»Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Aktionen« |
Der Landesapothekerverband Schleswig-Holstein hat nun auch offiziell den Streik für den 19. Oktober ab 12 Uhr ausgerufen. / Foto: imago stock&people
Steigende Mieten, Energiekosten und Tariflöhne – höhere Kosten bedeuten in der Marktwirtschaft höhere Preise, allerdings nicht bei Apotheken. Die Bundesregierung weigere sich, einen dringend notwendigen Ausgleich der enorm gestiegenen Kosten durch Anhebung der Apothekenzuschläge vorzunehmen, kritisiert der Landesapothekerverband (LAV) Schleswig-Holstein in einer aktuellen Pressemitteilung.
Im Gegenteil: Apotheken werden weiter belastet statt entlastet. Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz soll der Kassenabschlag für Apotheken in den Jahren 2023 und 2024 von derzeit 1,77 Euro auf 2 Euro erhöht werden, wodurch den Apotheken Schleswig-Holsteins insgesamt mindestens 4,5 Millionen Euro entzogen würden, schreibt der LAV. Dagegen wollen die Apotheken protestieren: Nachdem die Mitglieder in einer Umfrage bekundet hatten, dass sie sich an einem öffentlichkeitswirksamen Streik beteiligen würden, veröffentlichte der Verband am Freitag die offizielle Streikankündigung. Schleswig-Holstein schließt sich somit Brandenburg, Hamburg sowie dem Saarland an.
Im Jahr 2000 standen in Schleswig-Holstein 726 Apotheken zur Verfügung, mittlerweile seien es nur noch 612. Wenn es zu einer Erhöhung des Zwangsrabatts kommt und die derzeitigen enormen Kostensteigerungen nicht ausgeglichen werden, planen laut einer Umfrage des LAV viele Apothekeninhaber die Schließung ihrer Apotheke allein aus wirtschaftlichen Gründen, obwohl der Versorgungsbedarf unverändert vorhanden ist.
Der Landesapothekerverband Schleswig-Holstein hatte schon vor einigen Wochen einen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aufgesetzt mit insgesamt 1300 Protestunterschriften der Apothekenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Die Brandenburger Apotheker hatten sich stattdessen an die brandenburgische Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher gewandt, die die Besorgnis der Apothekerinnen und Apotheker teile. Auf Initiative des Landes Brandenburg hatte der Bundesrat daher die Bundesregierung aufgefordert, auf den erhöhten Kassenabschlag zu verzichten.
Das BMG lehnte dies jedoch ab. Da es sich nicht um ein für den Bundesrat zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, kann es trotz der Kritik der Länder vom Bundestag beschlossen werden. »Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass die Politiker im Bund die objektiven Hinweise auf die Unterfinanzierung der Apotheken nicht nur ignorieren, sondern diese durch neue Belastungen noch weiter verstärken wollen«, erklärte Jens Dobbert, Präsident der Apothekerkammer Brandenburg.
Der Apothekerverband Brandenburg hatte ebenfalls Apothekenschießungen ausgerufen. Die Kammer erklärte sich nun in einer aktuellen Pressemitteilung solidarisch. Die Situation der Apotheken sei dramatisch: Jede geschlossene Apotheke habe eine so desolate wirtschaftliche Basis, dass sie nicht mehr verkauft werden könne. Ihr bleibe dann nur noch die Pleite. »Die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung wird durch die Politik der Bundesregierung dennoch bewusst zusätzlich massiv gefährdet«, kritisiert Dobbert. Gerade in einem Flächenstaat wie Brandenburg werde sich so die Versorgungssituation vor allem auf dem Land erheblich weiter verschlechtern.
Laut Dobbert seien die Protestaktionen daher »politisch notwendig«. Im Interesse der Versorgungssicherheit wollen und müssten die Apothekerinnen und Apotheker die Politik, aber auch die Bevölkerung darauf hinweisen. »Ungewöhnliche Situationen erfordern eben auch ungewöhnliche Aktionen.« Da der Notdienst aber weiterhin gewährleistet werde, sei die Aktion nach der geltenden Allgemeinverfügung der Kammer auch rechtlich zulässig.
»Dieser Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Lauterbach ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt«, kritisierte Olaf Behrendt, Vorsitzender des Apothekerverbandes Brandenburg, in einer heute veröffentlichten Pressemitteilung. Es sei unklar, wie die Apotheken die – etwa durch explodierende Energiepreise, Inflation und höhere Nebenkosten – gestiegenen Kosten stemmen sollten, wenn ihnen die finanzielle Grundlage weggekürzt werden solle. Für höhere Einnahmen während der Pandemie hätten die Apotheker und ihre Mitarbeiter auch Enormes geleistet. Beispielsweise in Teststellen hätten Apotheken erstmal investieren müssen. Ziel des Protestes sei es, sowohl der Bevölkerung als auch der Politik klar vor Augen zu führen, dass Apotheken die nunmehr geforderten Belastungen nicht mehr (er-)tragen könnten.
»In den vergangenen Pandemie-Jahren haben die Apotheken alles dafür getan, dass die Bundesrepublik vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen ist. Wir sind bis an die Grenzen unserer Belastungsfähigkeit, teilweise darüber hinaus, gegangen und sind ausgelaugt. Wir brauchen endlich eine angemessene Bezahlung für unsere Kernaufgabe, die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung“, so Behrendt.