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Neue Antikörperklasse

Von Lamas lernen

Weniger leicht und doch nicht schwerer: Lamas besitzen Antikörper, die statt aus den üblichen zwei leichten und zwei schweren Ketten nur aus schweren Ketten bestehen. Diese waren das Vorbild für eine neue Antikörperklasse, die sogenannten Nanobodies. Caplacizumab ist der erste Vertreter, der demnächst auf den Markt kommen wird.
Annette Mende
28.09.2018  15:35 Uhr

Im Vergleich zu den Schwere-Ketten-Antikörpern von Lamas sind Nanobodies noch einmal kleiner, denn sie bestehen nur aus der variablen Domäne, die für die Antigenbindung notwendig ist. Von dem klassischen Y der Antikörper ist somit quasi nur noch ein i-Tüpfelchen übrig geblieben. Laut Sanofi-Genzyme, deren Tochterfirma Ablynx die Nanobody-Technologie entwickelt hat, besitzen Nanobodies dieselbe Bindungsaffinität wie vollständige Schwere-Ketten-Antikörper, sind aber deutlich kleiner und sehr stabil. Da Nanobodies etwa gegen Hitze und extreme pH-Werte unempfindlich sind, sind viele Applikationswege möglich: oral, intravenös, subkutan und inhalativ.

Caplacizumab (Cablivi®) ist ein bivalenter Nanobody, der gegen die Thrombozyten-bindende A1-Domäne des von Willebrand-Faktors (vWF) gerichtet ist. Das Arzneimittel ist seit dem 31. August in Europa zugelassen und soll Anfang Oktober auf den Markt kommen. Eingesetzt werden darf es zur Behandlung von Erwachsenen mit erworbener thrombotischer-thrombozytopenischer Purpura (aTTP), einer seltenen, lebensbedrohlichen Blutgerinnungsstörung. Cablivi wird stets in Kombination mit einem therapeutischen Plasmaaustausch (Plasmapherese) und Immunsuppression eingesetzt.

»Thrombotisch-thrombozytopenisch klingt erst einmal wie ein Widerspruch in sich. Doch es ist korrekt: Patienten mit aTTP haben eine niedrige Thrombozytenzahl, aber trotzdem Thrombosen«, sagte Professor Dr. Jan Menne von der Medizinischen Hochschule Hannover bei einer Pressekonferenz von Sanofi-Genzyme in Berlin. Der Grund dafür sei eine Störung des vWF. Dieser sei normalerweise wie ein Güterzug mit vielen Waggons, von denen bei Bedarf einzelne abgekoppelt werden. Diese einzelnen vWF-Monomere übernehmen dann ihre Funktion in der Blutgerinnung, indem sie bei einer Verletzung eine Verbindung schaffen zwischen Thrombozyten und der verletzten Gefäßwand und gleichzeitig Thrombozyten aktivieren.

Im Blut von aTTP-Patienten finden sich dagegen ultralange vWF-Multimere, die Menne mit kilometerlangen Güterzügen verglich, auf denen wie in Indien Hunderte Passagiere mitfahren. Die Passagiere sind in diesem Fall Thrombozyten, die von den vWF-Multimeren verstärkt gebunden werden. Diese Gebilde verstopfen die kleinen Gefäße, vorwiegend in der Niere und im Gehirn, aber auch in der Haut – die namensgebende Purpura.

Patienten mit aTTP fehlt das Enzym ADAMTS-13, das normalerweise die vWF-Multimere zerschneidet. aTTP ist eine Autoimmunerkrankung: Die Patienten bilden Autoantikörper gegen ADAMTS-13. Die Erkrankung tritt in Episoden auf, die unbehandelt in 90 Prozent der Fälle tödlich verlaufen. Durch die Standardtherapie aus Plasmapherese – bei der die mit Thrombozyten beladenen vWF-Multimere entfernt und ADAMTS-13 sowie freie Thrombozyten ersetzt werden – sowie Immunsuppression, beispielsweise mit hoch dosierten Corticosteroiden plus Rituximab, kann die Mortalität auf 10 bis 20 Prozent gesenkt werden. Nach Abklingen der Episode normalisiert sich der ADAMTS-13-Spiegel wieder und die Patienten müssen nicht weiter immunsupprimiert werden. In der Hälfte der Fälle kommt es im weiteren Leben zu keiner weiteren Episode.

Caplacizumab ergänzt die Standardtherapie der akuten Episode, indem es die Thrombozyten-Bindungsstelle des vWF blockiert und so die pathologische Anheftung von Thrombozyten an die ungespaltenen vWF-Multimere verhindert. Dadurch normalisiert sich die Thrombozytenzahl schneller und die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs sinkt. Das konnte in der randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studie HERCULES gezeigt werden.

Alle 145 Teilnehmer der Studie erhielten die Standardtherapie aus Plasmapherese und Immunsuppression sowie zusätzlich entweder Caplacizumab oder Placebo. Die Behandlung mit Caplacizumab führte zu einer statistisch signifikanten Verkürzung der Zeit bis zur Normalisierung der Thrombozytenzahl: Die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten dieses Therapieziel erreichen, war unter Verum 55 Prozent höher als unter Placebo. Im durchschnittlich 35-tägigen Behandlungszeitraum sowie in der 28-tägigen Nachbeobachtungszeit war das Risiko für einen Rückfall in der Caplacizumab-Gruppe 67 Prozent geringer als in der Placebogruppe. Beim zusammengesetzten Endpunkt aus aTTP-bedingtem Tod, aTTP-Exazerbation oder mindestens ein schwerwiegendes thromboembolisches Ereignis betrug die Risikoreduktion durch Caplacizumab 74 Prozent. Häufigste Nebenwirkungen von Caplacizumab waren Nasen- und Zahnfleischbluten sowie Kopfschmerzen.

Fotos: Fotolia/Agota (Lama), Sanofi-Genzyme (Grafik)

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