Tumor programmiert Neuronen gezielt für seine Zwecke um |
Theo Dingermann |
18.02.2025 14:02 Uhr |
Ein Tumor braucht eine Vernetzung mit Blutgefäßen und Neuronen, um wachsen zu können. / © Getty Images/PonyWang
Immer wieder stellen Forschende fest, dass Tumorzellen Funktionen anderer Zellen für sich nutzen, um optimal zu wachsen. Erst jüngst berichtete die PZ über den »Mitochondrienklau« durch Tumorzellen. Und im September letzten Jahres informierte der US-amerikanische Mediziner Professor Dr. Eric Topol in einem News-Beitrag über »Cancer, the Master of Hijacking«.
Ein weiteres bemerkenswertes Beispiel dafür, wie ein Tumor die Funktionen anderer Zellen für seine Zwecke zu missbrauchen vermag, entdeckten nun Forschende vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und vom Heidelberger Institut für Stammzelltechnologie und Experimentelle Medizin (HI-STEM). Sie zeigen in einer Arbeit, die jetzt im Wissenschaftsjournal »Nature« erschien, wie ein Pankreaskarzinom einzelne Neurone für seine Zwecke umprogrammiert, aber auch, wie man dies eventuell für therapeutische Zwecke nutzen könnte.
Das Pankreaskarzinom interagiert intensiv mit dem peripheren Nervensystem (PNS), wobei tumorinfiltrierende Neuronen eine Schlüsselrolle in der Tumorprogression spielen. Die neuronalen Zellkörper befinden sich in verschiedenen PNS-Ganglien, weit entfernt von der Tumormasse. Um die molekularen Mechanismen der Interaktion zwischen Neuronen und Tumor auf Einzelzellebene im Detail zu entschlüsseln, entwickelten die Forschenden um Dr. Vera Thiel vom HI-STEM die Trace-n-Seq-Technologie. Dabei werden Axone zu ihren jeweiligen Ganglien rückverfolgt, die dann isoliert werden und deren Transkriptom durch Sequenzierung der RNA charakterisiert wird. So beschrieben die Forschenden detailliert mehr als 5000 Nervenzellen sowohl im gesunden Gewebe als auch im Bauchspeicheldrüsenkrebs der Maus.
Auf diese Weise konnten sie zeigen, dass das Pankreaskarzinom die Genaktivität der Nerven für seine Zwecke umprogrammiert. Eine Vielzahl von Genen wird in ihrer Aktivität entweder hochreguliert oder abgeschwächt, sodass eine eigenständige, für die Nervenzelle an sich untypische Genexpressions-Signatur beschrieben werden kann, die nun für den Tumor spezifisch ist. Bei den Krebs-assoziierten Neuronen resultierte so beispielsweise eine Hochregulation von Axon-Wachstumsfaktoren (ROBO1, FGF14, EDN3) und eine Herunterregulation von neurotransmitterregulierenden Genen (NTRK3, ERBB2/3).
Bemerkenswert war, dass das Tumor-Nervensystem seine krebsfördernden Eigenschaften auch dann behielt, wenn der Primärtumor chirurgisch entfernt wurde. Umgekehrt wurde das Tumorwachstum gehemmt, wenn die sympathischen Nervenverbindungen zum Pankreas gekappt oder mit speziellen Nervengiften zerstört wurden. Die chemische oder chirurgische Denervation resultierte in einer proinflammatorischen Reorganisation des Tumormikromilieus mit einer verstärkten Immunantwort.
Neben den Tumorzellen beeinflussen Nervenzellen auch die Bindegewebszellen des Tumors (Cancer-associated Fibroblasts; CAF). Sie werden ebenfalls zum Wachstum angeregt und tragen daher auch maßgeblich zur Unterdrückung der Immunabwehr im Tumormilieu bei. Auch hier beobachteten die Forschenden, dass eine Inaktivierung der Nervenfunktion die Programmierung dieser Zellen deutlich ändert, indem entzündungsfördernde Genaktivitäten in den Vordergrund treten. Zudem wird so die Empfindlichkeit des Tumors auf Immun-Checkpoint-Inhibitoren und auf eine Chemotherapie erhöht.
Die Studie zeigt erstmals detailliert, wie Pankreaskarzinome periphere Neuronen molekular umprogrammieren und dadurch die Tumorprogression beeinflussen. Die neu identifizierte Signatur des peripheren Nervensystems kann als potenzieller Biomarker für neuroonkologische Interaktionen dienen. Denervationsstrategien in Kombination mit Chemotherapie oder Immun-Checkpoint-Inhibitoren könnten neue therapeutische Optionen für das Pankreaskarzinom eröffnen.