uRNA als Schlüssel zu einer wirksameren Tumortherapie |
Theo Dingermann |
15.08.2025 13:30 Uhr |
Der nun erstmals beschriebene Ansatz könnte sich als eine Art therapeutische Universalimpfung bei Krebs eignen, falls sich die Wirksamkeit in klinischen Studien bestätigt. / © Adobe Stock/Kawi
Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI), die etwa auf das Programmed Cell Death Protein 1 (PD-1) oder dessen Liganden abzielen, sind heute bei einer Vielzahl von Therapieregimen zur Tumorbehandlung fest etabliert. Andererseits ist das Wirkspektrum aber limitiert, unter anderem deshalb, weil Tumoren sich teilweise der Wirkung von ICI entziehen können.
Jetzt zeigen Forschende um Dr. Sadeem Qdaisat, Brandon Wummer und Dr. Brian D. Stover vom McKnight Brain Institute und dem Department of Pediatrics der University of Florida in Gainesville, USA, dass eine Stimulation früher Immunreaktionen durch Typ-I-Interferone (IFN-I) den Erfolg von ICI verstärken kann. In seiner Arbeit, die im Fachjournal »Nature Biomedical Engineering« erschienen ist, berichtet das Team, dass ein robustes frühes IFN-I-Signal die sogenannte Epitope-Spreading-Reaktion auslöst, bei der das Immunsystem sukzessive weitere, ursprünglich nicht dominierende Tumorantigene erkennt und angreift.
Vermittelt werden diese wichtigen Reaktionen vor allem durch die systemische Verabreichung von Lipidpartikeln, die mit unmodifizierter mRNA (uRNA) für Antigene beladen sind, die nicht zwingend tumorspezifisch sein müssen. In den Mausmodellen der Forschenden wurden so die Immunantworten von Tumoren mit geringer Immunogenität (»kalte Tumoren«) für ICI sensibilisiert, indem frühe IFN-I-Antworten gezielt verstärkt wurden. Dies führte zu einer erhöhten Immunität mit Antigenausbreitung, die die Tiere vor einer erneuten Tumorbildung schützte.
Die Bedeutung von IFN-I für eine frühe Tumorabwehr zeigt sich darin, dass in den Mausmodellen die Blockade des IFN-I-Rezeptors nicht nur zur Proliferation des Tumors, sondern auch zur Resistenz gegenüber einer PD-1-Blockade führte. IFN-I-Signale förderten hingegen die Rekrutierung und Aktivierung von Makrophagen, NK-Zellen und CD8⁺-T-Zellen im Tumormikromilieu. Besonders Makrophagen sind entscheidend für die volle Wirksamkeit von ICI.
Die Forschenden entwickelten uRNA-beladene Lipidpartikel, die nicht für tumorspezifische, sondern für generell stark immunogene Antigene codierten. Zu diesen Antigenen zählten beispielsweise Luciferase, das grün-flureszierende Protein (GFP) oder das vom Cytomegalovirus abgeleitete Phosphoprotein 65 (pp65). Im Gegensatz zu Pseudouridin-modifizierter mRNA (modRNA) löst uRNA eine deutlich stärkere IFN-I-Antwort aus.
In resistenten Tumormodellen führte die systemische Gabe dieser therapeutischen uRNA-Zubereitungen zu einer verringerten Tumorlast, einer erhöhten Infiltration von PD-1⁺CD8⁺-T-Zellen in den Tumor und zu einer synergistischen Wirkung mit einer PD-L1-Blockade.
Als besonders wirksam erwies sich eine multilamellare Lipoplex-Formulierung (ML-uRNA). Dabei handelt es sich um multilamellare Lipid/RNA-Kristalle, die aus hydratisierten RNA-Schichten besteht, die sich mit kationischen Lipid-Doppelschichten abwechseln. Diese Lipoplex-Formulierung akkumulierte bevorzugt in der Lunge und eignete sich somit besonders für pulmonale Metastasemodelle.
Durch serielle ML-uRNA-Applikation kam es zu einer immunologischen Reprogrammierung der Tumormikroumgebung, wodurch unter anderem eine proinflammatorische Chemokinantwort und die Etablierung einer erhöhten Gedächtnis-T-Zellpopulationen induziert wurden. Auch beobachteten die Forschenden eine Hochregulierung von Genen für Antigenprozessierung und -präsentation.
Schließlich belegten die Autoren auch experimentell, dass durch eine therapeutische Impfung mit ML-uRNA T-Zell-Antworten gegen ein breites Spektrum tumorassoziierter Antigene induziert wurden, begleitet von IFNγ-Gedächtnisreaktionen. Dies zeigt, dass eine Immunantwort von einem starken Einzelantigen ausgehend auf weitere Epitope erweitert werden kann.
Die Forschenden testeten ihren Ansatz in verschiedenen präklinischen Modellen, darunter Mäuse mit Osteosarkom-Zelllinien und pädiatrischen Hirntumoren im Spätstadium sowie Hunde mit Gliomen. In den Tieren erwies sich die Therapie als gut verträglich und zeigte keine relevanten akuten Organfunktionsstörungen.
Somit schlussfolgern die Forschenden, dass frühe IFN-I-Antworten ein Schlüsselfaktor für die Sensibilisierung von Tumoren gegenüber ICI und für die Auslösung von Epitope Spreading sind. Systemisch verabreichte, nicht tumorspezifische uRNA-basierte, therapeutische Impfstoffe können diese Antwort in »kalten« Tumoren gezielt induzieren und so die Effektivität von Immuntherapien auch unabhängig von einer hohen Mutationslast verbessern.
Damit bietet dieser Ansatz das Potenzial für eine universelle, »Off-the-Shelf« einsetzbare mRNA-Plattform, die das Spektrum immuntherapeutischer Ansätze in der Tumortherapie signifikant erweitern könnte.