Verband will Inkasso-Leistungen für Kassen überprüfen |
Daniela Hüttemann |
31.10.2022 10:30 Uhr |
Der Vorstand des Apothekerverbands Schleswig-Holstein hat die Verbandsmitglieder hinter sich, wenn es um weitere Protestmaßnahmen zu Honorarkürzungen geht. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Die Zahl ist in Apothekerkreisen hinlänglich bekannt, bei Politikern wohl nicht: Das Apothekenhonorar macht nur 1,9 Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung aus, Tendenz in den vergangenen Jahren sinkend. Trotzdem wird ihnen mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, das am 20. Oktober vom Bundestag beschlossen wurde, für zwei Jahre das Packungshonorar gekürzt, indem der Kassenabschlag erhöht wird – nach 10 Jahren Stagnation und während die Ärzteschaft sogar eine Honorarerhöhung bekommt.
Demnächst sind es also 23 Cent weniger pro abgegebener Packung für GKV-Versicherte – das klingt in Laien-Ohren erst einmal nach sehr wenig, tut jeder einzelnen Apotheke aber richtig weh, betonten die Mitglieder des Apothekerverbands Schleswig-Holstein bei ihrer Jahresversammlung vergangenen Samstag in Kiel. Nicht wenige fürchten um ihre Existenz.
Noch einen Tag vor dem Bundestagsbeschluss hatte die Mehrheit der Apotheken im Norden aufgrund der drohenden Honorarkürzung gestreikt. Zwar konnte das den Bundestagsbeschluss nicht verhindern. Der Verband zog trotzdem eine positive Bilanz. Zum einen sei der Streik gut für Selbstbewusstsein und Zusammenhalt der Apothekerschaft gewesen. Zum anderen konnten die Apotheken nicht nur im eigenen Bundesland und den anderen mitstreikenden Bundesländern, sondern weit darüber hinaus die Öffentlichkeit erreichen und über die wahren »Apothekenpreise« sachlich informieren.
»Dabei haben wir bewusst an einem Mittwochnachmittag für einige Stunden gezeigt, wie es ist, wenn wir mal nicht rund um die Uhr flächendeckend da sind«, erklärte der Verbandsvorsitzende Hans-Günter Lund. Nicht nur Patienten, sondern auch Presse und Politik hätten teilweise zum ersten Mal gehört, seit wann das Packungshonorar als mit Abstand wichtigste Säule der Apothekenvergütung nicht erhöht wurde, wie viele Apotheken schon verschwunden sind und auch, was die verbliebenen Betriebsstätten alles leisten und wie gefährdet sie sind. »Wir konnten den Journalisten die massiven Auswirkungen des Gesetzes erklären. Dabei wurden wir richtig und auf den Titelseiten wiedergegeben, nicht nur in Lokalmedien, sondern auch überregional«, betonte Verbandsgeschäftsführer Georg Zwenke.
Auch die schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU) hatte die Kürzung in einem öffentlichen Statement als »unverhältnismäßig« beschrieben. »Vorher war es zum Teil sehr schwierig, mit Politikern ins Gespräch zu kommen«, so Lund. Das habe sich durch den Streik geändert. »Wir werden das nutzen, um zu betonen, was wir derzeit alles kostenfrei machen, denn das wird sich ändern müssen.«
Einige Zahlen nannte Vorstandsmitglied Christian Stolzenburg: Die Apotheken kosten die GKV zwar pro Jahr etwa 5,52 Milliarden Euro. Dafür helfen sie aber umgekehrt, dem System jährlich 17,38 Milliarden einzusparen:
- 5,1 Milliarden Euro Einsparungen durch die Umsetzung der Rabattverträge,
- 8,2 Milliarden Euro durch die Umsetzung der Festbeträge,
- 1,7 Milliarden (2021) Euro durch den Einzug der Herstellerrabatte (voraussichtlich 3 Milliarden im Jahr 2023), und das bei vollem Haftungsrisiko, falls ein Hersteller zahlungsunfähig wird,
- 2,2 Milliarden Euro durch Zuzahlungseinzug bei den Patienten,
- sowie weitere 180 Millionen Euro durch Erfüllung der Importquote.
