| Cornelia Dölger |
| 19.11.2025 15:50 Uhr |
»Wir sagen Nein zu Strukturaufweichungen, die den Markenkern Apotheke aushöhlen«, so Kammerpräsidentin Cathrin Burs in Hannover. / © PZ/Dölger
»Der rote Geist Apotheke light, den wir zurück in die Flasche gedrängt glaubten, ist mit voller Wucht zurück«, so Burs. Zentrale Inhalte der Apothekenreform, genauer: des Apothekenversorgungs-Weiterentwicklungsgesetzes – ApoVWG – nahm die Kammerpräsidentin in ihrem Bericht zur Lage auseinander. Kritik haben die Apotheken reichlich – von der versprochenen, aber fehlenden Honorarerhöhung über besagte geplante PTA-Vertretungsbefugnis bis zur laxen Verhandlungslösung.
Der mit dem Ampelscheitern vermeintlich erstickte Referentenentwurf des ehemaligen Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) sei »einfach aus der Schublade« gezogen worden – und dies ohne Rückbesinnung darauf, was in all den politischen Gesprächen seinerzeit mit den Oppositionsvertretern besprochen wurde, kritisierte Burs.
Dass die Verwaltungsebene im Bundesgesundheitsministerium (BMG) eine gewisse Beständigkeit aufweise, sei zu begrüßen; andernfalls ginge zu viel Expertise verloren. So habe der langjährige BMG-Abteilungsleiter Arzneimittel und Medizinprodukte, Thomas Müller, viel Arbeit in die Reformüberlegungen gesteckt. »Was aber nicht geht, ist das Agieren der politischen Entscheidungsträger«, so Burs. Beteuert werde, einen Dialog führen zu wollen, um gemeinsam Lösungen zur Stabilisierung des strauchelnden Gesundheitswesens zu finden. »Getan wird das genaue Gegenteil davon.« Von einem Politikwechsel könne keine Rede sein. Burs: »Vertrauen kommt zu Fuß und es geht im Galopp. Das scheint in unserer Regierungsmannschaft noch nicht so richtig angekommen zu sein.«
Ein »wirklicher Diskurs für gute Regelwerke« sei offenbar nicht gewollt, so Burs. Dabei ergebe sich allein aus dem Demokratieprinzip die Pflicht des Staates zur Aufmerksamkeit gegenüber den Bürgern für die Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Inzwischen entstehe der Eindruck, dass die Nachricht über die wirtschaftlich desolate Lage vieler Apotheken »längst schon keine aufrichtige Betroffenheit in den Gesprächen mehr auslöst«. Dabei gehe das Apothekensterben weiter, alleine in Niedersachsen hätten in diesem Jahr 34 Apotheken geschlossen. Weitere Schließungen seien noch bis zum Jahresende zu erwarten. Auf kommunalpolitischer Ebene zünde eine Betriebsschließung noch, mit jedem Schritt höher auf der politischen Ebene verflüchtige sich diese Nähe aber ein Stück mehr.
Die Politik versäume es aber bislang, die Apotheken wirtschaftlich besser zu stellen. Die Formel für den »Unternehmensplan« laute vielmehr »Bürokratieabbau plus Mehraufgaben minus pharmazeutische Qualität ist gleich Apothekenrettungsschirm«. Mit dieser »genialen Formel« würde das BMG es »glatt in die Start-up-Show Höhle des Löwen« schaffen, kommentierte Burs schwarzhumorig.
Burs erteilte der geplanten PTA-Vertretungsbefugnis eine klare Absage. Das fachliche Fundament der Approbierten sei »nicht durch die vage skizzierte Weiterqualifizierung substituierbar«. PTA seien unentbehrlich, hätten aber nicht die fachlichen Voraussetzungen für die Leitung einer Apotheke. Denn nichts anderes sei mit der Vertretungsidee gemeint: »Die Vertretung in der Apotheke, ob für Stunden, Tage oder Wochen, bedeutet Leitung einer Apotheke.«
Die Leitung sei aber unabdingbar an die Approbation gebunden und mit einer persönlichen Haftung verbunden. »Es geht hier um den Kern unserer Freiberuflichkeit«, so Burs. Dies müsse auch Kolleginnen und Kollegen vermittelt werden, die sich womöglich über neue Spielräume freuen würden. Mit einer solchen Freigabe würde »die Axt an unseren freien Beruf« gelegt.
