Von Paper Cases bis Bedside Teaching |
Laura Rudolph |
18.07.2025 07:00 Uhr |
Schriftliche Fälle oder Unterricht direkt am Patientenbett: Lehrangebote, bei denen der Patient im Mittelpunkt steht, sind in Deutschland nicht einheitlich gestaltet. / © Getty Images/SDI Productions
Seit 2001 ist die Klinische Pharmazie als Ausbildungs- und fünftes Prüfungsfach in der Approbationsordnung (AAppO) verankert. Doch noch immer ist der klinische Anteil im Studium, vor allem im europäischen Vergleich, gering. Mit der überfälligen Modernisierung der in ihrer jetzigen Version mehr als 20 Jahre alten AAppO sollen mehr Themen Einzug halten, bei denen der Patient im Fokus steht.
Zurzeit unterscheiden sich Art und Umfang von patientenorientierten Lehrformaten stark zwischen den Pharmaziestandorten in Deutschland. Das hat eine Ad-hoc-Befragung gezeigt, bei der die Angaben von 19 Universitäten berücksichtigt wurden (drei hatten sich nicht oder zu spät zurückgemeldet). Die Ergebnisse veröffentlichte ein Autorenteam von der Apotheke des Universitätsklinikums Erlangen, bestehend aus Professor Dr. Frank Dörje, Dr. Mirjam Gnadt, Jacqueline Bauer und Monika Dircks, in der Monatszeitschrift »Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz« (DOI:10.1007/s00103-025-04036-2).
Patientenorientierte Lehre findet entweder ohne realen Patientenkontakt im universitären Setting oder im klinischen Setting statt. Der Klassiker der ersten Kategorie sind analoge Patientenfallbearbeitungen, sogenannte Paper Cases, bei denen die Studierenden theoretische Patientenfälle bekommen und eine Medikationsanalyse durchführen. Ihre Ergebnisse diskutieren sie anschließend mit ihren Kommilitonen. Bei 18 von 19 Universitäten ist dieses Lehrformat in eine Pflichtveranstaltung integriert, bei einem Standort ist es Teil eines dreiwöchigen Wahlpflichtfachpraktikums. Welche Universitäten dies konkret sind, geht aus der Publikation bis auf einige beispielhafte Ausführungen nicht hervor.
»Mithilfe dieses einfach zu etablierenden Patientenfall-orientierten Lehrformates wird also nicht nur gelerntes klinisch-pharmazeutisches Fachwissen durch Anwendung gefestigt, vielmehr müssen die Studierenden arzneimittelbezogene Probleme nach klinischer Relevanz priorisieren, sind aufgefordert, ihr Wissen zu reflektieren und Wissenslücken durch eigenständige Recherche zu schließen«, schreiben die Autoren.
Eine Alternative ist es, Patientenfälle digital durchzuspielen, in Form sogenannter Serious Games. Hierfür gibt es bestimmte Programme, bei denen die Studierenden zunächst wie beim Paper Case eine Patienten- und Situationsbeschreibung erhalten. Schrittweise werden sie durch den virtuellen Fall geführt und können nach und nach neue Frage- und Antwortmöglichkeiten aufdecken oder Aufgaben im Spiel freischalten.
»Das digitale Format erlaubt direktes Feedback nach jeder Frage. Ein Vorteil dieses Formates ist, dass der Arbeitsaufwand (zum Beispiel personelle Ressourcen) unabhängig von der Anzahl der Studierenden konstant bleibt. Ein Nachteil im Vergleich zum ›Paper Case‹ ist die geführte, nicht selbstständige Entscheidung über das Vorgehen bei der Bearbeitung des Falls«, führen die Autoren aus. Vier Standorte, darunter die LMU München, nutzen aktuell verpflichtend eine virtuelle Patientenfallbearbeitung, eine weitere Universität plant derzeit ein solches Format.
Eine gute Gelegenheit, im Universitätssetting für Kundengespräche zu trainieren, bieten Übungsapotheken mit (Laien-)Schauspielern oder Kommilitonen, die einen Patienten spielen. Dies soll die Kommunikationsfähigkeiten, auch non-verbale, sowie die Beratungsqualität fördern. An manchen Universitäten werden die Studierenden dabei gefilmt, um das Auftreten im Nachhinein zu analysieren. An vier Universitäten ist dieses Lehrprojekt eine Pflichtveranstaltung, darunter an der FU Berlin, an der außerdem ein Raum für die Brown-Bag-Analyse zur Verfügung steht. An einem weiteren Standort ist die Veranstaltung für die Studierenden optional.
