Wann das Auto besser stehen bleibt |
Sehstörungen, Konzentrationsschwäche, Müdigkeit: Medikamente können die Fahrtüchtigkeit auf vielerlei Weise beeinträchtigen. / Foto: Adobe Stock/marekbidzinski
Für das Fahren unter Alkoholeinfluss gibt es klare Regeln. Für Fahranfänger und Personen vor dem 21. Geburtstag gelten 0,0 Promille. Für alle anderen gilt: Wer mit 0,5 bis 1,09 Promille erwischt wird und keine weiteren Auffälligkeiten zeigt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Ab einer Grenze von 1,1 Promille geht man von einer absoluten Fahruntüchtigkeit aus. Ein Blick in die Statistik der Bundesanstalt für Straßenwesen für das Jahr 2022 gibt Auskunft über die Anlässe für eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU). Hier liegen Alkohol (36 Prozent) und Drogen/Medikamente (35,6 Prozent) praktisch gleichauf. Allerdings schlüsselt die Statistik nicht auf, welchen Anteil Arzneimittel allein daran haben und ob diese jeweils bestimmungsgemäß oder missbräuchlich angewendet wurden.
Bei der Anwendung von Arzneimitteln gilt: Das Führen eines Fahrzeugs ist erlaubt, wenn der Fahrzeugführer das oder die Arzneimittel bestimmungsgemäß anwendet. Diese Grundregel gilt nicht, wenn gleichzeitig Alkohol und/oder Drogen konsumiert werden. Doch auch viele Arzneimittel können die Fahrtüchtigkeit beeinflussen. Die Beurteilung kann sich im konkreten Fall kompliziert gestalten, sodass es für Patienten schwer zu entscheiden ist, ob sie denn nun ein Fahrzeug (nicht nur ein Auto, sondern auch alle anderen) führen dürfen oder dies besser unterlassen. Der Wirkmechanismus (die Hauptwirkung) des Arzneimittels selbst, aber auch Neben- und/oder Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln sowie Lebensmitteln können dabei eine Rolle spielen.
Die Stärke der Beeinträchtigung kann zudem zu bestimmten Zeiten während des Therapieverlaufs variieren. Nicht zuletzt kann sie von Patient zu Patient verschieden stark ausfallen, etwa wenn Arzneistoffe auf unterschiedliche Weise metabolisiert werden oder durch ebenfalls beeinträchtigende Erkrankungen. Nicht unerwähnt bleiben soll aber auch, dass eine Pharmakotherapie eine aktive Teilnahme am Straßenverkehr erst möglich machen kann. Das gilt zum Beispiel für Patienten mit Epilepsie, die nach einer bestimmten Zeit der Anfallsfreiheit selbst fahren dürfen.
Dass Arzneimittel mit sedierenden Eigenschaften die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen, indem sie etwa die Aufmerksamkeit und das Reaktionsvermögen herabsetzen, versteht sich von selbst. Zu diesen gehören Benzodiazepine und sedierende Antidepressiva. Bei Ersteren spielt die Wirkdauer eine wichtige Rolle. Werden kurz wirksame Benzodiazepine als Einschlafhilfe angewendet, ergeben sich üblicherweise keine Beeinträchtigungen.
Anders verhält es sich, wenn diese Arzneimittel auch tagsüber angewendet werden, oder beim (auch abendlichen) Einsatz von länger wirksamen Substanzen, zum Beispiel Flunitrazepam. Insbesondere bei älteren Menschen, die diese Wirkstoffe langsamer abbauen, kann es zu einem Hangover am nächsten Tag mit einer Herabsetzung der Fahrtüchtigkeit kommen. Bei den nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln spielen ältere H1-Antihistaminika wie Diphenhydramin oder Doxylamin, die abends als Ein- oder Durchschlafhilfe, aber auch tagsüber gegen (Reise-)Übelkeit angewendet werden, eine wichtige Rolle.
Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein. Wirkstoffe mit einer stimulierenden (Neben-)Wirkung können mit Selbstüberschätzung, einem übersteigerten Antrieb und innerer Unruhe einhergehen und so das Unfallrisiko erhöhen. Zu diesen gehört zum Beispiel Pseudoephedrin.
Nicht zuletzt schränken Arzneimittel, die die Sehfähigkeit beeinträchtigen, die Fahrtüchtigkeit ein. So darf nach Augenuntersuchungen, bei denen die Pupille erweitert werden muss, circa drei Stunden kein Fahrzeug geführt werden, da die dazu verwendeten Augentropfen die Akkommodation stören und der Betroffene verschwommen sieht sowie leicht geblendet ist.
Eine differenzierte Betrachtung ist bei der Anwendung von Opioiden in der Schmerztherapie geboten. Hier kann es vor allem zu Therapiebeginn zu einer Sedierung kommen. Ist der Patient stabil eingestellt, hat die Opioid-bedingte Sedierung aber oft keinen Einfluss mehr auf die Fahrtüchtigkeit.
