Warum Ärzte mehr Herz zeigen sollten |
Jennifer Evans |
24.03.2025 07:00 Uhr |
Hör gut zu, Doc: Empathie ist die beste Medizin und kann sogar Leben retten. / © Adobe Stock/peopleimages.com
Wäre das Gesundheitspersonal empathischer, wären Patientinnen und Patienten zufriedener. Immer wieder kommen Studien zu demselben Schluss: Mehr Einfühlungsvermögen hilft den Menschen, ihre Sorgen anzusprechen. Und das wiederum führt zu einem besseren Verständnis ihrer eigenen gesundheitlichen Probleme und steigert die Therapietreue. Wenn medizinisches Personal sich also mehr Zeit für die Gespräche nehmen würde, wäre allen geholfen.
Doch Empathie hat noch weitere positive Effekte, wie Jeremy Howick berichtet. Er ist Direktor des Stoneygate Centre for Excellence in Empathic Healthcare der Universität Leicester und Mitautor einer Untersuchung, die nun die Zusammenhänge zwischen empathischen Ärztinnen und Ärzten beziehungsweise einfühlsamen Krankenpflegerinnen und Krankenpflegern mit der gesteigerten Patientenzufriedenheit analysiert hat. Dazu hatten die Forschenden mehrere Studienergebnisse, an denen insgesamt fast 2000 Patientinnen und Patienten aus unterschiedlichen Ländern sowie rund 80 Angehörige von Gesundheitsberufen beteiligt waren, zusammengetragen.
Die Ergebnisse ließen keine Zweifel offen: Empathie ist der Schlüssel zum Erfolg. Derzeit ist nur die Frage, wie unterschiedliche Patientinnen und Patienten die Sensibilität definieren und an welchen konkreten Kriterien das Personal im Gesundheitswesen sich orientieren sollte, um den Erwartungen der Patienten gerecht zu werden und damit als einfühlsamer wahrgenommen zu werden.
Obwohl Empathie eigentlich als eine Kernkompetenz für Medizinerinnen und Mediziner gilt, weil sie die Adhärenz verbessert und folglich kosteneffizient ist, nimmt die Fähigkeit der Studierenden dazu im Laufe ihrer Ausbildung ab, wie Howick im Zuge einer anderen Arbeit feststellte, für die er unterschiedliche Publikationen in Europa und Nordamerika unter die Lupe nahm.
Diese Entwicklung führt er unter anderem auf den Lehrplan zurück. Überproportional repräsentiert sei darin das biomedizinische Krankheitsmodell gegenüber dem biopsychosozialen, kritisiert Howick. Zudem habe die Arbeitsbelastung Einfluss auf die Empathie der Medizinstudierenden. Dadurch entstehe Zynismus und emotionale Distanz, was ebenfalls im Empathie-Mangel ende.
Um Abhilfe zu schaffen, rät Howick dazu, Studierende verstärkt die Patientenperspektive einnehmen zu lassen. Und zwar, indem sie beispielsweise eine Nacht in der Notaufnahme verbringen müssen oder sie Alterssimulationsanzüge tragen. Außerdem plädiert er dafür, stärker zwischen dem biomedizinischen und dem biopsychosozialen Modell von Krankheiten abzuwägen. Denn Behandlungen würden immer komplexer, oftmals seien körperliche, psychologische sowie soziale Aspekte eng verwoben – und mit all diesen Belangen kämen Menschen in die Arztpraxen.
Als sinnvoll erachtet er ebenfalls, echte Patientinnen und Patienten in den Hörsaal zu bringen. Durch die Kombination von Patientengeschichten mit Fakten über den menschlichen Körper ist seiner Ansicht nach der spätere Wechsel von der Theorie in die Praxis weniger ausgeprägt.
Aber auch evidenzbasiertes Training empathischer Kommunikation, die verbale und nonverbale Verhaltensanpassungen erfordert, hält er für unerlässlich. Insbesondere sollten auch erfahrene Ärztinnen und Ärzte beziehungsweise Dozentinnen und Dozenten auf eine feinfühlige Sprache achten. Denn Howick zufolge ist bekannt, dass Vorbilder einen starken Einfluss auf das Verhalten von Medizinstudierenden haben.
Wichtig für den Behandlungserfolg erscheint neben der Empathie auch Kontinuität in der Versorgung. Jedes Mal denselben Hausarzt aufzusuchen, hat entscheidende Vorteile, wie James Goodwin, Professor für Physiologie des Alterns an der Universität Loughborough, auf der Wissenschaftsplattform »The Conversation« schreibt. Bei einer weltweiten Untersuchung mit 1,4 Millionen Patientinnen und Patienten hätte sich nämlich gezeigt, dass diejenigen, die nicht regelmäßig denselben Arzt aufsuchten, ein höheres Sterberisiko hätten. Stärker gefährdet sind sie demnach auch, im Krankenhaus oder in der Notaufnahme zu landen.
Die Vorteile einer konstanten medizinischen Betreuung lassen sich Goodwin zufolge gleichermaßen bei allen Patientengruppen beobachten und für viele der üblichen Erkrankungen wie Demenz oder Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychische Erkrankungen belegen.
Natürlich profitieren die Ärztinnen und Ärzte zunächst vom Wissen um die Vorgeschichte und Entwicklung der Patientinnen und Patienten, was ihnen bei späteren Konsultationen hilft. Doch eine bessere Arzt-Patient-Beziehung optimiert nicht nur Beratung und Behandlung, sondern senkt auch die Kosten für die Gesundheitssysteme. Trotz allem nimmt die Treue zum Arzt in unserer Gesellschaft eher ab als zu, wie der Altersforscher betonte.
Gründe dafür sieht Goodwin darin, dass Ärzte genauso wie Patienten immer mobiler werden und die hausärztliche Einzelpraxis zum Auslaufmodell wird. Mediziner arbeiteten zunehmend in Gemeinschaftspraxen, und Bereitschaftsdienste würden in großem Maßstab organisiert. Gleichzeitig steige die Anzahl der Menschen, die unter einer oder mehreren chronischen Erkrankungen leiden. Doch das Hauptproblem sieht der Wissenschaftler vor allem darin, dass die Prioritäten falsch sind: Der Zugang zur ärztlichen Praxis hat generell Vorrang vor der Behandlungskontinuität.
Dem Trend lässt sich in seinen Augen simpel entgegenwirken. Zum Beispiel über eine Patientenliste. Darauf vermerkt sind alle, die sich lediglich von nur einem Hausarzt behandeln lassen möchten. Die Kontinuität in der Versorgung sei ebenfalls für die Medikation förderlich, Stichwort: Deprescribing, sprich dem Absetzen von unnötigen Medikamenten, die nicht mehr von Nutzen sind, zu häufig oder falsch eingenommen werden oder sogar Schaden anrichten. Da Polypharmazie in den vergangenen drei Jahrzehnten um mindestens 30 Prozent zugenommen habe, müssten Lösungen zur Kostensenkung her. Statt der Einführung immer neuer teurer Technologien liegt für ihn die Antwort in der Kontinuität der Versorgung.