Verbraucherschützer kritisieren Buchungsportale |
Für viele ältere Menschen ist die Nutzung digitaler Angebote eine Herausforderung. / © IMAGO/Westend61
Schnell an Arzttermine zu kommen, ist für Kassenpatienten oft nicht leicht. Losgehen kann das schon bei der Anfrage, wenn in der Praxis das Telefon dauernd besetzt ist oder nur der Anrufbeantworter anspringt. Teils lassen sich Termine per E-Mail vereinbaren. Und Gesundheitseinrichtungen setzen zusehends auch auf externe Portale. Die Verbraucherzentralen warnen aber vor einem generellen Verlagern von Terminbuchungen zu kommerziellen Internet-Anbietern. Auch Krankenkassen und Ärzte machen sich dafür stark, flexible Terminsuchen für Patientinnen und Patienten weiter auszubauen.
Online-Terminportale für Arzttermine würden populärer und brächten auch einen echten Mehrwert in der Versorgung, erläuterte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in einem aktuellen Marktcheck. Denn sie ermöglichten Buchungen jederzeit, auch wenn Praxen gerade geschlossen oder telefonisch nicht erreichbar sind. Problematisch werde es aber, wenn Patienten gezwungen seien, kommerzielle Portale zu nutzen, um überhaupt an Termine zu kommen. »Der Zugang zur ärztlichen Versorgung muss frei von wirtschaftlichen Interessen bleiben«, forderte der Gesundheitsexperte des Verbands, Thomas Moormann. Die künftige Bundesregierung müsse daher Mindeststandards für kommerzielle Portale festlegen und für nicht-kommerzielle Alternativen sorgen.
Laut einer Umfrage im Auftrag des vzbv unter Menschen, die das Internet nutzen, hatten 38 Prozent nach eigenem Bekunden in den zwölf Monaten zuvor einen Termin über eine Online-Plattform gebucht. Etwa die Hälfte dieser Befragten gab an, dass eine Terminvereinbarung per Telefon grundsätzlich nicht möglich oder die Praxis telefonisch nicht erreichbar gewesen war. Befragt wurden den Angaben zufolge 1000 Internetnutzerinnen und -nutzer ab 16 Jahren vom 23. bis 29. Oktober 2024 vom Marktforschungsinstitut Eye square.
Konkret fordern die Verbraucherzentralen, die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen mit der bundesweiten Hotline 116 117 zu einem flächendeckend funktionierenden Angebot auszubauen. Und für private Buchungsplattformen seien weitere Vorgaben erforderlich. So sollten Patientinnen und Patienten etwa kein Kundenkonto eröffnen müssen.
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) erklärte, es brauche beides – telefonische Erreichbarkeit und ergänzend eine verpflichtende digitale Terminvereinbarung für alle Arztpraxen. »Dann könnten Termine unbürokratisch auch außerhalb von Öffnungszeiten vereinbart werden«, sagte Sprecher Florian Lanz. Das würde Versicherte wie Praxispersonal entlasten.
»Wir fordern eine gesetzliche Verpflichtung für alle Arztpraxen, freie Termine tagesaktuell einem unabhängigen Onlineportal zur Verfügung zu stellen«, sagte Lanz. Daraus könnten gesetzliche Kassen, Kassenärztliche Vereinigungen und daneben auch kommerzielle Anbieter freie Termine vermitteln. Mit einheitlichen Regeln für alle Anbieter sei zu gewährleisten, dass es beim Zugang zu Praxen keine Vorauswahl nach finanziellen statt nach medizinischen Aspekten gibt.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) betonte, das System rund um die Nummer 116 117 biete multimediale Möglichkeiten für Terminbuchungen an. Im vergangenen Jahr seien darüber 2,7 Millionen Termine von niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen eingestellt worden, sagte KBV-Chef Andreas Gassen. Mit einer Option zu medizinischen Ersteinschätzungen biete die 116 117 gute Voraussetzungen, um Patienten in die richtige Versorgungsebene zu steuern.
»Diese Dienste verfolgen keine kommerziellen Interessen«, erläuterte Gassen. Und darüber könnten auch Lösungen entwickelt werden, die »klassische« Terminvereinbarungen mit Praxen über Telefon oder persönlichen Kontakt ermöglichten und so auch für nicht so digital affine Menschen funktionierten. Damit erfülle die 116 117 dann eindeutig eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und müsse auch gesamtgesellschaftlich finanziert werden. Alleine von den Praxen wie bisher sei das im Falle eines Ausbaus dann nicht mehr zu stemmen.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte, niedergelassene Praxen zu erreichen, werde offenkundig immer schwieriger. Die gesetzlichen Instrumente von Bund und Ländern reichten nicht aus. »Vor allem sind die Menschen in den Blick zu nehmen, für die Terminbuchungen über ein Online-Portal keine Option sind«, sagte Vorstand Eugen Brysch. »Betagte, pflegebedürftige und chronisch kranke Menschen sind in dieser Terminschlacht die Verlierer.«
Wenn die künftige schwarz-rote Koalition glaube, dies allein mit mehr Steuerung der Patienten hinzubekommen, werde sie an der prekären Lage nichts ändern, warnte Brysch. GKV-Sprecher Lanz sagte, egal, auf welchem Weg jemand suche: »Wer echte Gleichbehandlung will, sollte dafür sorgen, dass bei der Terminvergabe nicht mehr danach gefragt werden darf, ob jemand gesetzlich oder privat versichert ist.«
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthias Mieves griff die Debatte in einer Stellungnahme auf und warb für das im Koalitionsvertrag vorgesehene Primärarztsystem: »Wir müssen feststellen, dass wir mit dem System, wie es gerade läuft, nicht weiterkommen, weil zu viele Patientinnen und Patienten lange auf Facharzttermine warten müssen. Dabei haben wir im europäischen Vergleich nicht zu wenige Ärztinnen und Ärzte. Im Koalitionsvertrag haben wir daher ein Primärarztsystem vorgesehen. Das heißt, dass es einen Überweisungsvorbehalt für viele Fachrichtungen gibt – dafür aber mit Termingarantie«, erläuterte der Sozialdemokrat.
Die Details des neuen Systems müssten allerdings noch verhandelt werden, dabei wolle seine Partei eng mit den Verbraucherschützern zusammenarbeiten. »Patientinnen und Patienten wollen digitale Angebote. Wenn die gängigen Angebote am Markt aber Ungerechtigkeit verstärken, müssen wir etwas tun«, so Mieves.