Versorgungsmangel für HIV-PrEP festgestellt |
Daniela Hüttemann |
01.02.2024 17:00 Uhr |
Apotheken mussten in den letzten Wochen und Monaten viel telefonieren, um Therapielücken in der HIV-Behandlung und -Präexpositionsprophylaxe zu verhindern. / Foto: Imago/ANP
Nachdem heute Vormittag das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bereits von einer Entspannung der Versorgungslage für HIV-Mittel mit Emtricitabin und Tenofovir gesprochen hatte, hat das Bundesgesundheitsministerium den Versorgungsmangel nun offiziell im »Bundesanzeiger« festgestellt. Das erleichtert Importe.
Zugleich fand heute am frühen Nachmittag ein Runder Tisch zwischen Behörden, Herstellern und den Fachgesellschaften statt. Für die Apothekerschaft war Erik Tenberken dabei, Inhaber der Birken-Apotheke in Köln und Vorstandsmitglied der DAH2KA, der Deutschen Arbeitsgemeinschaft HIV- und Hepatitis-kompetenter Apotheken. »Man sieht, es tut sich endlich etwas«, so Tenberken gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung. Die Fachgesellschaften hatten bereits im November Alarm geschlagen und sich sogar zweimal in einem Brief an den Bundeskanzler höchstpersönlich gewandt.
Der Apotheker begrüßte nun die Feststellung des Versorgungsmangels mit ihren erweiterten Importmöglichkeiten, freute sich aber vor allem, dass die Hersteller sichtlich bemüht seien, mehr Packungen auszuliefern. »Ich bin zwar nicht euphorisch, aber optimistisch, dass sich die Lage nun täglich bessert, auch wenn nicht von jetzt auf gleich der ganze Bedarf gedeckt sein wird.«
Wie Tenberken vom Runden Tisch berichtete, habe Heumann gerade 9000 Packungen freigegeben. Von Ratiopharm sollen 30.000 Packungen kommen, davon 7500 sofort und weitere 7500 weitere Packungen kommende Woche. Allerdings liefern beide Hersteller nach Tenberkens Angaben (Stand heute) nicht an den Großhandel, sondern nur auf Direktbestellung. Und hier sind die Kontingente noch begrenzt. Tenberken wollte 500 Packungen bei Ratiopharm bestellen, bekam aber erst einmal nur fünf geliefert. Diese seien im neuen Verpackungsdesign und keine Bündelware mehr, was auf ein erfolgreiches Anlaufen der Produktion nach der Umstellung schließen lasse.
»Wir von der DAH2KA haben in den letzten Wochen täglich mit den Herstellern telefoniert – was in der Realität ankam, unterschied sich dann doch sehr von den offiziellen Angaben.« Tenberken lobte aber den offenen Austausch am Runden Tisch. »Wir ziehen wirklich an einem Strang für die Patienten.«
Seine Kunden habe er immer noch versorgen können, wenn auch mit Wartelisten und täglichen Nachbestellungen unter anderem bei Originalhersteller Gilead, dessen Präparat Truvada® deutlich teurer als die Generika ist, aber aufgrund der ALBVVG-Regelungen auch zulasten der Krankenkassen abgegeben werden konnte, da zeitweise nichts anderes zu bekommen war. Auch hätten sich die Apotheken mit HIV-Schwerpunkt so gut es ging untereinander ausgeholfen, um keine Therapielücken entstehen zu lassen. »Dies alles hat die Apotheken täglich mehrere Stunden Arbeit zusätzlich gekostet«, berichtet Tenberken.
Grundsätzlich begrüßt auch die Deutsche Arbeitsgemeinschaft ambulant tätiger Ärztinnen und Ärzte für Infektionskrankheiten und HIV-Medizin das Engagement des BfArM. »Die angekündigten Lieferkontingente sind erfreulich, wenn sie tatsächlich zeitnah eintreffen«, heißt auf Anfrage der PZ. Doch die Skepsis bleibt, weil eine Besserung der Lage bereits für den Januar in Aussicht gestellt war, aber das Gegenteil eintraf.
Die Arbeitsgemeinschaft hält an ihrer Kritik fest: »Mit einem frühzeitigen Eingreifen hätte der eklatante Versorgungsmangel verhindert werden können, vor dem wir bereits Ende November 2023 ausdrücklich gewarnt hatten«, heißt es gegenüber der PZ. Neben dem Vertrauensverlust durch das verspätete Eingreifen sei die Versorgungssicherheit von HIV-Patientinnen und Patienten sowie der Erfolg in der HIV-Prävention aufs Spiel gesetzt worden, kritisiert sie.
Für zentral halten die HIV-Mediziner nun die zeitnahe Aufarbeitung und Benennung der strukturellen Probleme, die zu den Versorgungsengpässen geführt haben. »Bis zum Zeitpunkt flächendeckender Verfügbarkeit besteht zudem eine hohe Unsicherheit bei der Verordnung und Abgabe, da Regress- und Retaxforderungen drohen, wenn zum Beispiel das teurere Originalpräparat abgegeben wird. Die Frage nach der Einhaltung der Generikaquoten wurde ebenfalls nicht geklärt«, bemängeln sie.
Emtricitabin/Tenofovir wird sowohl zur Behandlung als auch Prophylaxe einer HIV-Infektion eingesetzt. Als dauerhafte Präexpositionsprophylaxe (PrEP) nehmen Schätzungen des Robert-Koch-Instituts zufolge rund 40.000 Menschen in Deutschland das Arzneimittel täglich ein.