Vasokonstriktor bei Schockzuständen |
Sven Siebenand |
06.08.2021 06:56 Uhr |
Der distributive Schock ist die häufigste Art von Schock im stationären Bereich. Die Unfähigkeit, einen adäquaten Blutdruck zu erreichen oder aufrechtzuerhalten, führt zu einem unzureichenden Blutfluss zu Organen und Geweben und ist mit einer hohen Sterblichkeit verbunden. / Foto: Adobe Stock/Vadim
AT II ist als sehr starker Vasokonstriktor im Körper bekannt und erhöht den Blutdruck. ACE-Hemmer verhindern die Bildung und wirken so blutdrucksenkend. Die blutdrucksteigernde Wirkung von AT II nutzt man im Fall von Giapreza bewusst aus. Enthalten ist ein synthetisches humanes AT II, das auf die gleiche Weise wirkt wie körpereigenes AT II.
Giapreza kommt bei der Behandlung der refraktären Hypotonie bei Erwachsenen mit einem septischen oder anderen distributiven Schock zum Einsatz, die trotz einer angemessenen Wiederherstellung des Volumens und der Anwendung von Katecholaminen oder anderen verfügbaren gefäßverengenden Therapien hypotensiv bleiben. Die Anwendung des Medikaments wird für andere Schockformen, etwa beim kardiogenen Schock, nicht empfohlen.
Das Medikament ist für die Anwendung im Krankenhaus bestimmt und wird intravenös infundiert. Giapreza muss vor der Anwendung in einer Natriumchlorid-Injektionslösung (0,9 Prozent) verdünnt werden.
Die Dosis hängt vom Körpergewicht ab und sollte abhängig vom Blutdruck angepasst werden. Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 20 ng/kg pro Minute über eine kontinuierliche intravenöse Infusion. Weitere Informationen zur Dosistitration finden sich in der Fachinformation des neuen Präparats. Um das Risiko von Nebenwirkungen aufgrund einer verlängerten Gefäßverengung zu minimieren, sollte die Behandlung mit AT II abgesetzt werden, nachdem sich der Schockzustand hinreichend gebessert hat. Wichtig: Die Dosis sollte schrittweise reduziert werden, da bei einem abrupten Absetzen eine Hypotonie auftreten kann.
Untersucht wurde AT II in der Phase-III-Studie ATHOS-3. Dabei handelte es sich um eine randomisierte und placebokontrollierte Doppelblindstudie, in die 321 Erwachsene mit einem septischen Schock oder einem anderen distributiven Schock aufgenommen wurden, die trotz einer Flüssigkeits- und Vasopressortherapie an Hypotonie litten. 83 Prozent hatten vor Studienbeginn bereits zwei oder mehr Vasopressoren wie Norepinephrin oder Vasopressin und 47 Prozent drei oder mehr Vasopressoren erhalten.
Der primäre Endpunkt bestand im prozentualen Anteil der Betroffenen, die entweder nach drei Stunden einen mittleren arteriellen Blutdruck (MAD) ≥ 75 mmHg oder einen MAD-Anstieg ≥ 10 mmHg erzielten, ohne dass die anfängliche Vasopressortherapie gesteigert wurde. In der AT-II-Gruppe wurde dieser Endpunkt in 70 Prozent der Fälle erreicht, unter Placebo bei 23 Prozent.
Sehr häufig beobachtete Nebenwirkungen sind thromboembolische Ereignisse und vorübergehende Hypertonie. Es sollte gleichzeitig eine Prophylaxe von venösen Thromboembolien angewendet werden, es sei denn, eine solche ist während der Behandlung mit dem neuen Medikament kontraindiziert. Häufige Nebenwirkungen sind ferner Tachykardie und periphere Ischämie.
Aus Vorsichtsgründen soll eine Anwendung von Giapreza während der Schwangerschaft vermieden werden und der potenzielle Nutzen für die Frau gegen das mögliche Risiko für den Fötus abgewogen werden.
Bei einem septischen oder anderen distributiven Schock verbleiben viele Betroffene trotz Behandlung unterhalb des Zielblutdruckwerts, was die Sterblichkeitsrate bei diesen kritisch Kranken erhöht. Das heißt, es gibt trotz einer Vielzahl verfügbarer Vasopressoren noch einen Bedarf an weiteren Therapieoptionen. Giapreza bedient diesen Bedarf, weshalb Giapreza vorläufig als Schrittinnovation bewertet werden kann. Der Wirkstoff, AT II, ist selbstverständlich längst bekannt und der Wirkmechanismus nichts Neues. AT II bei Schockzuständen einzusetzen, ist aber offensichtlich eine gute Idee.
In der Zulassungsstudie wurde der primäre Endpunkt eindeutig erreicht. Es muss allerdings noch die Frage beantwortet werden, ob das Arzneimittel Organschäden vorbeugen und das Leben der Behandelten verlängern kann. Die Zulassungsstudie war nicht darauf ausgelegt, dies zu untersuchen. Daten wurden dennoch erhoben. Die Mortalität betrug am 28. Tag 46 Prozent in der Giapreza-Gruppe und 54 Prozent in der Placebogruppe. Das ist kein riesiger Unterschied.
Sven Siebenand, Chefredakteur