Verjüngungskur für das Immunsystem |
Theo Dingermann |
02.04.2024 16:30 Uhr |
Die Zusammensetzung an hämatopoetischen Stammzellen, aus denen sich Blutzellen entwickeln, kann sich im Alter verändern. Dies lässt auch das Immunsystem altern – ein Vorgang, der sich teilweise aber umkehren zu lassen scheint. / Foto: Adobe Stock/Anusorn
Aus hämatopoetischen Stammzellen (HSC) entwickeln sich nicht nur alle zellulären Komponenten des Blutes, sondern sie erneuern sich auch ständig selbst. Dabei gibt es mindestens zwei Untergruppen von HSC, deren Verhältnis zueinander sich mit steigendem Lebensalter verschiebt. So nimmt der Anteil der sogenannten my-HSC, die vorwiegend zu myeloischen Zellen differenzieren, im Vergleich zu den sogenannten bal-HSC zu, die eine ausgewogene Produktion von lymphoiden und myeloischen Zellen sicherstellen.
Die altersbedingte Verschiebung von bal-HSC zu my-HSC resultiert in einer gesteigerten Produktion von Granulozyten und Monozyten im Knochenmark (Myelopoese), was bei älteren Menschen unter anderem zu einer verminderten adaptiven Immunität mit einem Anstieg von Entzündungen und verschiedenen myeloiden Pathologien führt.
Basierend auf diesen Erkenntnissen formulierten Forschende um Dr. Jason Ross vom Institut für Stammzellbiologie und regenerative Medizin an der Stanford University School of Medicine die Hypothese, dass sich ein gealtertes Immunsystem durch eine Korrektur der Zusammensetzung des HSC-Pools verjüngen lassen könnte. Konkret versuchten sie, durch eine Antikörper-vermittelte Entfernung (Depletion) von my-HSC in gealterten Mäusen die charakteristischen Merkmale eines jugendlicheren Immunsystems wiederherzustellen. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit publizierten sie kürzlich im Fachjournal »Nature«.
Um bevorzugt den Pool der my-HSC zu verkleinern, identifizierten die Forschenden zunächst die unterschiedlichen Oberflächenmarker, die die beiden Stammzelltypen exprimieren. Die für die my-HSC spezifischen Marker steuerten sie dann mit verschiedenen Antikörpern an, um die auf diese Weise markierten Zellen durch die Effektorfunktionen der gebundenen Antikörper zu depletieren. Dabei konzentrierten sie sich auf die Oberflächenstrukturen CD150, CD62p und NEO1, die bei my-HSC im Vergleich zu bal-HSC am deutlichsten dominieren.
Ob sie den Anteil an my-HSC erfolgreich reduzieren konnten, überprüften die Forschenden anhand von Genexpressionsprofilen hämatopoetischer Stammzell-Präparationen. Diese zeigten, dass die HSC nach der Antikörperbehandlung den Gensignaturen »junger« HSC mit einem angereicherten bal-HSC-Pool entsprachen. Zudem zeigte sich, dass dieser Zustand mindestens mehrere Monate nach einer einzigen Behandlung stabil blieb.
Die Effekte der Abreicherung der »störenden« Stammzellen waren bemerkenswert. Denn tatsächlich beeinflusste die Depletion von my-HSC bei gealterten Tieren auch die proinflammatorischen Mediatoren, darunter vor allem IL-1α43 und CXCL514, die im Alter vermehrt auftreten. Aber auch andere entzündungsfördernde Botenstoffe, einschließlich IL-1β44 und CXCL2, wurden nach der Neuadjustierung der hämatopoetischen Stammzellen in verringerten Konzentrationen gemessen.
Um festzustellen, ob eine Abreicherung von my-HSC auch die funktionelle Immunität gegen Infektionen verbessert, impften die Forschenden die behandelten Tiere mit abgeschwächten Lebendviren. Anschließend untersuchten sie, ob eine solche Impfung vor einer pathogenen Virusinfektion mit dem Friend-Retrovirus (FV) schützt. Der Immunschutz gegen FV beinhaltet eine komplexe Immunreaktion, die B-Zellen sowie CD4+- und CD8+-T-Zellen erfordert, die jeweils unverzichtbare Funktionen erfüllen.
Die behandelten älteren Mäuse zeigten nach der Impfung unter anderem eine erhöhte virusspezifische CD8+-T-Zell-Antwort in der Milz im Vergleich zu den gealterten Kontrollen. Alle Ergebnisse dieser Versuchsreihe deuteten darauf hin, dass die Depletion von my-HSC bei gealterten Mäusen die Immunantwort gegenüber Virusinfektionen deutlich verbesserte.
Die Forschenden testeten in ersten Untersuchungen, inwieweit die Erkenntnisse auch auf den Menschen zutreffen. Tatsächlich werden mehrere Maus-my-HSC-Gene auch in gealterten menschlichen HSC signifikant stärker exprimiert und korrelieren mit dem fortschreitenden Erwachsenenalter. Bemerkenswert ist, dass alle drei Maus-HSC-Marker (CD150, CD62p und NEO1), die die Forschenden als therapeutische Ziele für die In-vivo-Depletion von my-HSC nachgewiesen hatten, auch auf der Zelloberfläche einer Untergruppe menschlicher HSC vorhanden sind.
Dies veranlasst Ross in einer Pressemitteilung des Nachrichtendienstes »Mirage« zu der optimistischen Aussage, dass die Daten dieser Studie die Basis zur Anwendung einer analogen Strategie beim Menschen legen.