Verbraucherschützer monieren »Geschäft« mit IGeL |
Cornelia Dölger |
23.10.2024 12:30 Uhr |
Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) zahlt die Kasse nicht. Was aber, wenn Ärzte Kassenleistungen als IGeL verkaufen? / © IMAGO/Westend61
»IGeL« bedeutet »Individuelle Gesundheitsleistung«. Der Begriff impliziert, dass solche Leistungen nicht im Leistungskatalog der Krankenkassen stehen und daher von den Patientinnen und Patienten selbst bezahlt werden müssen. Immer wieder fühlten diese sich dabei zu Unrecht zur Kasse gebeten, wie der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) berichtet. Eine entsprechende Befragung zeige, dass IGeL inzwischen zum regelrechten Geschäft geworden seien.
Nach wiederholten Patientenberichten, dass in Praxen Kassenleistungen als IGeL verkauft würden, war der Bundesverband aufmerksam geworden und hatte die Verbraucherbefragung gestartet. Ausgewertet wurden knapp 300 auf der vzbv-Website eingegangene Meldungen. Nun liegt die Zwischenbewertung vor. Vorläufiges Fazit des vzbv: Es finde eine Umwandlung von Kassenleistungen in IGeL statt.
Der Verband unterlegt seine Einschätzung mit Beispielen. So hätten Verbraucherinnen berichtet, dass sie für eine Ultraschalluntersuchung der Brust selbst zahlen mussten, obwohl ein begründeter Verdacht auf eine bösartige Veränderung oder eine Überweisung vorgelegen habe. Teils als Selbstzahlerleistung abgerechnet wurden demnach auch notwendige augenärztliche Kontrolluntersuchungen sowie Tests zur Feststellung der Sehstärke.
Viele Berichte kamen demnach aus dem Bereich Hautkrebsvorsorge. Die Hautkrebsfrüherkennung wird ab dem 35. Lebensjahr alle zwei Jahre von der Krankenkasse übernommen. Hier kritisierten Patientinnen und Patienten, dass sie entweder die Kosten des Hautkrebsscreenings selbst tragen oder Zuzahlungen leisten sollten, etwa für die Nutzung eines Auflichtmikroskops. Es komme zudem vor, dass Ärztinnen und Ärzte in ihrem näheren Wohnumfeld die Hautkrebsuntersuchung als Kassenleistung schlichtweg nicht anböten.
Dermatologen müssen einmalig eine zertifizierte Fortbildung nachweisen, um die Früherkennung als Kassenleistung abrechnen zu können. Diese Voraussetzungen sollten Ärzte denn auch erfüllen, fordert der vzbv.
Kritik der Patientinnen und Patienten kam auch in Sachen Aufklärung. In knapp einem Fünftel der eingegangenen Meldungen hätten sie angegeben, nicht über die privat zu tragenden Kosten im Vorfeld der Behandlung informiert worden zu sein, schreibt der vzbv. In zwei Drittel der Fälle berichteten sie, dass sie trotz der Kosten die medizinische Leistung in Anspruch genommen haben.
»Es überrascht nicht, dass Patient:innen zusätzliche Kosten in Kauf nehmen«, so Michaela Schröder, Geschäftsbereichsleiterin Verbraucherpolitik im vzbv. Ihre Verhandlungsposition werde dadurch geschwächt, dass Termine bei anderen Ärzten meist nur mit langen Wartezeiten oder teils gar nicht zu bekommen seien. »Das erhöht die Zahlungsbereitschaft«, so Schröder.
Eine Praxis sei keine Verkaufsfläche. »Verbraucher:innen müssen darauf vertrauen können, dass sich ärztliches Handeln einzig am Bedarf der Patient:innen ausrichtet.« Ärztinnen und Ärzte seien verpflichtet, wahrheitsgemäß darüber aufzuklären, welche Leistungen unter welchen Bedingungen von der Krankenkasse übernommen werden.
Der Virchowbund relativierte die Dimension der Sachlage. Weniger als 300 Meldungen bei rund einer Milliarde Patienten-Arzt-Kontakten im Jahr seien bezeichnend, so Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Verbandes der niedergelassenen Ärzte (Virchowbund), zur PZ. »Selbstzahlerleistungen sind nicht das Problem unserer Zeit, sondern die Aufrechterhaltung der ambulanten Strukturen in Deutschland.«
Verbraucherinnen und Verbraucher wollten ihren Haus- und Facharzt um die Ecke mit möglichst wenig Wartezeit. Diese Strukturen stünden »durch die anhaltende Budgetierung, eine Unterfinanzierung in den Praxen und einen stetig wachsenden Fachkräftemangel« auf der Kippe. In Richtung Verbraucherschützer kritisierte er: »Stattdessen befassen sich die mit öffentlichen Geldern alimentierten Verbraucherzentralen mit populistischen Nischenthemen.«