Verzögerte Magenentleerung doch kein Problem? |
| Annette Rößler |
| 24.04.2024 12:00 Uhr |
Kann vor einer Notfall-OP ein Inkretinmimetikum nicht rechtzeitig abgesetzt werden, ist das laut einer neuen Datenauswertung offenbar nicht weiter problematisch. / Foto: Adobe Stock/Santiago Nunez
Inkretinmimetika wie Semaglutid und Tirzepatid verzögern die Magenentleerung. Deshalb kann es passieren, dass Patienten, die diese Medikamente anwenden und operiert werden sollen, trotz der vorgeschriebenen Nahrungskarenz vor der OP noch Speisereste im Magen haben. Diese können sie im anästhesierten Zustand aspirieren, was zu schweren Lungenentzündungen führen kann. Hiervor hatten erst kürzlich Forschende im Fachjournal »JAMA Surgery« gewarnt. In den USA gibt es bereits die offizielle Empfehlung, GLP-1-Rezeptoragonisten (RA), die wöchentlich angewendet werden, eine Woche vor einer geplanten OP abzusetzen.
Laut einer neuen Publikation im ebenfalls zur »JAMA«-Familie zählenden Fachjournal »JAMA Network« ist dieses Problem jedoch in der Praxis kaum relevant. Das Autorenteam um Dr. Anjali A. Dixit von der Stanford University in Kalifornien berichtet darin über die Ergebnisse einer Datenbank-Auswertung, in die 23.679 Patienten eingeschlossen wurden. Diese waren notfallmäßig operiert worden, sodass ein möglicherweise angewendetes Inkretinmimetikum gar nicht vorher geplant abgesetzt werden konnte. Allerdings sind Patienten bei einer Not-OP auch nicht zwangsläufig nüchtern, sodass auch jene, die kein Inkretinmimetikum anwendeten, möglicherweise etwas im Magen hatten.
Insgesamt waren 3502 der Teilnehmer (14,8 Prozent) Anwender eines GLP-1-RA. In dieser Subgruppe kam es nach der Operation bei 3,5 Prozent der Patienten zu respiratorischen Komplikationen, während das in der Gruppe ohne GLP-1-RA-Anwendung bei 4,0 Prozent der Patienten der Fall war. Nach der Adjustierung für weitere Risikofaktoren bestand kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen.
Anhand dieser Daten lasse sich kein erhöhtes Risiko für Atemwegskomplikationen bei Operationen unter der Anwendung eines GLP-1-RA feststellen, schlussfolgern die Autoren. Somit sei fraglich, ob diese Medikamente vor einer OP tatsächlich unbedingt abgesetzt werden müssen. Allerdings konnte in dieser Studie nicht überprüft werden, ob die Patienten, die als GLP-1-RA-Anwender gezählt wurden, die Medikamente auch tatsächlich anwendeten, da lediglich Verordnungsdaten herangezogen wurden. Auch war nicht ersichtlich, wie lange die Patienten jeweils bereits auf das Inkretinmimetikum eingestellt waren.
Hier könnte auch eine Erklärung für die abweichenden Ergebnisse liegen. Denn dass die Arzneistoffe die Magenentleerung verzögern, ist Teil des Wirkmechanismus und somit eigentlich unstrittig. Allerdings scheint es dabei einen Gewöhnungseffekt zu geben, sodass die Magenpassage bei längerer Anwendung auch kaum noch verzögert sein kann. Wenn bei einem Patienten mit einer entsprechenden Medikation eine OP ansteht, könnte somit auch die Länge der Anwendungsdauer künftig für die Empfehlungen zum perioperativen Management eine Rolle spielen.