Vogelgrippeviren breiten sich bei Kühen in den USA aus |
Theo Dingermann |
25.04.2024 16:30 Uhr |
In den USA wurden Vogelgrippeinfektionen bei Milchkuhherden aus acht Bundesstaaten gemeldet. Die Genome der H5N1-Influenzaviren wurden auch in der Milch der Tiere nachgewiesen. / Foto: Adobe Stock/Dumrongsak Songdej
Der H5N1-Influenzavirus-Stamm 2.3.4.4b, der 2020 erstmals auftrat, sorgte in den vergangenen Jahren für Grippeausbrüche in Vogelpopulation von noch nie dagewesenen Ausmaßen. Derzeit breitet sich die Linie A/Gans/Guangdong/1/1996 (H5N1) dieser Klade 2.3.4.4b der hochpathogenen aviären Influenzaviren (HPAI) stark aus.
Während sich die ersten Ausbrüche in erster Linie auf Vogelarten beschränkten, eine hohe Sterblichkeitsrate bei den infizierten Vögeln verursachten und für erhebliche wirtschaftliche Verluste in der Geflügelindustrie sorgten, infizieren sich nun vermehrt auch wilde Säugetiere und neuerdings Nutztiere. Aktuell machen Meldungen die Runde, nach denen das Virus Rinderherden in den USA infiziert. Welche Auswirkungen dies für die menschliche Gesundheit hat, ist noch unklar.
Das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), das als Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit das epidemiologische Geschehen rund um die HPAI eng beobachtet, signalisiert für Deutschland und Europa momentan Entwarnung. In seinem Bericht zur aktuellen Risikoeinschätzung zur HPAI H5 Klade 2.3.4.4b schreibt das Institut: »Auch wenn es immer wieder zu sporadischen Infektionen bei Menschen kommt, wird nach einer aktuellen Einschätzung des europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten das Risiko einer zoonotischen Influenzaübertragung auf die allgemeine Bevölkerung in den EU/EWR-Ländern als gering eingestuft. Es wird jedoch von einem geringen bis moderaten Risiko für beruflich exponierte Gruppen, die engen Kontakt mit infiziertem Geflügel haben, ausgegangen.«
H5N1-Viren der Klade 2.3.4.4b wurden im Februar beziehungsweise März 2024 zum ersten Mal bei Milchkühen im US-Bundesstaat Texas nachgewiesen. Die betroffenen Tiere waren aufgefallen, da sie offensichtlich unspezifisch erkrankt waren und abrupt deutlich weniger Milch produzierten. Zudem war die produzierte Milch dickflüssig und verfärbt. Die Milch erkrankter Tiere enthält hohe Mengen des H5N1-Virus.
Ähnliche Fälle wurden in der Folge bei Milchkühen im südwestlichen Kansas und im nordöstlichen New Mexico sowie in Herden in Idaho, Michigan, Ohio, North Carolina und South Dakota gemeldet. Seitdem ist die Zahl der bestätigten Ausbrüche laut dem US-Landwirtschaftsministerium (USDA) bis zum 25. April auf 34 Herden in neun US-Bundesstaaten angestiegen. Das Ministerium arbeitet in dieser Frage eng mit der Lebensmittelaufsichtsbehörde FDA sowie der Gesundheitsbehörde CDC zusammen.
Bislang wurde eine Infektion mit diesem Virus beim Menschen bekannt, und zwar in Texas. Die Ende März erkrankte Person hatte offensichtlich Kontakt mit infizierten Milchkühen. Der Patient, dessen Infektion von den CDC bestätigt wurde, zeigte als einziges Symptom eine Augenentzündung. Die Krankheit wird nach Angaben der CDC mit dem antiviralen Medikament Oseltamivir behandelt. Dies sei der zweite Fall einer H5N1-Infektion beim Menschen in den Vereinigten Staaten und der erste, der mit einer Exposition gegenüber Rindern in Zusammenhang steht, heißt es in der Mitteilung der Behörde. Der Fall ändere nichts am Risiko für die Allgemeinheit, das weiterhin gering sei.