Die »delegierbaren höchstpersönlichen Kernaufgaben« müssten im Auge behalten werden. Es gelte, dem »europäischen Liberalisierungswind, der allen freien Berufen entgegenbläst«, zu trotzen. Burs warnte: »Unser Berufsrecht muss in sich schlüssig bleiben, denn auf Widersprüche reagiert der Europäische Gerichtshof im Recht der freien Berufe empfindlich.«
Attacken auf die geschützten Strukturen im Gesundheitsmarkt gebe es reichlich, so Burs mit Blick auf die Vorstöße von dm und Co. Um so unverständlicher sei, dass das BMG mit den Reformplänen funktionierende Strukturen angreife. Nichts anderes stelle die Idee »zur Einführung von Apotheken erster und zweiter Klasse« dar.
Der Referentenentwurf stelle zudem die Notwendigkeit der Dienstbereitschaft von den Füßen auf den Kopf. »Die Betriebsinhaber sollen ihre Apotheken nach Gutdünken öffnen und schließen dürfen, getreu dem Motto, der Markt wird es schon richten«, so Burs. Apotheken seien aber »keine Krämerlädchen«, sondern Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Dafür brauche es eine Verlässlichkeit in der Präsenz. »Das sollte auch dem BMG klar sein.«
»Wir sagen Nein zu Strukturaufweichungen, die den Markenkern Apotheke aushöhlen«, so Burs entschieden. »Vollkommen unnötig« habe das BMG Baustellen aufgemacht, »die keine sind und um die niemand gebeten hat«. Es gelte also, »kurzen Prozess« mit dem Referentenentwurf zu machen und ihn »um diese sinnlosen, aber gefährlichen Bestimmungen« abzuspecken.
Es brauche ein »Apothekenversorgungsweiterentwicklungsgesetz, das seinen Namen verdient«. Die Kammerpräsidentin kündigte an: »Auf dieser Basis machen wir uns weiter auf den Weg der finanziellen Stärkung der Apotheke vor Ort, die uns zugesagt wurde.«
Zur aktuellen Reform des aufsuchenden Bereitschaftsdienstes in Niedersachsen referierte Thorsten Schmidt, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Niedersachsen.
Vertragsärztinnen und -ärzte seien auch in Niedersachsen überlastet. Auf Dauer sei dadurch die ambulante Versorgung gefährdet. Bislang habe es 75 Bereitschaftsdienste und 70 Bereitschaftsdienst-Praxen gegeben, dazu gab es kleinteilige Vertreterregelungen und uneinheitliche Fahrdienststrukturen. »Wir mussten da ein paar Bausteine einbauen«, so Schmidt.
Das Credo sei: »Von der Pflicht zum Recht«. Dafür sei insbesondere der Einsatz von Telemedizin verstärkt worden, zudem werde auch nicht-ärztliches Personal eingesetzt, die Bereitschaftsdienst-Bereiche wurden auf acht reduziert. Die Reform läuft seit Sommer 2025 unter der Bezeichnung »KVN.akut«.
Ärzte sollen demnach auch standortunabhängig arbeiten können. Teleärzte sollten elektronische Rezepte und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen können. Dass die KV hier mit der Doc-Morris-Tochter Teleclinic zusammenarbeitet, sei für die Apotheken sicher »ein sensibles Thema«, so Schmidt. Man habe sich für die Teleclinic »schlichtweg nur entschieden«, weil dies der einzige Anbieter sei, der die Anforderungen der KV etwa an die Software aktuell erfülle. In zwei Jahren laufe die Ausschreibung aus, danach gebe es möglicherweise weitere Anbieter, so Schmidt.
Alle Anrufer der Nummer 116117 durchlaufen demnach wie bisher die strukturierte Ersteinschätzung. Wenn eine zeitnahe Behandlung nötig und keine Praxis verfügbar ist, erfolgt binnen kurzer Zeit eine telemedizinische Betreuung per Telefon oder Video. Die Anzahl der Beschwerden sei durch den schnellen Arzt-Patienten-Kontakt deutlich zurückgegangen, so Schmidt.
Die Reform sieht zudem vor, dass es keine verpflichtende Teilnahme der niedergelassenen Ärzte mehr am Fahrdienst geben soll. Hausbesuche sollen nur erfolgen, wenn der Tele-Arzt sie für medizinisch notwendig hält. Die Fahrdienste übernimmt die Johanniter Unfallhilfe, die auch Ärztinnen und Ärzte angestellt hat. Zum Einsatz kommt dabei auch nicht-ärztliches, speziell geschultes Personal.