Ursachen finden, individuell motivieren |
Daniela Hüttemann |
26.10.2023 07:00 Uhr |
Vielen Patienten hilft es, wenn die Medikation gestellt wird, beispielsweise in Dosetten. Mittlerweile gibt es auch verschiedene Apps, die an die Einnahmezeitpunkte erinnern. Grundsätzlich sollten die Einnahmezeitpunkte möglichst minimiert werden. / Foto: Getty Images/bluecinema
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass von den Patienten mit nicht übertragbaren Erkrankungen wie Diabetes, Krebs und COPD nur jeder zweite seine Medikamente anwendet, wie Arzt und Apotheker sich das vorstellen. Durch diese Non-Adhärenz rechne man allein in Europa mit 200.000 Toten jährlich und 125 Milliarden Euro vermeidbarer Kosten etwa durch weitere Arztbesuche und Krankenhauseinweisungen, berichtete kürzlich Professor Dr. Job F.M. van Boven vom Medication Adherence Expertise Center der Niederlande (MAECOM), angesiedelt an der Universität Groningen, bei einer Online- Fortbildungsveranstaltung des Weltapothekerverbands. Ein systematisches Review aus dem Jahr 2018 kam auf die Schätzung, dass Non-Adhärenz die Gesundheitssysteme und Volkswirtschaften jährlich bis zu rund 45.000 US-Dollar pro Person koste.
Wenn ein Medikament scheinbar nicht wirkt, hätten Ärzte häufig den Reflex, die Therapie zu intensivieren, so van Boven. Doch Ärzte und Apotheker sollten stattdessen zunächst einmal prüfen, ob und wie der Patient mit seiner Medikation zurechtkommt. Vielleicht wendet er sein Arzneimittel nicht regelmäßig oder nicht richtig an. Eine entsprechende Schulung könne dann zum Therapieerfolg führen. Eine reflexartige Dosiserhöhung dagegen würde zu mehr Nebenwirkungen und noch schlechterer Adhärenz führen. Oder falls ohnehin Nebenwirkungen der Grund für die mangelnde Therapietreue sind, könne sogar ein Dosisreduktion die Lösung sein.
»Es gibt unterschiedliche Gründe für Non-Adhärenz – jeder braucht seinen eigenen Lösungsansatz«, betonte der Pharmazeut und Gesundheitsökonom. Das Apothekenteam müsse genau hinhören und maßgeschneiderte Lösung anbieten.
Ein besonders häufiger Grund für mangelnde Therapietreue seien zu viele Anwendungszeitpunkte. Je mehr es davon gebe, umso niedriger sei die Adhärenz. Daher sollten Apotheker ein Augenmerk darauf legen, Einnahmezeitpunkte zu reduzieren und die Anwendung insgesamt soweit wie möglich zu vereinfachen, beispielsweise durch Retard- und Kombipräparate.
Auch die Einweisung in die korrekte Handhabung sei entscheidend. Aus seiner eigenen Forschung berichtete van Boven, dass 35 Prozent der Asthmapatienten von einer pharmazeutischen Adhärenzförderung profitieren könnten. An dieser Stelle setzt in Deutschland die pharmazeutische Dienstleistung »Erweiterte Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung mit Üben der Inhalationstechnik« an.
In einer belgischen Studie aus dem Jahr 2014 (PHARMACOP) konnte eine ausführliche Unterweisung durch den Apotheker die Adhärenz von COPD-Patienten auf rund 95 Prozent erhöhen. In der Folge traten deutlich weniger Hospitalisierungen auf – »gute Unterweisung braucht Zeit, ist aber auch kosteneffektiv«, unterstrich van Boven. Bei COPD seien eine mangelnde Adhärenz plus schlechte Inhalationstechnik deutlich mit einer erhöhten Mortalität assoziiert.
Gerade beim Inhalieren könnten auch smarte Devices und Apps helfen, die Adhärenz zu fördern, so der Referent. Die Geräte geben Feedback, ob korrekt inhaliert wurde, und dokumentieren die Anwendung. In kleineren Studien konnte so die Zahl der Medikationsfehler gesenkt werden und es wurden weniger Arzneimittel insgesamt gebraucht. Doch auch hier muss die Anwendung erst einmal von einem menschlichen Experten erklärt werden.
»Apothekerinnen und Apotheker haben eine Schlüsselrolle für ein (kosten)effektives Medikationsmanagement bei nicht übertragbaren Erkrankungen«, betonte van Boven. Dabei sollten sie patientenorientiert vorgehen.