Vogelgrippevirus zeigt gefährliche Anpassungs-Tendenzen |
Theo Dingermann |
15.09.2023 13:30 Uhr |
In China haben sich im vergangenen Jahr zwei Menschen mit dem Vogelgrippevirus H3N8 angesteckt; einer von ihnen starb daran. H3N8-Viren sind in Hühnerbeständen weit verbreitet. / Foto: Getty Images/Peter Garrard Beck
Influenzaviren werden in erster Linie auf Basis von elf verschiedenen Neuraminidase-(N-)Strukturen und 18 verschiedenen Hämagglutinin-(H-)Strukturen unterschieden. Bisher zirkulierten in der menschlichen Bevölkerung im Wesentlichen nur Influenza-A-Viren, die den Subtypen H1, H2 und H3 beziehungsweise N1 und N2 zuzuordnen sind. Nun macht jedoch ein Virus von sich reden, das als H3N8-Influenzavirus charakterisiert ist.
Wie Forschende um Professor Dr. Honglei Sun von der China Agricultural University in Peking im Fachjournal »Cell« berichten, infizierten sich in China im Jahr 2022 nachweislich zwei Menschen an dem Vogelgrippevirus H3N8 und in diesem Jahr verstarb sogar ein Mensch an der durch H3N8 verursachten Krankheit. Dies veranlasste die Forschenden, sich das bisher noch unzureichend untersuchte Virus genauer anzusehen.
H3N8-Viren sind in Hühnerbeständen weit verbreitet. Das Team um den Seniorautor Professor Dr. Jinhua Liu konnte zeigen, dass H3N8-Viren in der Lage sind, normale menschliche Bronchialepithelzellen (NHBE) und Lungenepithelzellen (Calu-3) zu infizieren und sich dort effizient zu vermehren. H3N8-Viren, die aus menschlichem Gewebe isoliert worden waren (HN/4-10), erwiesen sich dann als deutlich virulenter und verursachten bei Mäusen und Frettchen schwerere Erkrankungen als Isolate aus infizierten Hühnern. Beunruhigend war zudem, dass die Viren des HN/4-10-Isolats über Tröpfcheninfektion zwischen Frettchen (also Säugetieren) übertragbar waren.
Wie sich zeigte, hatte dieses Virus Mutationen für eine präferenzielle Bindung an menschliche Rezeptoren und für die Übertragbarkeit über die Luft erworben. Gerade hinsichtlich der Übertragbarkeit über die Luft ist eine Mutation im Polymerase-Protein 2 (PB2) an Position 627 wichtig, wo eine Glutaminsäure durch ein Lysin ersetzt ist (E627K). Diese Mutation identifizierten die Forschenden in dem humanen Isolat von H3N8.
Menschliche Populationen schienen immunologisch naiv gegenüber neu auftretenden, an Säugetiere angepassten H3N8-Viren zu sein, heißt es von der Forschungsgruppe. Das gelte selbst dann, wenn sie gegen das humane Influenza-A(H3N2)-Virus geimpft seien (ein humaner H3N2-Stamm ist auch in den aktuellen saisonalen Influenzaimpfstoffen enthalten). Die immunologische Naivität der Bevölkerung ist, wie die eben erst überstandene Coronapandemie eindrücklich gezeigt hat, eine ideale Voraussetzung für Infektionen mit epidemischem oder pandemischem Ausmaß.
Dazu wären jedoch weitere Virusanpassungen erforderlich. So müsste für eine effiziente Übertragbarkeit von einem Menschen auf einen anderen das Hämagglutinin-Protein säurebeständig sein. Das ist jedoch derzeit noch nicht der Fall.
»Die Säureresistenz des Influenzavirus ist eine wichtige Barriere, die das Vogelgrippevirus überwinden muss, um sich an neue Säugetiere oder den Menschen anzupassen und übertragen werden zu können. Das aktuelle neue H3N8-Virus hat die Säureresistenz noch nicht erworben. Daher sollten wir die Entwicklung der Säureresistenz des neuen H3N8-Virus im Auge behalten«, sagt Liu in einer Pressemitteilung der University of Nottingham. Forschende an dieser Universität waren ebenfalls an der Arbeit beteiligt.