»Unser Zeitfenster schrumpft« |
Daniela Hüttemann |
24.05.2024 09:26 Uhr |
Antibiotika – mancherorts werden sie falsch und zu häufig eingesetzt, an anderen Stellen fehlen sie gänzlich. / Foto: Getty Images/Monty Rakusen
Bereits jetzt sterben jedes Jahr weltweit rund 7,7 Millionen Menschen durch bakterielle Infektionen – global die zweithäufigste Todesursache. Davon werden rund 4,95 Millionen resistenten Bakterien zugeschrieben. Die WHO hatte schon vor Längerem prognostiziert, dass sich diese Zahl bis 2050 auf zehn Millionen Todesfälle jährlich steigern könne.
Am stärksten gefährdet sind Kinder (je jünger, desto stärker), ältere Menschen sowie Personen mit chronischen Erkrankungen, Krankenhausaufenthalten und chirurgischen Eingriffen. »Antimikrobielle Resistenzen (AMR) gehen uns alle an«, betont die libanesische klinische Pharmazeutin Nour Shamas, Mitautorin einer neuen Artikelserie in »The Lancet«, die heute bei der Welt-Gesundheits-Versammlung vorgestellt werden.
Demnach ließen sich jährlich 750.000 AMR-bedingte Todesfälle vermeiden, wenn bestimmte Maßnahmen ergriffen würden. »Wir alle – politische Entscheidungsträger, Angehörige der Gesundheitsberufe, Patienten und die Gesellschaft im Allgemeinen – müssen dringend globale Prioritäten setzen, um die Ausbreitung von Infektionskrankheiten und Entwicklung von Resistenzen einzudämmen, die Forschung zu wenig erforschten Themen wie Frauengesundheit zu verstärken und um den Zugang zu antimikrobiellen Mitteln und deren vernünftigen Einsatz zu gewährleisten«, appelliert Apothekerin Shamas.
»Das Zeitfenster, in dem wir unsere Möglichkeiten zur Behandlung bakterieller Infektionen sicherstellen können, schrumpft«, warnt Koautor Professor Dr. Ramanan Laxminarayan, Präsident des One Health Trusts und Seniorgelehrter an der Princeton University. »Zu lange wurde das Problem der Antibiotikaresistenz entweder als nicht dringlich oder als zu schwierig zu lösen angesehen. Beides ist nicht wahr. Wir müssen sofort handeln, und die Mittel dazu sind weithin verfügbar.«
Viele Maßnahmen betreffen vor allem Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen und verbesserungswürdigen sanitären und hygienischen Umständen. Die Modellrechnung geht von folgenden Maßnahmen aus, die vor allem Infektionen verhindern sollen:
»Wenn wir uns auf die Verbesserung der Methoden zur Infektionskontrolle, der Wasser- und Sanitärversorgung und der Impfungen in den Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen konzentrieren, sollte es möglich sein, die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit AMR bis 2030 um 10 Prozent zu senken«, fasst Koautor Yewande Alimi von der afrikanischen CDC zusammen.
Doch auch die hoch entwickelten Staaten haben noch einige Hausaufgaben zu machen. Zum einen muss der Zugang zu einer angemessenen Behandlung mit den passenden Antibiotika möglich sein – sowohl für die Industriestaaten, die selbst mit Lieferengpässen zu kämpfen haben, aber erst recht für ärmere Länder. Hier geht es auch um gerechte Verteilung.
Zum anderen müssen die verfügbaren Antibiotika mit Bedacht eingesetzt werden. Das internationale Autorenteam schlägt konkrete Ziele bis 2030 vor, die im September 2024 von UN-Vollversammlung beschlossen werden sollten:
Neben den oben genannten Maßnahmen spielt natürlich auch die Entwicklung neuartiger Antibiotika und Impfstoffen eine wichtige Rolle. Mitautorin Dr. Ursula Theuretzbacher vom Zentrum für Antiinfektiva in Wien sagt: »Wir brauchen ein völliges Umdenken bei der Entdeckung und Entwicklung neuer Antibiotika mit dem Schwerpunkt auf Innovation, Erschwinglichkeit und nachhaltiger Verfügbarkeit.«
Doch es gehe nicht nur um die Entwicklung neuer Antibiotika. »Bei der Verringerung der Auswirkungen von AMR durch Arzneimittel geht es nicht nur um die Entwicklung neuer Antibiotika. Solange der Zugang und die Erschwinglichkeit nicht gewährleistet sind, wird die hohe Zahl der Todesfälle durch resistente bakterielle Infektionen unvermindert anhalten«, prophezeit Laxminarayan.
»Eine Senkung der Kosten für die Arzneimittelentwicklung würde dazu beitragen, dass Antibiotika erschwinglich bleiben, wie die öffentlich-privaten Partnerschaften für Medikamente zur Behandlung von Malaria und vernachlässigten tropischen Krankheiten zeigen.« Es sei Zeit für eine ähnliche Taktik bei der Entwicklung von Antibiotika.