Diese Einschätzung kritisieren Experten, die sich nun zu Wort melden. Wissenschaftler im In- und Ausland hatten das US-Landwirtschaftsministerium unter Druck gesetzt, mehr Daten über die H5N1-Vogelgrippeausbrüche bei Milchkühen zu veröffentlichen. Das Ministerium lud daraufhin am späten Sonntag, den 21. April, 239 Gensequenzen des Erregers hoch. In der wissenschaftlichen Gemeinschaft löste die Publikation teilweise Unmut aus, da die Dateien keine Informationen darüber enthalten, wann und wo die entsprechenden Proben gesammelt wurden.
Dennoch lassen sie erkennen, dass der Ausbruch der H5N1-Vogelgrippe bei Milchkühen wahrscheinlich bereits länger andauert, als bisher angenommen wurde. Zudem hat sich die Epidemie wahrscheinlich weiter über das Land ausgebreitet, als die bestätigten Ausbrüche vermuten lassen.
Der kanadische Evolutionsbiologe an der University of Arizona, Professor Dr. Michael Worobey, hat die Sequenzen analysiert und die Ergebnisse auf der Plattform X publiziert. Danach sieht es so aus, dass die Epidemie wahrscheinlich durch eine einmalige Übertragung des Virus von Vögeln auf Kühe verursacht wurde. Danach wurden die Grippeviren von Rindern auf Rinder und von Rindern auf Geflügel übertragen. Das bestätigt auch das USDA.
Es gab auch Fälle von infizierten, aber asymptomatischen Kühen. Allerdings ist derzeit nicht klar, in welchem Umfang getestet wurde. Gegenüber dem Nachrichtenmagazin »STAT« sagt Worobey: »Die schlechte Nachricht ist, dass es so aussieht, als ob sich das Problem bei Rindern schon lange etabliert hat und [...] wahrscheinlich sehr, sehr, sehr weit verbreitet ist.«
Dass die Epidemie in den USA sehr ernst genommen wird, zeigt sich auch daran, dass das USDA am gestrigen Mittwoch »Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit von Nutztieren vor der hochpathogenen Vogelgrippe H5N1« anordnete, die eine weitere Verbreitung des Virus verhindern sollen. Zwar sind sich internationale Fachleute einig, dass derzeit das Risiko für den Menschen noch gering ist. Aber es wird klar, dass viel mehr getan werden muss, um die Reichweite des Virus und seine Übertragung in den Griff zu bekommen.
Kritisiert werden die CDC aktuell für die mangelnde Transparenz, mit der Daten übermittelt werden. Das sei gefährlich, heißt es etwa in einem Kommentar der Presseagentur »Bloomberg«, denn in einem Zeitalter der grassierenden Fehlinformationen und Desinformationen in den sozialen Medien nutzten Verschwörungstheoretiker gerne alle wahrgenommenen Wissenslücken.
Milch von infizierten Kühen kann H5N1-Viren oder -Anteile enthalten. Besteht da ein Infektionsrisiko für Menschen? Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sieht die FDA, die Milchprodukte kontrolliert, dies nicht. Das führt die Behörde in einem Frage-Antwort-Dokument aus.
Basis für die Bewertung ist, dass nur Milch von gesunden Tieren für den Vertrieb im zwischenstaatlichen Handel für den menschlichen Verzehr zugelassen sei. Darüber hinaus sei für zwischenstaatlich gehandelte Milch die Pasteurisierung, ein kurzzeitiges Erhitzen, vorgeschrieben. Frühere Studien hätten gezeigt, dass Pasteurisierung sehr wahrscheinlich hitzeempfindliche Viren in Flüssigmilch wirksam inaktiviert, so die FDA. Darüber hinaus hat sich die thermische Inaktivierung von HPAI bei der Pasteurisierung von Eiern bewährt, die bei niedrigeren Temperaturen erfolgt als die von Milch.