Im Prinzip seien all dies Dienstleistungen, für die die Apotheken eine Gebühr erhalten sollten. Das sei in anderen Branchen schließlich auch so. Die Apotheken wären aber genauso froh, wenn sie diese Inkasso-Aufgaben nicht mehr machen müssten, sondern die Krankenkassen sich selbst darüber kümmern müssten, meinte der Verbandsvorsitzende Lund.
Einfach verweigern geht jedoch nicht, da die Transaktionen größtenteils automatisch funktionieren und gesetzlich vorgeschrieben sind, so Geschäftsführer Zwenke, der zugleich Apotheker und Jurist ist. Zumindest das Ausfallrisiko wollen die Apotheken jedoch nicht länger tragen. »Geht ein großes Pharmaunternehmen wie Bayer pleite, würden auf einen Schlag alle Apotheken Deutschlands folgen«, prophezeite Zwenke.
Bei der Eintreibung der Zuzahlungen der Patienten für Medikamente komme hinzu, dass immer mehr Menschen bargeldlos bezahlen wollen – damit machen die Apotheken nicht nur kostenlos die Inkasso-Arbeit der Krankenkassen, sondern zahlen durch Kartengebühren sogar noch drauf, ergänzte Lund. »Das wird sich alles ändern müssen. Unsere Leistung muss wertgeschätzt und auch vergütet werden.«
Man könnte grundsätzlich einmal die Gerichte befragen, ob es gerechtfertigt ist, dass permanent und entschädigungslos in die Apothekenbetriebe eingegriffen werden, bis sie nicht mehr imstande sind, ihren eigentlichen Auftrag, die Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln, gewährleisten zu können, regte Geschäftsführer Zwenke an. Ein Entschädigungsanspruch für die bislang kostenlosen, zwangsweisen Dienstleistungen der Apotheken für die Krankenkassen müsse geprüft werden.
»Wenn jetzt auch noch zusätzlich die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 auf 7 Prozent gesenkt wird, bedeutet das nach derzeitiger Formulierung einen weiteren, deutlichen Verlust beim Packungshonorar«, warnte Zwenke. Zudem müsse das Wort »Abschlag« durch das, was es tatsächlich ist – nämlich ein Großkundenrabatt – ersetzt werden. »Wir brauchen dringend die Klarstellung in §130 SGB V, dass Apothekenrabatte echte Großkundenrabatte sind!« Damit wären die Krankenkassen verpflichtet, zeitnah die abgerechneten Rezepte zu erstatten.
Der Apothekerverband Schleswig-Holstein hat diesbezüglich leider wenig Spielraum, da die Gesetze auf Bundesebene entsprechend umformuliert werden müssen. Trotzdem appellierte der Verbandsvorsitzende Lund an alle Apotheken: »Gehen Sie auf Ihre Kunden, Gemeindemitglieder, Landräte und Bundestagsabgeordneten zu, auch an die, die gerade nicht in der Regierungsverantwortung sind – erklären Sie allen, die in Entscheidungsgremien sitzen, was wir für eine wertvollen Beitrag leisten.«
Der Streik am 19. Oktober sei im Übrigen erst der Anfang gewesen. Weitere Protestaktionen seien in Planung. Dabei freue man sich auch auf kreative Ideen aus dem Berufsstand. Denn im Frühjahr stehe mit der GKV-Strukturreform das nächste Spargesetz ins Haus. Die Schleswig-Holsteiner können sich weitere und schärfere Aktionen durchaus vorstellen und hoffen, dass die anderen Bundesländer dieses Mal möglichst geschlossen mitziehen.