Ungeimpfter Junge stirbt an Diphtherie |
Corynebacterium diphtheriae ist ein stäbchenförmiges Bakterium mit charakteristischen Endverdichtungen. Nicht das Bakterium an sich, sondern das von ihm gebildete Toxin löst eine Diphtherie aus. / © Getty Images/Kateryna Kon/Science Photo Library
In Deutschland kommt Diphtherie, früher auch als »Würgeengel der Kinder« bezeichnet, mittlerweile dank der Impfung nur noch selten vor. Nun ist ein zehnjähriger Junge aus Brandenburg, das in Berlin zur Schule ging, nach dpa-Informationen nach monatelanger Erkrankung gestorben. Zuvor hatte der »Tagesspiegel« darüber berichtet. Wegen einer akuten Entzündung der Rachenmandeln war der Schüler im September in die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Potsdam gekommen. Später wurde Rachendiphtherie diagnostiziert, ausgelöst durch Bakterien. Aufgrund des Gesundheitszustandes wurde das Kind in die Charité nach Berlin verlegt und dort invasiv beatmet. Das Kind aus dem Havelland in Brandenburg war nach Angaben des Brandenburger Gesundheitsministeriums nicht geimpft. Das Brandenburger Gesundheitsministerium rief damals zur Schutzimpfung auf, um zu verhindern, dass sich die Diphtherie verbreitet.
Der Junge ging in die Waldorf-Schule Havelhöhe in Berlin. Die Schule äußerte sich zunächst nicht öffentlich zum Tod des Schülers. Es handele sich um eine persönliche Angelegenheit der Familie, hieß es. Als die Krankheit des Jungen im Oktober bekannt wurde, wies die Waldorf-Schule darauf hin, dass es dort keine höhere Diphtherie-Gefahr als an anderen Schulen gebe. Dem »Tagesspiegel« zufolge wurde von der Schule am Dienstagabend ein Brief an alle Eltern verschickt, in dem sie über den Tod des erkrankten Jungen informierte. Das Ministerium und der Landkreis äußerten sich mit Verweis auf Privatsphäre und Datenschutz nicht zu dem Jungen. Die Charité verwies auf die Schweigepflicht.
Symptome einer Rachendiphtherie umfassen laut Robert-Koch-Institut (RKI) unter anderem Halsschmerzen, Fieber, pfeifende Geräusche beim Einatmen und Schwellungen der Halslymphknoten. Später kann eine Mandelentzündung auftreten.
Die Wahrscheinlichkeit für Diphtherie-Erkrankte, an der Krankheit zu sterben, liegt nach Angaben des RKI bei fünf bis zehn Prozent, deutlich höher liegt sie bei Kindern unter fünf und bei Erwachsenen über 40 Jahren. »Diphtherie-Todesfälle sind in Deutschland sehr selten«, teilte das RKI mit. 2025 sei dem RKI ein Todesfall aufgrund einer respiratorischen Diphtherie mit dem Erreger Corynebacterium diphtheriae bei einer erwachsenen Person übermittelt worden, hieß es. Die Person sei bereits Ende 2024 gestorben.
Ein weiterer Todesfall durch eine respiratorische Diphtherie sei 2024 übermittelt worden, für 2023 sei es einer durch Hautdiphtherie gewesen. Für 2022 wird ein Diphtherie-Todesfall im Infektionsepidemiologischen Jahrbuch aufgeführt. »Dabei handelt es sich um eine 80-jährige Frau mit Hautdiphtherie.« Vor 2022 wurde jahrelang kein Diphtherie-Todesfall bekannt.
Angesichts des aktuellen Todesfalls informiert die ABDA über die Bereithaltung von Diphtherie-Antitoxin-Präparaten. Sie lagern in den Notfalldepots der Landesapothekerkammern. Jede öffentliche Apotheke und Krankenhausapotheke kann bei Bedarf auf die Arzneimittel in diesen Depots zurückgreifen. »Die Beschaffung dieser speziellen und sehr selten benötigten Antidota wurde in den letzten Jahren zunehmend schwieriger, da sie innerhalb Europas häufig nicht mehr produziert werden«, informiert die ABDA. Im Falle von Diphtherie-Antitoxin stünden indische Präparate und aktuell ein Präparat aus Brasilien zur Verfügung, die importiert werden müssen. Die Notfalldepots bevorraten sich entsprechend der Verfügbarkeit. »Da es in der Vergangenheit immer mal wieder lokal begrenzt zu einer größeren Zahl von Erkrankungsfällen kam, beispielsweise unter ungeimpften Geflüchteten, stieg der Bedarf an Diphtherie-Antitoxin«, so Dr. Armin Hoffmann, Präsident der Bundesapothekerkammer. Durch die Nachbestellung auf dem Importweg bedarf es einer gewissen Zeit, entnommene Vorräte in den Depots wieder aufzufüllen. Wir sind dazu mit dem PEI und dem BMG im regelmäßigen Austausch. Uns ist nicht bekannt, dass benötigtes Diphtherie-Antitoxin bei akutem Bedarf nicht zur Verfügung gestellt werden konnte.« Die Dosierung hänge vom Patienten und der Schwere der Erkrankung ab.
Eine Impfpflicht gibt es für Diphtherie nicht. »Die Durchimpfungsrate ist sehr gut«, sagte Professor Dr. Tobias Tenenbaum, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, bereits vor einiger Zeit der dpa. Deswegen sei die Gefahr, dass es nach einem Fall einen Ausbruch gebe, in Deutschland nicht hoch.
Allerdings könne so ein Ausbruch dann passieren, wenn es eine empfängliche Gruppe gebe, wie etwa eine Schulklasse mit vielen ungeimpften Kindern. Eine Impfpflicht gegen Diphtherie hält Tenenbaum nicht für zielführend. »Das wäre nur dann sinnvoll, wenn wir eine erhöhte Bedrohungslage hätten.« Diese gebe es aber wegen der hohen Impfquoten nicht – die Krankheit tauche kaum auf.
Früher war das anders: 1892 erlagen der Infektion in Deutschland mehr als 50.000 meist junge Menschen. 1913 wurde die Impfung eingeführt, wodurch die Zahl der Infektionen deutlich sank. 2024 gab es dem RKI zufolge in Deutschland 51 bestätigte Erkrankungen, 2025 bislang zwei. Die Übertragung erfolgt bei Rachendiphtherie gewöhnlich durch Tröpfcheninfektion.
Ein weiterer Erkrankungsfall war im Herbst im familiären Umfeld des nun verstorbenen Kindes durch Kontaktnachverfolgung des Gesundheitsamtes festgestellt worden. Aufgrund eines hier bestehenden Impfschutzes habe die Person allerdings nur einen leichten Erkrankungsverlauf gehabt, teilte der Landkreis Havelland damals mit. Wo sich das Kind infiziert hatte, ist nicht bekannt.
Die Impfung bietet laut RKI einen zuverlässigen Schutz gegen die Symptome der Diphtherie, nicht aber vor der Infektion mit dem Erreger. Die Ständige Impfkommission (STIKO) rät allen zur Diphtherieimpfung. Normalerweise erhalten Säuglinge zur Grundimmunisierung drei Dosen im Alter von zwei, vier und elf Monaten. Eine erste Auffrischungsimpfung empfiehlt die STIKO bei fünf- bis sechsjährigen Kindern, eine zweite im Alter von 9 bis 17 Jahren. Erwachsene sollten den Impfschutz alle zehn Jahre auffrischen lassen.