Authentischer lassen sich Beratungsgespräche in einer echten Offizin trainieren – wo es etwa zu kommunikativen Schwierigkeiten kommen kann, bedingt durch unklare Ausdrucksweisen oder Missverständnisse, die sich etwa durch Alter, Krankheit oder fehlende Sprachkenntnisse des Patienten ergeben. Unterricht in der Vor-Ort-Apotheke führt bislang keine deutsche Universität durch, aber ein Standort plant aktuell die Umsetzung.
Es gibt auch Programme, die es erlauben, Patientenfälle digital durchzuspielen. / © Getty Images/Dougal Waters Photography Ltd
Fünf Universitäten bieten eine virtuelle Übungsoffizin an. Dabei nehmen die Studierenden virtuell die Rolle des Apothekers ein. Sie können aus verschiedenen Aktionen wählen, etwa Fragen stellen, Arzneimittel empfehlen und Beratungshinweise geben. Im Gegensatz zur analogen Übungsapotheke wird hier schwerpunktmäßig das pharmazeutische Fachwissen und weniger die Kommunikation geschult.
Der Begriff »Bedside Teaching« steht für Unterricht im Krankenhaus mit Patientenkontakt, wie er beispielsweise seit 2012 für Pharmaziestudierende der FAU Erlangen-Nürnberg im Universitätsklinikum Erlangen angeboten wird. Im Zentrum steht dabei das Beratungsgespräch mit dem Patienten, das die Apotheker in spe eigenständig durchführen. Zur Vorbereitung setzen sie sich mit dem Patientenfall auseinander und führen eine Medikationsanalyse durch. Finden sie arzneimittelbezogene Probleme, besprechen sie diese mit Ärzten oder dem Pflegepersonal.
»Im Unterschied zu didaktisch aufbereiteten Fällen sind echte Patienten und ihre Arzneimitteltherapie in der Regel sehr komplex«, schreiben die Autoren. Daher biete sich dieses Lehrformat in höheren Semestern an. Der Nutzen sei wissenschaftlich erwiesen. In Erlangen wird das Praktikum von einem klinisch tätigen Apotheker betreut und in Kleingruppen durchgeführt. Elf weitere Hochschulstandorte bieten ebenfalls ein Bedside-Teaching-Praktikum an.
Eine gute Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker erhöht die Arzneimitteltherapiesicherheit und kann nicht früh genug gefördert werden. Um interprofessionelle Zusammenarbeit bereits im Studium zu trainieren, bieten derzeit zehn Universitäten interprofessionelle Lehrformate an, darunter drei verpflichtend. Fünf Unis bieten dabei gemeinsamen Unterricht für Pharmazie- und Medizinstudierende und gegebenenfalls weitere medizinisch tätige Berufsgruppen an; an vier Standorten unterrichtet ein Arzt die angehenden Apotheker. Ein Standort machte keine weiteren Angaben zu den beteiligten Berufsgruppen.
Als Beispielprojekt wird die berufsübergreifende Veranstaltung »POP Art – Patientenorientierte Pharmazie für (angehende) Ärzte und Apotheker« der LMU München aufgeführt, die es seit 2015 gibt. Dabei verbringen ein bis zwei Pharmaziestudierende einen halben Tag gemeinsam mit einem Medizinstudierenden im Praktischen Jahr auf einer Krankenhausstation. Davon können beide Seiten profitieren: Der klinische Praxisbezug für die Pharmaziestudierenden wird erhöht und die angehenden Ärzte können ihre pharmakologischen Kenntnisse erweitern.
Unabdingbar in der Lehre sei auch die Arzneimittelinformation, also das gezielte Recherchieren, Bewerten und Weitergeben von Informationen zu Arzneimitteln auf Basis pharmazeutischer Fachliteratur, schreiben die Autoren. Im Rahmen einer Förderung durch die Lesmüller-Stiftung und die Bayerische Landesapothekerkammer werden an den Universitäten Regensburg (seit 2001), Würzburg (seit 2003) und Erlangen (seit 2006) feste Stundendeputate für Arzneimittelinformation angeboten.
Beispielsweise recherchieren studentische Kleingruppen an der FAU Erlangen-Nürnberg bereits beantwortete Echtanfragen aus der regionalen Arzneimittelinformationsstelle am Universitätsklinikum Erlangen und beantworten die Fragestellung schriftlich. Ihren Rechercheweg stellen sie ihren Kommilitonen anschließend in einer Präsentation vor.
So gut das alles schon sei, so sei es noch nicht genug, resümieren die Autoren: »Die Novellierung der universitären Apothekerausbildung sollte zeitlich deutlich umfassendere und verpflichtende patientenorientierte Lehrformate im Fach Klinische Pharmazie vorsehen.« Hierzu sei auch die adäquate Ausstattung mit klinisch kompetentem Lehrpersonal notwendig.