Verbessertes Lernen dank Liraglutid |
Sven Siebenand |
21.08.2023 12:30 Uhr |
Liraglutid reduziert nicht nur das Gewicht, sondern verbessert offenbar auch das assoziative Lernen bei Menschen mit Adipositas. / Foto: Adobe Stock/monsitj
Das assoziative Lernen ist die Grundlage für die Bildung neuronaler Verknüpfungen. Es wird wesentlich vom dopaminergen Mittelhirn gesteuert. Diese Hirnregion hat viele Rezeptoren für körpereigene Hormone, etwa Insulin, und kann damit unser Verhalten an die physiologischen Bedürfnisse unseres Körpers anpassen.
Ein Team um Dr. Ruth Hanßen vom Max-Planck-Institut (MPI) für Stoffwechselforschung und der Uniklinik in Köln ist der Frage nachgegangen, was passiert, wenn die Insulinsensitivität im Körper durch Übergewicht verringert ist. Verändert sich dadurch unsere Gehirnaktivität, unsere Fähigkeit, Verknüpfungen zu erlernen, und somit unser Verhalten zu steuern?
Im Fachjournal »Nature Metabolism« sind die Ergebnisse einer Untersuchung bei Probanden mit normalem Körpergewicht (hohe Insulinsensitivität, n=30) und Studienteilnehmern mit Adipositas (verminderte Insulinsensitivität, n=24 Probanden) publiziert. Gemessen wurde, wie gut das Lernen von Assoziationen bei den Teilnehmenden funktionierte und welchen Einfluss die Injektion des GLP-1-Agonisten Liraglutid darauf hatte.
Im Crossover-Design erhielten die Studienteilnehmer an zwei Abenden entweder eine Liraglutid- oder eine Placebo-Injektion. Am nächsten Morgen bekamen sie eine Lernaufgabe, mit der die Forschenden messen konnten, wie gut das assoziative Lernen funktioniert. Dabei wurde zum einen festgestellt, dass die Fähigkeit, sensorische Reize miteinander zu verknüpfen, bei den Teilnehmenden mit Adipositas geringer ausgeprägt war als bei Normalgewichtigen und dass die Hirnaktivität in den Hirnbereichen vermindert war, die dieses Verhalten beeinflussen. Zum anderen fand man, dass die adipösen Teilnehmenden bereits nach einmaliger Gabe von Liraglutid diese Beeinträchtigungen nicht mehr zeigten, sodass kein Unterschied in der Gehirnaktivität zwischen den Studienteilnehmern mit Normalgewicht und Adipositas mehr gesehen werden konnte. Das Medikament versetzte das Gehirn also wieder in den Zustand normalgewichtiger Probanden.
»Diese Ergebnisse sind von grundlegender Bedeutung. Wir zeigen hier, dass grundlegende Verhaltensweisen wie das assoziative Lernen nicht nur von äußeren Umweltbedingungen abhängen, sondern auch vom Stoffwechselzustand des Körpers. Ob jemand Übergewicht hat oder nicht, bestimmt also auch, wie das Gehirn lernt, sensorische Signale zuzuordnen und welcher Antrieb dabei entsteht. Die Zustandsnormalisierung, die wir durch das Medikament bei Probandinnen und Probanden mit Adipositas erreichen, passt also zu den Ergebnissen von Studien, dass durch diese Medikamente wieder ein normales Sättigungsgefühl vermittelt wird und die Menschen infolge weniger essen und damit abnehmen«, sagt Seniorautor Professor Dr. Marc Tittgemeyer, ebenfalls vom MPI für Stoffwechselforschung in Köln, in einer begleitenden Pressemeldung.
Auch Erstautorin Hanßen wird darin zitiert. »Während es erfreulich ist, dass die verfügbaren Medikamente einen positiven Einfluss auf die Hirnaktivität bei Adipositas haben, ist es aber erschreckend, dass es schon bei jungen Menschen mit Adipositas ohne sonstige Erkrankungen zu Leistungsveränderungen des Gehirns kommt. Die Prävention von Adipositas sollte in Zukunft eine viel größere Rolle in unserem Gesundheitssystem spielen. Die lebenslange Einnahme von Medikamenten ist die deutlich schlechtere Option, wenn wir durch Prävention Übergewicht und Folgeerkrankungen vermeiden könnten.«