Warum Alzheimer häufiger Frauen trifft |
Insgesamt sind zwei Drittel der Menschen mit Alzheimer-Krankheit Frauen. Für Deutschland entspricht dies einer Zahl von etwa 800.000 Betroffenen. / Foto: Getty Images/Andrew Bret Wallis
Insgesamt sind laut Angaben der Alzheimer Forschung Initiative (AFI) zwei Drittel der Menschen mit Alzheimer-Krankheit Frauen. »Forscherinnen und Forscher hatten dieses Ungleichgewicht lange der höheren Lebenserwartung von Frauen zugeschrieben, da der größte Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit das Alter ist«, heißt es in einer Mitteilung des gemeinnützigen Vereins. Heute wisse man jedoch: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau an Alzheimer erkrankt, ist höher als bei einem Mann, unabhängig von der jeweiligen Lebenserwartung. Als Ursache sei in den letzten Jahren verstärkt der weibliche Hormonhaushalt in den Blick gerückt.
Ein aktueller Übersichtsartikel in »Neuroforum« zeige, dass Ursachen auch in den geschlechtsspezifischen Genen zu finden seien. Privatdozent Dr. Alex Yang Liu und Professor Dr. Klaus Faßbender vom Universitätsklinikum des Saarlandes hätten drei Faktoren identifiziert, die mutmaßlich dazu beitragen, dass Frauen häufiger an Alzheimer erkranken.
So deuteten neue Erkenntnisse darauf hin, dass vaskuläre Faktoren bei der Entwicklung von Alzheimer eine wichtige Rolle spielen. Bei rund 80 Prozent der Erkrankten träten Durchblutungsstörungen im Gehirn auf, informiert die AFI. Ursache sei unter anderem der Abbau von Perizyten, an der Außenwand von Gefäßen anliegende Zellen, die den Blutfluss im Gehirn regulieren.
Nehme die Zahl dieser Zellen ab, werde das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt und die geistigen Fähigkeiten ließen nach. Außerdem könnten sich verstärkt schädliche β-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn ansammeln, die mutmaßlich zum Absterben von Nervenzellen führten. Die Gene, die die Funktion der Perizyten steuern, liegen auf den männlichen und weiblichen Geschlechtschromosomen, was zu einer unterschiedlichen Regulation der Perizyten führe.
»Ich denke, der vaskuläre Aspekt ist sehr wichtig, um zu verstehen, warum Frauen häufiger an Alzheimer erkranken. Vor der Menopause haben Frauen ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Männer. Nach der Menopause verdoppelt sich bei Frauen nahezu die Häufigkeit von Herzerkrankungen und Schlaganfällen«, erklärt Erstautor Yang Liu.
Das Geschlecht beeinflusse bei der Alzheimer-Krankheit auch die Informationsübertragung im Gehirn, heißt es weiter. Es gebe Hinweise darauf, dass Oligodendrozyten, die dafür sorgen, dass die Nervenzellen geschützt sind und Informationen schnell ausgetauscht werden können, im Falle einer Alzheimer-Erkrankung bei Frauen weniger stark aktiviert würden als bei Männern. Dadurch bleibe diese »Schutzschicht« bei Frauen weniger gut erhalten und die Informationsweiterleitung im Gehirn würde stärker beeinträchtigt.
Der dritte Faktor betrifft die Mikrogliazellen als wichtigen Teil der Immunabwehr des Gehirns. Im gesunden Gehirn wirken sie entzündungshemmend und sorgen dafür, dass schädliche Stoffe entsorgt werden. Bei der Alzheimer-Krankheit seien Mikrogliazellen zunächst noch in der Lage, die für die Krankheit typischen schädlichen Proteinablagerungen im Gehirn abzubauen, so die AFI. Im Krankheitsverlauf würden die Zellen durch ständige Aktivierung zunehmend erschöpft. Sie könnten den Schutz des Gehirns dann nicht mehr gewährleisten und verursachten chronische Entzündungen, die den Abbau der Nervenzellen zusätzlich förderten.
Mikrogliazellen würden durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst, die ebenfalls vom Geschlecht abhängig seien. Bei Frauen scheine die Immunabwehr und die Regulation von Entzündungsprozessen schlechter zu funktionieren als bei Männern. »Das Geschlecht beeinflusst auch die Immun- und Entzündungsreaktionen, weil viele Gene, die mit Immunreaktionen zu tun haben, auf dem X-Chromosom liegen«, sagt Yang Liu.
Die Erforschung von geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der Entstehung der Alzheimer-Krankheit stehe noch am Anfang, heißt es abschließend. Seit einigen Jahren wachse jedoch das Bewusstsein, dass geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Entstehung und Behandlung von Krankheiten eine wichtige Rolle spielen.
Der technische Fortschritt mache es jetzt möglich, dies auch in der Grundlagenforschung zu berücksichtigen. »Jetzt können wir diese winzigen Unterschiede auf molekularer Ebene zwischen Männern und Frauen feststellen, weil die Technologien mittlerweile so weit entwickelt sind, insbesondere die genetische Sequenzierung und die Big-Data-Analyse«, so Yang Liu.