»Versorgungsfremder Formalismus« der Krankenkassen |
Melanie Höhn |
10.09.2025 15:30 Uhr |
Ein hessischer Kardiologe hat in den Quartalen 1/2015 bis 2/2018 Sprechstundenbedarfsverordnungen nicht persönlich unterzeichnet, sondern einen Unterschriftenstempel (Faksimilestempel) verwendet. / © Adobe Stock/gopixa
Ende August wurde bekannt, dass ein hessischer Kardiologe 490.000 Euro zahlen muss, weil er Verordnungen nicht unterschrieben, sondern gestempelt hatte. Das BSG bestätigte die Entscheidung des Sozialgerichts Marburg und erklärte, dass der Kardiologe die bestehende Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung verletzt habe. Der Kardiologe habe in den Quartalen 1/2015 bis 2/2018 Sprechstundenbedarfsverordnungen nicht persönlich unterzeichnet, sondern einen Unterschriftenstempel (Faksimilestempel) verwendet. Die persönliche Unterschrift – auch in Form einer qualifizierten elektronischen Signatur – sei jedoch ein wesentlicher Bestandteil der Gültigkeit einer Verordnung.
Frank Dastych und Armin Beck, die Vorstandsvorsitzenden der KV Hessen, kritisieren diese Entscheidung stark und erklärten deshalb heute dazu in Frankfurt: »Es muss niemanden mehr verwundern, dass eine Niederlassung in der ambulanten Versorgung für junge Mediziner nicht mehr infrage kommt, wenn man auf das schaut, was mit dem Urteil des BSG seinen traurigen, zwischenzeitlichen Höhepunkt gefunden hat. Tollhaus und Absurdistan sind die Begriffe, die uns dazu am ehesten einfallen«, so Dastych und Beck.
Richtig sei, dass der Kollege einen Fehler gemacht habe. Doch durch diesen Fehler sei kein finanzieller Schaden entstanden, argumentieren die Vorstände. »Dieses Problem hätte sich – auf dem kleinen Dienstweg und unbürokratisch – lösen lassen können. Doch leider, und an dieser Stelle muss man das so hart sagen, beharren die hessischen Krankenkassen hier offenbar lieber auf einem völlig versorgungsfremden Formalismus, als die Existenz einer kardiologischen Praxis in Kauf zu nehmen. Denn diese ist durch diesen Regress massiv gefährdet«, erklärten Dastych und Beck.
Und damit habe man eine Dimension erreicht, die an dieser Stelle weit über diesen »konkreten und höchst bedauerlichen Fall hinausweist: Der Frage nämlich, welche Verantwortung Krankenkassen für die Versorgung tragen? Denn die Rolle der Krankenkassen muss doch sein, Versorgung zu ermöglichen und nicht sie durch Regelungen, Anfragen ohne Ende und Prüforgien im Ergebnis und konkreten Fall zu ersticken«, erklärten sie weiter. »Wer schützt denn hier wen vor wem? Werden die Versicherten vor einem vermeintlichen Missbrauch ihrer Gelder geschützt? Oder führt dieser Schutz nicht am Ende dazu, dass weniger Versorgung stattfindet?«
Formal sei alles nach Gesetz abgelaufen. »Doch wenn diese Regelungen zu solch falschen Ergebnissen führen, dann sind nicht nur diese Regelungen falsch und zu ändern, sondern auch die, die auf ihre Einhaltung pochen, auf einem gefährlichen Irrweg.«
Auch die Vorstände der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hatten die BSG-Entscheidung bereits scharf kritisiert. Die KBV-Vorstände Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner erklärten, dass die Entscheidung des BSG »absurd und unglaublich« sei.