es noch keine allgemein gültige Lösung. Bei ihnen träten häufiger aggressive Tumorformen auf, für die die Mammografie oft keine zuverlässige Diagnose liefere. Zwar sei das Brustkrebs-Risiko in dieser Altersgruppe niedriger, doch hätten viele junge Frauen dichtes Brustgewebe; dies mache die Mammografie wiederum weniger effektiv.
Sabine Weissinger von der Firma Gilead ergänzte bei der anschließenden Diskussion, dass die Brustkrebs-»Awareness« bei jüngeren Frauen nicht vorhanden sei. Ihr Aufruf: früher mit dem Screening anzufangen und das familiäre Risiko abzufragen.
Elke Naujokat, Vorsitzende des Bundesverbands Frauenselbsthilfe Krebs, betonte, dass Vorsorge nicht einfach »abgetan« werden könne und dass das Abtasten der Brust und damit die Eigenverantwortung jeder Frau extrem wichtig sei.
»Ich will, dass jede Frau eine Gynäkologin oder eine Gynäkologen hat, zu dem oder der sie regelmäßig geht und die Awareness schafft«, ergänzte Lina Seitzl, SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Gesundheitsausschuss. »Die ärztliche Betreuung ist an dieser Stelle ganz wichtig.« Sie fordert »dringend und schnell« Studien, vor allem im Bereich der aggressiven Tumorformen in der jüngeren Altersgruppe unter 40 Jahren.