Tumortherapie reduziert Alzheimer-Risiko |
Theo Dingermann |
27.06.2025 16:00 Uhr |
Manche Brustkrebspatientinnen klagen nach der Tumortherapie über kognitive Beeinträchtigen. Ein erhöhtes Risiko für eine Alzheimer Demenz müssen sie aber wohl nicht befürchten. / © Adobe Stock/fizkes
Einige Brustkrebspatienten berichten während oder nach ihrer Therapie über kognitive Beeinträchtigungen wie schlechte Konzentrationsfähigkeit, Vergesslichkeit, Wortfindungsschwierigkeiten oder eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Umgangssprachlich wird dieses Phänomen als »Chemobrain« bezeichnet, fachlich als Cancer Related Cognitive Impairment (CRCI). Ob diese Spätfolgen einer Tumortherapie auch das Risiko für eine Alzheimer Demenz erhöhen, war bisher nicht bekannt.
Dieser Frage widmeten sich koreanische Forschende um Professor Dr. Su-Min Jeong vom Department of Medicine am Seoul National University College of Medicine, Seoul, Republik Korea. Sie untersuchten in einer retrospektiven Kohortenstudie den Zusammenhang zwischen Brustkrebserkrankung und dem Risiko für eine Alzheimer-Demenz (AD). Die Studie basiert auf Daten des koreanischen National Health Insurance Service (K-NHIS) und umfasst 70.701 Brustkrebspatientinnen, die zwischen 2010 und 2016 operiert wurden. Diese Kohorte wurde mit 180.360 altersangepassten, krebsfreien Kontrollpersonen verglichen. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 7,3 Jahre. Ihre Ergebnisse publizierten die Forschenden jetzt im Fachjournal »JAMA Network«.
Die Forschenden konnten zeigen, dass in der Brustkrebs-Kohorte 1229 AD-Fälle auftraten (Inzidenzrate: 2,45/1000 Personenjahre), wohingegen in der Kontrollgruppe 3430 Fälle (2,63/1000 Personenjahre) dokumentiert wurden. Dies entspricht einem signifikant geringerem Risiko in der Brustkrebsgruppe (Subdistribution Hazard Ratio, SHR: 0,92). Der Unterschied blieb vor allem bei Patientinnen ab 65 Jahren signifikant bestehen (SHR: 0,92), glich sich allerdings im Laufe von fünf Jahren an.
Unter den verschiedenen Therapieformen zeigte ausschließlich die Strahlentherapie einen signifikant protektiven Effekt auf das AD-Risiko (HR: 0,77). Beim Einsatz von Anthrazyklinen war zwar ein Trend zu einem geringeren Risiko (HR: 0,86) erkennbar, der jedoch keine Signifikanz erreichte. Keine Risiko-senkenden Effekte wurden beim Einsatz von Taxanen, Trastuzumab, Tamoxifen oder Aromatasehemmern beobachtet.
Die Forschenden diskutieren, dass möglichweise eine Chemotherapie (vor allem der Einsatz von Anthrazyklinen) die Tau-Protein-Aggregation hemmen und Amyloidablagerungen reduzieren könnte. Diese Hypothese wird durch Ex-vivo-Studien gestützt. Zudem könnten Anthrazykline auch die Autophagie, ein Prozess, der bei AD-Pathogenese gestört ist, fördern. Anthrazykline scheinen somit womöglich auch neuroprotektive Effekte zu besitzen.
Im Rahmen einer endokrinen Therapie zeigt die Studie zumindest keine signifikante Erhöhung des AD-Risikos. Im ZNS wirkt Tamoxifen teilweise auch agonistisch an Estrogenrezeptoren, was neuroprotektive Eigenschaften nicht unplausibel macht. Demgegenüber erhöhen Aromatasehemmer die Spiegel androgenetischer Vorläufer, die ebenfalls neurokognitiv wirksam sein könnten.
Die unerwartet protektive Assoziation einer Strahlentherapie könnte durch niedrigdosierte Streustrahlung mit potenziell antiinflammatorischen und mikroglia-modulierenden Effekten erklärt werden, so die Forschenden. Tiermodelle und eine Pilotstudie an AD-Patienten deuten darauf hin, dass niedrige Strahlendosen kognitive Funktionen kurzfristig verbessern können.
Insgesamt stellt die Beobachtung in dieser Studie, dass eine Therapie eines Mammakarzinoms mit einem insgesamt leicht reduzierten AD-Risikos assoziiert ist, etablierte Annahmen über den »Chemobrain«-Effekt einer solchen Therapie infrage, insbesondere im Hinblick auf die langfristige Demenzentwicklung.