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Alzheimer-Entstehung

Toxischer »Todeskomplex« induziert Gedächtnisverlust

Trotz jüngster Fortschritte – vor allem im Bereich der Alzheimer Diagnostik – sind überzeugende Behandlungsmethoden dieser schweren neurodegenerativen Erkrankung nicht in Sicht. Grund ist auch, dass der Auslöser der Pathologie nach wie vor nicht bekannt ist. Jetzt zeigen Tierexperimente, dass ein toxischer Protein/Protein-Komplex eine wichtige Rolle spielen könnte und dass man diesen Komplex pharmakologisch stören könnte.
Theo Dingermann
01.09.2025  13:30 Uhr

Die Alzheimer-Forschung basiert in großen Teilen auf Tiermodellen, die die humane Pathologie möglichst authentisch abbilden sollen. Ein solches Modell repräsentieren auch so genannte »5xFAD-Mäuse«. Diese exprimieren Gene für das menschliche Amyloid-Precursor-Protein (APP) und Präsenilin-1 (PSEN1), die insgesamt fünf Alzheimer-assoziierte Mutationen tragen und dadurch massiv für die Entwicklung einer Alzheimer-Krankheit (AD) prädisponieren.

Mit diesen Mäusen untersuchten Forschende um Dr. Jing Yan vom Department für Neurobiologie am interdisziplinären Zentrum für Neurowissenschaften (IZN) der Universität Heidelberg die Rolle eines kürzlich entdeckten Todessignalkomplexes, der aus dem extrasynaptischen NMDA-Rezeptor (eNMDAR) und dem Kationenkanal TRPM4 besteht.

Bekanntlich werden NMDA-Rezeptoren durch den Neurotransmitter Glutamat aktiviert. Allerdings ist diese Aktivierung ein schmaler Grat. Zwar trägt die Stimulierung dieser Rezeptoren an Synapsen im Gehirn zu Lern- und Gedächtnisprozessen sowie zum Schutz von Nervenzellen bei. An anderen Stellen auf den Neuronen führt die Aktivierung der NMDA-Rezeptoren hingegen zu Schäden und zum Tod der Nervenzellen.

Schuld daran ist der Kationenkanal TRPM4. Das Protein verleiht spezifisch jenen NMDA-Rezeptoren außerhalb der Synapsen (eNMDARs) toxische Eigenschaften, wie die Forschenden in früheren Studien zeigen konnten. Der eNMDAR/TRPM4‑Komplex induziert eine pathologische Trias aus mitochondrialer Dysfunktion, struktureller Degeneration von Synapsen und Dendriten und Transkriptionsstörungen (CREB‑Shut-off).

Dies zeigen die Forschenden in einer Publikation im Fachjournal »Molecular Psychiatry«. Ihre Daten zeigen, dass der extrasynaptische eNMDAR/TRPM4-Todessignalkomplex als zentraler Treiber der Krankheitsprogression in ihrem Alzheimer‑Mausmodell anzusehen ist. Allerdings demonstrieren die Forschenden auch, dass dieser Komplex mit dem Wirkstoffkandidaten FP802 selektiv gestört werden kann, was das Potenzial dieser Substanz als Neuroprotektivum andeutet.

Der TwinF-Interface-Inhibitor FP802

FP802 ist ein niedermolekularer »TwinF-Interface-Inhibitor«. Dies sind Wirkstoffe, die physikalisch die Wechselwirkung der eNMDA-Rezeptoren mit dem TRPM4-Kationenkanal stören und so die toxische Signalübertragung dieses Komplexes unterbinden. Damit unterscheiden sich TwinF-Interface-Inhibitoren von klassischen NMDAR-Inhibitoren wie beispielsweise Memantin, denn beim Einsatz von TwinF-Interface-Inhibitoren bleiben die lebenswichtigen physiologischen Funktionen der synaptischen NMDAR erhalten.

Mäuse, die mit FP802 behandelt worden waren, zeigten deutlich bessere Leistungen in einschlägigen Verhaltenstests. Zudem ergaben elektronenmikroskopische Mitochondrien-Untersuchungen in den mit FP802-behandelten Tieren eine Normalisierung der in den unbehandelten Tieren erkennbaren gestörten Mitochondrialstruktur, was die Hypothese eines mitoprotektiven Primäreffekts der Komplexdisruption durch FP802 stützt.

Ebenfalls zeigte FP802 positive Effekte auf die dendritische Architektur und auf die Dichte exzitatorischer und inhibitorischer Synapsen. Diese Befunde belegen eine breitbandige strukturelle Neuroprotektion bis hin zur postsynaptischen Nanomorphologie.

Plaquelast sinkt um 25 bis 40 Prozent im Mausmodell

Schließlich resultierte eine FP802-Behhandlung der Mäuse in einer starke Reduzierung der Plaquelast in Hippocampus und Kortex um etwa 25 bis 40 Prozent, nicht jedoch in einer vollständigen Verhinderung der Plaquebildung.

Mechanistisch diskutieren die Autoren eine sogenannte Feed‑forward‑Schleife. Danach erhöhen reaktive Sauerstoffspezies (ROS) direkt via Mitochondrienschäden und indirekt via Transkriptions‑Repression antioxidativer Programme das extrasynaptische eNMDAR/TRPM4‑Signaling, was die Aβ‑Aggregation begünstigt und die Clearance der Aggregate hemmt.

Umgekehrt verschlechtert Aβ die Glutamat-Clearance, was die Extrasynapsen weiter stimuliert. Durch Interferenz von FP802 mit dem Komplex werden die Mitochondrien geschützt und genregulatorische Programme stabilisiert, was sekundär die Plaquelast senkt.

Die Studie adressiert somit eine lang diskutierte Rolle des NMDA-Rezeptors bei der Alzheimer-Demenz, vermeidet aber die Auslegungsprobleme klassischer Kanalblocker durch zielgerichtete Entkopplung des Todeskomplexes.

Neue Strategie für die Alzheimer-Therapie

Konsequent belegen die Forschenden ihre Hypothese durch Daten in der von ihnen postulierten mehrstufigen Kausalkette, ausgehend von der Komplexbildung zwischen eNMDAR und TRPM4 über Verhaltensanalysen, Studien zur Organell‑ und Synapsen‑Morphologie und schließlich der Aβ‑Last.

Dass sich dieser Ansatz grundlegend von bisherigen Therapiestrategien für die Alzheimer-Erkrankung unterscheidet, betont auch Professor Dr. Hilmar Bading, Senior-Autor der Studie, in einer Pressemitteilung. »Statt auf die Entstehung oder Entfernung von Amyloid aus dem Gehirn zu zielen, blockieren wir mit dem NMDAR/TRPM4-Komplex einen nachgeordneten zellulären Mechanismus, der einerseits zum Absterben von Nervenzellen führen kann und andererseits – in einer krankheitsverstärkenden Rückkopplung – die Bildung von Amyloid-Ablagerungen befördert«.

Die klinische Übertragbarkeit, Interaktionsprofil und Langzeitsicherheit von TwinF‑Inhibitoren bleiben zu prüfen. Nichtsdestoweniger sprechen die Daten dafür, dass die Neurotoxizität des eNMDAR/TRPM4-Komplexes bei Alzheimer oberhalb zentraler degenerativer Prozesse liegt und dass FP802 oder Derivate des Wirkstoffkandidaten einen rationalen therapeutischen Ansatz denkbar erscheinen lassen.

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