Vielfalt und Verfügbarkeit als Schlüssel |
Annette Rößler |
25.07.2024 18:00 Uhr |
Mit einer Präexpositionsprophylaxe für schwangere und stillende Frauen könnten zwei Menschen auf einmal vor einer HIV-Infektion geschützt werden. / Foto: Getty Images/golero
Anlässlich des Welt-Aids-Kongresses hat das UN-Programm für die Bekämpfung von Aids (UNAIDS) seinen aktuellen Jahresbericht vorgelegt. Demnach leben weltweit fast 40 Millionen Menschen mit HIV und geschätzt etwa 1,3 Millionen Menschen infizieren sich pro Jahr neu mit dem Virus. Statistisch betrachtet stirbt jede Minute ein Mensch an Aids.
Es besteht also nach wie vor ein großer Bedarf an wirksamen Präventionsstrategien – und dazu zählt trotz aller Misserfolge in der Vergangenheit auch die Impfung. Welche Ansätze bei der Entwicklung eines HIV-Impfstoffs zurzeit verfolgt werden und wie weit man damit ist, fasste Dr. Devin Sok, geschäftsführender Direktor für Antikörperentdeckung und -entwicklung bei der gemeinnützigen Forschungsorganisation International Aids Vaccine Initiative (IAVI), zusammen.
Das aktuell vielversprechendste Konzept sei es, mit einer Impfung breit neutralisierende Antikörper (bnAB) zu initiieren, informierte Sok. Hierzu hatte es erst kürzlich mehrere Publikationen mit positiven Ergebnissen gegeben. BnAB richten sich gegen konservierte Bereiche der Virushülle und sind deshalb in der Lage, viele verschiedene HIV-Typen zu erkennen. Auch die häufigen Mutationen, die eine Folge der »schlampigen« Replikation des Virus sind, sollten die Wirksamkeit von bnAb nicht schmälern – so die Hoffnung.
Sok zufolge zeigen diese Arbeiten, dass die Bildung von bnAb wie beispielsweise VRC01 auf verschiedene Arten provoziert werden kann. Das Verfahren ist deutlich komplizierter als bei anderen Impfungen, denn bnAb können nur von bestimmten Vorläufer-B-Zellen produziert werden. Diese müssen in einem Prozess namens Keimbahn-Targeting gezielt aktiviert und in mehreren Schritten zur Bildung von bnAb gebracht werden. »Es hat zehn Jahre gedauert, um zu belegen, dass das Konzept funktioniert. Das ist jetzt gelungen, aber damit sind wir noch lange nicht am Ziel«, sagte Sok.
Die verschiedenen Impfstoffkandidaten müssten jetzt in klinischen Studien ihre Wirksamkeit und Sicherheit unter Beweis stellen. »Die Studien-Pipeline ist robust und enthält zahlreiche vielversprechende Immunogene«, zeigte sich der Experte zuversichtlich. Er erinnerte allerdings an eine Lehre aus der Covid-19-Pandemie: »Impfstoffe beenden keine Epidemie, das tun Impfungen.« Damit eine potenzielle HIV-Impfung von Risikopopulationen auf der ganzen Welt angenommen wird, darf sie deshalb kein zu komplexes Impfschema erfordern. Und sie muss sehr wirksam sein, um sich mit anderen Präventionsansätzen messen zu können – die tags zuvor präsentierten Daten zur Lenacapavir-PrEP haben hier neue Maßstäbe gesetzt.
Allerdings ist Lenacapavir im Gegensatz zur oralen PrEP mit Emtricitabin/Tenofovirdisoproxilfumarat in dieser Indikation noch nicht auf dem Markt. Auch die orale PrEP bietet dem Anwender einen hervorragenden Schutz vor einer HIV-Infektion. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, so banal es klingt, dass sie zuverlässig angewendet wird.
Laut Dr. Elizabeth Irungu aus Kenia, die sich bei der gemeinnützigen Organisation Jhpiego wissenschaftlich mit Fragen zur Implementation vor allem in Niedrigeinkommensländern beschäftigt, ist dies neben der Verfügbarkeit der PrEP-Medikamente in den jeweiligen Ländern ein Haupthindernis. Die Gründe, warum potenzielle Anwenderinnen und Anwender die orale PrEP ablehnen, seien vielfältig und reichten von Angst vor Nebenwirkungen und einem mangelnden Bewusstsein für den Nutzen der PrEP bis hin zu Scham aufseiten der Beschäftigten im Gesundheitswesen, die sich nicht trauten, das Thema anzusprechen.
Zentral seien dabei das Stigma und die gesellschaftliche Ächtung, die nach wie vor mit einer HIV-Infektion einhergingen. »Potenzielle Anwenderinnen wollen die orale PrEP nicht, weil sie befürchten, dass sie die Einnahme nicht geheimhalten können und dass sie, wenn sie dabei ›erwischt‹ werden, als bereits infiziert wahrgenommen werden«, berichtete Irungu. Daher sei es wichtig, verschiedene PrEP-Alternativen anbieten zu können. Statt der Tabletten können sich junge Frauen etwa für einen PrEP-Vaginalring mit Dapivirin entscheiden. Eine weitere Alternative, auf deren baldige Verfügbarkeit sie hoffe, sei die subkutane Injektion von Lenacapavir alle sechs Monate.
Um mit der PrEP, deren bisherige Bilanz Irungu als »unterirdisch« bezeichnete, künftig mehr ausrichten zu können, müsse sie besser auf die jeweiligen Zielgruppen zugeschnitten werden. Beispielsweise sei in Vietnam die Rate der PrEP-Anwenderinnen unter Transgender-Frauen gestiegen, nachdem diese mit einem niedrigschwelligen und aufsuchenden Angebot gezielt adressiert worden seien. Eine drohende Non-Adhärenz müsse antizipiert, offen thematisiert und die oder der Betroffene darin bestärkt werden, weiterzumachen.
Eine überaus wichtige Zielgruppe für die PrEP seien schwangere und stillende Frauen. Sie seien besonders infektionsgefährdet. Laut UNAIDS-Bericht des Jahres 2023 ging zudem jede fünfte vertikale HIV-Infektion, also die Ansteckung eines Babys bei seiner Mutter, auf Neuinfektionen in der Schwangerschaft und Stillzeit zurück. Es sei deshalb essenziell, dass PrEP-Präparate auch für Schwangere und Stillende verfügbar würden. »Damit schützen wir zwei Menschen auf einmal«, betonte Irungu.