Allerdings handele es sich um eine neuartige und sich entwickelnde Situation, hebt die FDA hervor. Aus diesem Grund arbeite sie eng mit dem USDA zusammen, um zusätzliche Daten und Informationen speziell zu HPAI zu sammeln und auszuwerten. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass ein Nachweis viraler RNA keineswegs als Nachweis infektiöser Viren anzusehen ist.
In einem aktuellen Preprint von Forschenden um Dr. Xiao Hu vom College of Veterinary Medicine der Iowa State University in Ames, USA, wird berichtet, dass die bisher sequenzierten Genome der Virusisolate untereinander fast identisch sind und den neuen Genotyp B3.13 innerhalb der Klade 2.3.4.4b bilden. B3.13-Viren haben seit 2023 zwei Reassortierungen durchlaufen und weisen kritische Mutationen in den Genen für Hämagglutinin (HA), für das Matrixprotein 1 (M1) und für Nichtstrukturproteine (NS) auf. Kritische Mutationen in den Genen für die Polymerase-bindenden Proteine PB2 und PB1, die die Virulenz oder die Anpassung an Säugetiere erhöhen, wurden hingegen nicht nachgewiesen. Allerdings unterstreiche die PB2-Mutation E627K des aus dem erkrankten Menschen isolierten Stamms das Potenzial für eine schnelle Evolution nach der Infektion, so die Forschenden.
Zwei stabförmige H5N1-Virionen unter dem Elektronenmikroskop / Foto: CDC/Cynthia Goldsmith/Jackie Katz
Die Gruppe berichtet, dass am 21. März 2024 im Veterinärdiagnoselabor der Iowa State University Milchproben von Milchkühen und Frischgewebe von Katzen aus Texas eingingen. RT-PCR-Tests ergaben positive Ergebnisse für das H5N1-Virus der Klade 2.3.4.4b in den Milchproben der betroffenen Milchkühe sowie in Gehirn- und Lungengewebe von zwei Hauskatzen, die Berichten zufolge rohes Kolostrum (Vormilch) und Milch in einer Molkerei in Texas konsumiert hatten. Die Untersuchungsergebnisse wurde von den National Veterinary Service Laboratories in Ames, Iowa, bestätigt.
Nach wie vor muss ein Influenzavirus hohe Hürden überwinden, um sich an den Menschen anzupassen, wie ein Nachrichtenbeitrag des Fachjournals »Science« im vergangenen Jahr anschaulich erklärte. Aber die Situation wird brenzliger. Daher sind eine strikte Überwachung des Virus, weitere Forschung und transparente Informationsübermittlung vonseiten der Behörden so wichtig.
Für den ungünstigen Fall, dass die Vogelgrippeviren die Artgrenze zum Menschen überwinden und sich an ihn anpassen, gibt es bereits Impfstoffe. Ende Februar gab die europäische Zulassungsbehörde EMA grünes Licht für zwei adjuvantierte Proteinimpfstoffe gegen die Vogelgrippe: Celldemic® und Incellipan® von Seqirus. Während der erste in Grippeausbrüchen eingesetzt werden kann, bei denen Tieren die H5N1-Viren auf Menschen übertragen werden, ist der zweite ein Pandemieimpfstoff: Für den Fall einer H5N1-Grippepandemie kann der Hersteller den pandemieverusachenden Virusstamm in diesen Impfstoff aufnehmen und die Zulassung des Impfstoffs als »endgültigen« Pandemieimpfstoff beschleunigt beantragen. Von solchen Musterimpfstoffen sind noch weitere zugelassen. Zudem sind etliche, auf der mRNA-Technologie basierende Impfstoffe in der fortgeschrittenen klinischen Entwicklung.