Allerdings können Opioide sich auch auf die Sehfähigkeit – vor allem in der Nacht – auswirken. Da sie die Pupille verengen, können sie das Sehen in der Dämmerung und bei Nachtfahrten verschlechtern. Die Frage nach der Fahrtüchtigkeit stellt sich hier also nicht grundsätzlich, sondern vor dem Hintergrund bestimmter Umstände.
Auch Wechselwirkungen können das Risiko von Nebenwirkungen, die die Verkehrstüchtigkeit beinträchtigen, verstärken. Die Gefahr hierfür steigt mit der Zahl der angewendeten Arzneimittel. Verstärkend wirkt sich vor allem Alkohol aus – auch in geringen Mengen. Der Warnhinweis in Packungsbeilagen sollte daher ernst genommen werden. Aber auch alkoholhaltige Arzneimittel wie manche Tonika oder Erkältungssäfte eignen sich nicht, wenn man selbst fahren möchte.
Insbesondere der Beginn einer Therapie kann mit Beeinträchtigungen der Fahrtüchtigkeit einhergehen. So berichten manche Patienten mit Bluthochdruck, dass es ihnen ohne Therapie besser gegangen sei als mit dem neuen Medikament. Kopfschmerzen und Schwindel sind häufige Begleiterscheinungen, die aber zurückgehen, wenn der Körper sich an den niedrigeren Blutdruck gewöhnt hat.
Schwankende Blutzuckerwerte mit Hypo- oder Hyperglykämien bei Diabetikern können zu ähnlichen Symptomen führen und die Fahrtüchtigkeit herabsetzen. Auch hier ist die erste Zeit nach Therapieeinleitung besonders kritisch. Nicht nur in diesen beiden Beispielen kann der Arzt oft durch eine einschleichende Dosierung gegensteuern. Eine hohe Adhärenz des Patienten und regelmäßige Blutdruck- beziehungsweise Blutzuckerkontrollen beugen Schwankungen vor, was der Fahrtüchtigkeit auf Dauer zugutekommt. Wer hingegen häufig eigenmächtig Dosierungen ändert oder auslässt, riskiert erneute Nebenwirkungen die sich auch auf die Fahrtüchtigkeit auswirken können.
Auch Arzneimittel, die bereits über einen längeren Zeitraum eingenommen wurden, können zeitweise zu Problemen führen. Dazu gehören etwa Aromatasehemmer zur Behandlung eines hormonsensiblen Mammakarzinoms. So führt die Fachinformation von Exemestan mäßige Auswirkung auf die Verkehrstüchtigkeit auf, da es unter der Therapie zu Benommenheit, Schwäche, Schläfrigkeit und Schwindel kommen kann. Die Nebenwirkungen können zeitweise auftreten und sich mit nebenwirkungsfreien Zeiten abwechseln. Zusätzlich können Begleiterscheinungen der Erkrankung selbst, etwa eine Fatigue, das Befinden erheblich beeinträchtigen. Dann kann es ratsam sein, das Auto stehen zu lassen.
Neben den Arzneistoffen mit ihren Haupt- und Nebenwirkungen spielen auch individuelle Faktoren eine Rolle. Patienten, die – beispielsweise altersbedingt – Arzneistoffe langsamer abbauen, müssen mit einer verlängerten Wirkdauer rechnen. Abends eingenommene Schlaf- oder Beruhigungsmittel können bei ihnen bis in den nächsten Tag hinein nachwirken. Aber auch genetische Besonderheiten in der Verstoffwechselung von Arzneistoffen können hier zum Tragen kommen. So wird beispielsweise Codein durch das Cytochrom-P450-Isoenzym CYP2D6 in den aktiven Metaboliten Morphin verstoffwechselt. Ultraschnelle CYP2D6-Metabolisierer setzen Codein extrem schnell oder in höherem Ausmaß zu Morphin um, sodass es zu Intoxikationen kommen kann. Bei bekannter Modifikation ist Codein daher kontraindiziert.
Grundsätzlich gilt: Der Patient entscheidet selbst, ob er sich fahrtüchtig fühlt. Dafür benötigt er jedoch die entsprechenden Informationen und Hinweise durch Ärzte und Apotheker. Wichtig ist auch, dass er mögliche Symptome wahrzunehmen und korrekt einzuordnen lernt. Denn nicht nur wer sich müde und unkonzentriert fühlt, sollte sein Fahrzeug möglichst stehen lassen. Auch Erregtheit, Sehstörungen wie Verschwommensehen, Schwindel, Übelkeit, verlangsamte Bewegungen oder Gefühlsstörungen in den Extremitäten sind wichtige Warnzeichen, die auf eine verminderte Fahrtüchtigkeit hinweisen können.