»Training« für den Herzmuskel von Krebspatienten |
Annette Rößler |
27.10.2023 09:00 Uhr |
Zu den Anthracyclinen zählen gängige Zytostatika wie Doxorubicin und Epirubicin. Sie können den Herzmuskel schädigen. Mit einem experimentellen Ansatz versucht man in einer Studie, das zu verhindern. / Foto: Adobe Stock/fizkes
Die ischämische Präkonditionierung ist ein experimentelles Verfahren, mit dem der Körper an eine Sauerstoff-Unterversorgung gewöhnt werden soll. Es liegt ihm die Beobachtung zugrunde, dass ein akuter Herzinfarkt von Patienten, die zuvor bereits an einer koronaren Herzkrankheit (KHK) gelitten hatten, oft besser überstanden wird als von Personen ohne vorbestehende Erkrankung des Herzmuskels. Die Annahme ist, dass die KHK als eine Art Training der Ischämie dienen kann, das es dem Herzen ermöglicht, mit dem Sauerstoffmangel infolge des Infarkts besser zurechtzukommen.
Um eine ischämische Präkonditionierung eines Organs zu erreichen – außer dem Herzen kann das beispielsweise auch die Niere sein –, muss nicht zwangsläufig dieses Organ selbst vorübergehend minderdurchblutet werden. Es kann auch eine entfernte Gliedmaße sein. In diesem Fall spricht man von peripherer ischämischer Präkonditionierung (Remote Ischemic Preconditioning, RIPC).
Für eine RIPC wird beispielsweise die Blutzufuhr zu einem Arm wiederholt durch das Aufpumpen einer Manschette ähnlich der eines Blutdruckmessgeräts unterbrochen. Dies kann etwa viermal hintereinander für jeweils fünf Minuten geschehen, wobei dazwischen Erholungsphasen von ebenfalls jeweils fünf Minuten eingehalten werden, in denen die Durchblutung des Arms nicht gestört ist.
Was bei der RIPC genau passiert, ist nicht im Detail verstanden. Laut einer Publikation im »Journal of the American College of Cardiology« aus dem Jahr 2015 kommt es zu einer Aktivierung von nozizeptiven Nerven und in der Folge zur Freisetzung eines unbekannten Botenstoffs, der über das Blut und/oder das Rückenmark parasympathische und sympathische Herznerven zur Freisetzung von kardioprotektiven Substanzen anregt (DOI: 10.1016/j.jacc.2014.10.031). Eine wichtige Rolle scheint dabei den Mitochondrien im Herzmuskelgewebe zuzukommen. Sie scheinen infolge der RIPC gegen Ischämie-induzierte Schäden besser gefeit zu sein als ohne Präkonditionierung.
Eine Zerstörung der Mitochondrien ist wohl auch entscheidend an der Schädigung des Herzmuskels durch Anthracycline beteiligt. Das legen Forschungsergebnisse der vergangenen Jahre nahe. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass sich diese bekannte, schwerwiegende Nebenwirkung der Zytostatikaklasse durch eine RIPC abmildern lässt. In einer Studie mit Schweinen konnte das bereits gezeigt werden.
Ob die positiven Ergebnisse aus dem Tierversuch auf den Menschen übertragbar sind, soll nun in einer großen Studie untersucht werden. Wie die europäische Fachgesellschaft European Society of Cardiology (ESC) informiert, sollen an dem RESILIENCE-Projekt insgesamt 600 Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphom teilnehmen, die eine Anthracyclin-haltige Chemotherapie erhalten. An dem von der EU mitfinanzierten Projekt sind sieben europäische Länder beteiligt. Circa 100 Patienten wurden bereits eingeschlossen.
Die Patienten werden im Rahmen der Studie zu Hause behandelt. Sie erhalten während vier Monaten ihrer Chemotherapie randomisiert einmal wöchentlich entweder eine RIPC mit einer Blutdruckmanschette oder eine Placebobehandlung. Mehrfach erfolgen Untersuchungen des Herzens mittels MRT, um das Ausmaß der Anthracyclin-induzierten Schäden zu erfassen. »Falls die Studie positiv ist, könnte die Herzinsuffizienz bei Krebsüberlebenden massiv reduziert werden«, sagte der Projektkoordinator Professor Dr. Borja Ibanez. In Deutschland koordiniert das Universitätsklinikum Düsseldorf die Teilnahme an dem Projekt.