Viel Geld für fragwürdigen Nutzen |
Wie können die Krankenkassen Geld sparen? / © GettyImages/
Eisenlohr
Die Gesetzliche Krankenversicherung hat im vergangene Jahr ein Defizit von über sechs Milliarden Euro verzeichnet. Daher wird aktuell viel darüber diskutiert, wie eine finanzielle Stabilisierung der Krankenkassen gelingen kann.
Vor diesem Hintergrund haben die Technische Universität (TU) Berlin, die Techniker Krankenkasse (TK) und das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) in einer gemeinsamen Studie medizinische Leistungen mit fragwürdigem Nutzen untersucht, deren vermeidbare Kosten in Zukunft zum Teil eingespart werden könnten. Das erläuterte das Zi in einer Pressemitteilung. Dazu gehören etwa die Messung der Schilddrüsenhormone fT3/fT4 bei Personen mit bekannter Schilddrüsenunterfunktion oder die Bestimmung von Tumormarkern ohne bestehende Krebsdiagnose.
Insgesamt wurden in der Studie 24 medizinischen Leistungen identifiziert, deren Nutzen für die gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten aus medizinischer Sicht in Frage gestellt werden kann, die aber gleichwohl relativ häufig erbracht und abgerechnet werden. Die Auswertung von TK-Abrechnungsdaten hat ergeben, dass von 10,6 Millionen untersuchten Leistungen pro Jahr durchschnittlich zwischen 430.000 (4 Prozent) und 1,1 Millionen Fälle (10,4 Prozent) als Leistungen mit geringem medizinischen Wert eingestuft werden können.
Die direkten Kosten für diese Leistungen belaufen sich im ambulanten Sektor der TK demnach auf etwa zehn bis 15,5 Millionen Euro jährlich. Im Jahr 2023 hat die TK gut sieben Milliarden Euro für ärztliche Behandlungen ausgegeben.
Das sind die zentralen Ergebnisse des von den drei Projektpartnern betreuten Forschungsprojekts »IndiQ – Entwicklung eines Tools zur Messung von Indikationsqualität in Routinedaten und Identifikation von Handlungsbedarfen und -strategien«. Die wissenschaftliche Studie mit einer Laufzeit von vier Jahren (Mai 2020 – April 2024) ist vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses mit etwa 800.000 Euro gefördert worden. Geleitet wurde das Projekt von Verena Vogt, die am TU-Fachgebiet Management im Gesundheitswesen von Reinhard Busse gearbeitet hatte. Vogt lehrt und forscht mittlerweile am Universitätsklinikum in Jena.
»Die im Rahmen der Studie betrachteten Leistungen sollten aus ärztlicher Sicht nur unter größtmöglicher Zurückhaltung erbracht werden. Dies erfordert eine besonders kritische Indikationsstellung, also eine besonders kritische Entscheidung, ob und wann diese in eine Behandlung einfließen sollen. In dem von uns als Konsortialpartner mitbetreuten IndiQProjekt wurde anhand von Abrechnungsdaten versucht, die Häufigkeit dieser Leistungen mit fragwürdigem medizinischen Nutzen zu quantifizieren«, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dominik von Stillfried.
Das Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß § 12 SGB V sehe vor, dass Leistungen, die von Leistungserbringern erwirkt beziehungsweise von Krankenkassen bewilligt werden, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein sollen, so von Stillfried weiter. Im Umkehrschluss sollten also Leistungen nicht gewährt werden, die über eine individuelle Bedarfsdeckung hinausgehen oder keinen hinreichend gesicherten medizinischen (Zusatz-)Nutzen aufweisen.
Die hier ausgewählten Leistungen können laut von Stillfried jedoch nicht sämtlich per se entfallen. In Zeiten knapper Finanzen und zunehmender Personalengpässe könne ein kritischerer Einsatz aber dazu beitragen, die schwindenden Ressourcen für wesentlichere Aufgaben in der ambulanten Versorgung einzusetzen und zum Teil die Honorarverteilung unter der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) zu entlasten. Daher sei das weitere Monitoring sinnvoll.
Auf Basis des jetzt entwickelten Monitorings lasse sich nach Einschätzung des Zi-Vorstandsvorsitzenden zentraler Handlungsbedarf identifizieren, mit dem Überversorgung vor allem bei Indikatoren mit hoher Fallzahl reduziert werden kann.
»Ein Beispiel hierfür ist der Indikator ›Bestimmung der Schilddrüsenhormone fT3/fT4‹, der zeigt, dass in 315.622 Fällen bei 214.347 Patientinnen und Patienten mit diagnostizierter Schilddrüsenunterfunktion unangemessene Laborkontrollen durchgeführt worden sind. Der TSH-Wert gilt jedoch bereits als aussagekräftiger Indikator. Eine zusätzliche Messung von fT3/fT4 liefert keine weiteren diagnostischen Erkenntnisse. Aber ein einzelner fT3 oder fT4 Test kostet 3,70 Euro und mehr. Damit wären insgesamt über 2,15 Millionen Euro allein für diese Laboruntersuchungen vermeidbar gewesen«, bekräftigte von Stillfried.
Ein anderes Beispiel sei die Bestimmung von Tumormarkern ohne bestehende Krebsdiagnose, die zur Verlaufskontrolle bei bestehenden Krebserkrankungen und nicht zur allgemeinen Diagnostik dienen. Dennoch sind in den Abrechnungsdaten jedes Jahr 50.000 bis 60.000 Fälle solcher Tests ohne bestehende Krebsdiagnose zu finden. Dadurch entstünden Jahr für Jahr rund 520.000 Euro an vermeidbaren Kosten.