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Lebenserwartung

Vernunft trifft auf Genuss

Welche Faktoren entscheiden darüber, wie lange man lebt? Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Gesundheitsvorsorge des Einzelnen und der allgemeinen Lebenserwartung? Zu diesen Fragen diskutierten zwei Experten im Rahmen der Reihe Gegenwartsfragen des Psychosozialverlags.
Angela Kalisch
31.01.2025  07:00 Uhr

Seit den Nachkriegsjahrzehnten ist die allgemeine Lebenserwartung hierzulande kontinuierlich angestiegen. Ist bei dem Trend ein Ende in Sicht? Anscheinend erst mal nicht: In den USA und auch in anderen westlichen Ländern ist zu beobachten, dass die Lebenserwartung zwar inzwischen langsamer steigt oder sogar stagniert, aber nicht mehr abfällt. Im Durchschnitt werden Männer in Deutschland zurzeit knapp 80, Frauen 83 Jahre alt.

Wie aber lässt sich die Lebenserwartung jedes Einzelnen und auch insgesamt in der Bevölkerung steigern? Und das bei guter Gesundheit im Alter. Darüber diskutierten die Sozialwissenschaftler Friedrich Schorb (Universität Bremen) und Frank Schulz-Nieswandt (Universität Köln) im Rahmen der Reihe Gegenwartsfragen des Psychosozialverlags unter dem Titel »Langlebigkeit als kommerzielles Gesundheitsprodukt – bleibt das humanistische Menschenbild auf der Strecke?«

Individuum und Gesellschaft

Die beiden Stellschrauben für eine höhere Lebenserwartung sind: infrastrukturelle Maßnahmen, die auf die gesamte Gesellschaft wirken, und Gesundheitsvorsorge, die jeder Einzelne durch sein Verhalten beeinflussen kann. So hat beispielsweise die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser, die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten sowie die Schaffung von stabilen politischen Rahmenbedingungen einen hohen Effekt auf alle. Zusätzlich kann jeder Mensch durch Prävention sein individuelles Krankheitsrisiko minimieren.

Nach Ansicht von Schorb ist in der jüngsten Vergangenheit allerdings eine Schieflage entstanden, die nun deutlich mehr Verantwortung von jedem Einzelnen erwartet. Er macht das am Beispiel Übergewicht deutlich. Vielen sei gar nicht bewusst, wie sehr übergewichtige Menschen stigmatisiert und diskriminiert würden. Das hinge damit zusammen, dass Übergewicht nicht als »unveränderliches Schicksal« wahrgenommen werde, sondern als Folge von »mangelnder Disziplin«.

Dagegen werde eine Benachteiligung aufgrund von Geschlecht, ethnischer Herkunft oder sexueller Orientierung gemeinhin als ungerecht empfunden. Das negative Einstellung beim Thema Übergewicht wird laut Schorb damit gerechtfertigt, dass Betroffene sich einfach mehr anstrengen müssen. Eine Ungleichbehandlung sei gesellschaftlich sogar gewollt, damit Menschen motiviert blieben. Es handele sich um eine moralische Wertung, die weit mehr verbreitet ist als nur beim Übergewicht.

Grundrecht steht Verantwortung gegenüber

Schulz-Nieswandt betonte die Ambivalenz bei den Determinanten für Langlebigkeit und Hochaltrigkeit. Auf der einen Seite das Recht auf Gesundheit, auf der anderen Seite die Pflicht zur Gesundheit. Ein gutes Leben im Alter zu führen, sei eine Grundrechtsdebatte. Im Diskurs über erfolgreiches, produktives Altern stecke aber auch eine ökonomische Erwartungshaltung. Dabei geht es um die Rolle der Mitverantwortung in einer Solidargemeinschaft.

Das zeige sich beispielsweise anhand der Impfdebatte. Jeder hat das Recht, sich gegen eine Impfung zu entscheiden, allerdings gefährdet er damit unter Umständen die Gesundheit seiner Mitmenschen. Was die richtige Entscheidung ist, ist nicht immer leicht zu beantworten. Erkrankt der Ungeimpfte schließlich schwer, kann er dennoch von der Gemeinschaft erwarten, dass diese seine Behandlungskosten trägt, ohne sein Verhalten zu bewerten.

Der Mensch wähle zwar seinen Lebensstil selbst. Das Leben bestehe aber nicht nur aus Pflicht und Vernunft, sondern natürlich auch aus Freude am Dasein. Die Zerrissenheit zwischen Vernunft und Genuss, also das Apollinisch-Dionysische, mache gerade den Menschen aus. Außerdem agiere der Mensch nicht losgelöst von seiner Umgebung und könne unmöglich die vollständige Kontrolle über sein Leben haben – auch wenn dieser Eindruck häufig vermittelt würde.

Es darf keinen Präventionsterror geben

Während man äußeren Einflüssen oft ohnmächtig gegenüberstehe, werde an das Subjekt die Forderung gestellt, für sich selbst zu sorgen. Damit seien viele Menschen jedoch schlichtweg überfordert, so Schorb. Vor allem auf die zahlungsfähige akademische Mittelklasse ziele ein lukrativer Markt ab, der zur ständigen Selbstoptimierung dränge. Ein perfekter Körper sei zum Statussymbol geworden, zum Ausdruck von Erfolg. Es gehe nicht mehr um Gesundheit im Sinne von Abwesenheit von Krankheit, sondern um die Zurschaustellung der eigenen Leistung. Als Schattenseite blicke man auf diejenigen hinab, die dabei nicht mithalten könnten.

Der moralische Diskurs sei nicht ganz falsch, meint Schulz-Nieswandt, man könne durchaus erwarten, dass Menschen sich um einen gesunden Lebensstil bemühten. »Ich auf Kosten anderer« sei ein genauso falscher Weg wie die drohende Entsolidarisierung mit Hilfsbedürftigen. Es dürfe nur nicht in einen alles erschlagenden Moralismus ausarten und in den Präventionsterror, mit dem die Menschen aus allen Richtungen zugeballert würden.

Soziale Beziehungen statt Fitness

Die ständige Messbarkeit, die Challenges, die man sich selbst setzt oder von der Technik gesetzt bekommt, führten nicht zwangsläufig zu einem gesünderen Leben, sondern zu noch mehr Stress. Schon piept wieder die Smartwatch und mahnt, man habe sich zu wenig bewegt oder schon wieder zu viele Kohlenhydrate zu sich genommen und sich nicht genug entspannt. Die Widersprüche seien schwer aufzulösen und führten zu noch mehr Frustration, so auch Schorb. Und das nicht nur bei denjenigen, die beim Manager-Marathon mitlaufen, sondern erst recht bei Menschen, die sich erst gar keine Smartwatch leisten können.

Statt die Verantwortung also auf den Einzelnen abzuwälzen, müsse es wieder um die Verbesserung der kollektiven Infrastruktur gehen, so das Fazit der beiden Referenten. Eine gesunde Lebensumwelt würde einen höheren Effekt auf die Lebensqualität und auch Lebenserwartung bringen als individuelle Maßnahmen, seien es medizintechnische oder pharmakologische Lösungen. Dabei gehe es nicht nur um Umweltfaktoren im engeren Sinne, sondern auch um eine Gesellschaft mit materieller Sicherheit und gelungenen sozialen Beziehungen, auch und vor allem im Alter.

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