TK-Experte: Wege aus der Kostenexplosion |
Melanie Höhn |
18.03.2022 10:30 Uhr |
Die stark gestiegenen Ausgaben für Arzneimittel sind ein Grund für die Finanzierungsprobleme in der Gesetzlichen Krankenversicherung. / Foto: iStock/milanfoto
TK-Arzneimittelexperte und Apotheker Tim Steimle kritisierte die hohen Ausgabensteigerungen bei Arzneimitteln auf der Handelsblatt-Tagung »Pharma 2022« und sprach sich deshalb auch gegen den Referentenentwurf aus. Die Vorschläge im Gesetzentwurf zur Kostenminderung der Arzneimittelausgaben gehen ihm nicht weit genug. Der Referentenentwurf sieht unter anderem vor, dass mit einem angehobenen Kassenabschlag auf 2 Prozent und einer gesenkten Mehrwertsteuer (7 Prozent) auf Arzneimittel gespart werden soll. Weitere Milliarden-schwere Einsparungen sollen sich aus zahlreichen erhöhten und teilweise auch neuen Pharma-Rabatten ergeben. Und: Der zwischen Kassen und >H>erstellern ausgehandelte Erstattungsbetrag für neue Arzneimittel soll schon ab dem 7. Monat nach Erstzulassung gelten.
Hochpreisige Arzneimittel sowie der Bereich der neuen Therapien seien laut Steimle zentrale Kostentreiber, sagte er bei der Veranstaltung am Mittwoch. Vor allem die Therapiegruppe der Advanced Therapy Medicinal Products (ATMPs) hätten »ein neues Niveau für Arzneimittelpreise etabliert«. In den vergangenen Jahren habe es nur wenig echte Innovationen gegeben, zudem würden Innovationen bei zu wenig Patienten ankommen. Das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) zeige Wirkung, aber die Einsparungen seien nicht ausreichend und es gebe einen »dringenden Anpassungsbedarf«. Es müssten Verbesserungen auf den Weg gebracht werden »hin zu einem neuen AMNOG«.
Anders als im Referentenentwurf vorgesehen, hätte Steimle sich den Herstellerabschlag für alle patentgeschützten Arzneimittel gewünscht. »Patentgeschützte Arzneimittel verursachen seit Jahren mehr als 50 Prozent der Kosten, sind aber nur für etwas mehr als 10 Prozent des Gesamtverbrauchs verantwortlich«, sagte er. Auch beim Thema Orphan Drugs müsse die bisherige Regelung verändert und die »Privilegierung von Orphan Drugs« aufgehoben werden. »Orphan Drugs haben einen Verordnungsanteil von weniger als 0,1 Prozent, sind aber für 6,6 Prozent der Ausgaben verantwortlich«, sagte Steimle. Der Gesetzesentwurf sieht bei Orphans eine Absenkung der Umsatzschwelle vor, ab der eine Nutzenbewertung nötig wird. Von derzeit 50 Millionen auf 20 Millionen Euro. Auch die Rückwirkung der Erstattungsbeträge begrüßte er als »sehr nachvollziehbar«.
Neben den regulatorischen Aspekten wünscht sich die TK auch wettbewerbliche Maßnahmen, bei deren Umsetzung Steimles Berechnung zufolge insgesamt 4,6 Milliarden Euro eingespart werden könnten. Ein Aspekt, den Wettbewerb zu fördern, sei über sogenannte »Fokuslisten« möglich: Diese würden laut Steimle heute schon in Arztverträgen recht gut funktionieren. »Das heißt, dass wir mit Ärzten entsprechende Regularien vereinbaren, um entsprechende Verordnungshäufigkeiten zu verbessern«, sagte Steimle. Krankenkassen würden die Möglichkeit erhalten, selektiv ein bis zwei Präparate für ihre Versicherten auszuwählen – die sogenannten Fokusprodukte. Dies sei ein Anreiz für die Pharmaindustrie, größere Rabatte zu gewähren.
Ein weiterer wettbewerblicher Vorschlag Steimles ist der Opt-out-Abschlag. »Opt-out sorgt für viel Aufwand bei fehlendem Ertrag aufseiten der GKV. Hersteller zahlen auf alle Produkte 0,5 Prozent mehr Herstellerabschlag, wenn für ein Produkt opt-out gewählt wurde«, erklärte Steimle. Zudem schlägt die TK einen sogenannten Kombinationsherstellerabschlag vor. Die Ausgabendynamik, vor allem in der Onkologie, sei auch bedingt durch den steigenden Anteil von Kombinationstherapien, so Steimle. »Die Kombination zweier oder mehr Arzneimittel führt nicht unbedingt zu einer Addition des Nutzens«, betonte er, aber »auf jeden Fall zur Addition des Preises«. Bisher gebe es keine adäquaten Regelungen für Kombinationen in den Erstattungsbetragsverhandlungen. Die Lösung: ein Kombinationsherstellerabschlag von 15 Prozent.
Laut Steimle müssten mittelfristig noch weitreichendere Modelle entwickelt werden, die die pharmaunabhängige Evidenzlage verbessern und ein modellbasiertes Fair Pricing möglich machen. Zusätzlich müsse es eine organisatorische Anpassung der Arzneimittelversorgung geben, um die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) zu fördern. Steimle: »Wir brauchen ein neues Verständnis für eine moderne Arzneimitteltherapie der Zukunft.« Der TK-Arzneimittelexperte wünscht sich »eine andere Grundlage für die Zusammenarbeit«. Es gelte nicht nur, die sichere Anwendung von Arzneimitteln gut zu begleiten, sondern auch eine bessere Wirksamkeit mit den Ärzten zu organisieren und es brauche einen Austausch mit den Pharmaunternehmen, um zu fairen Preisen zu kommen. »Da sind wir in den vergangenen Jahren deutlich auseinandergelaufen«, bemängelte Steimle. Weiterhin kritisierte er die Regularien im Gesetz hin zu einem Abbau der Krankenkassen-Reserven, »wenn man nur noch so wenig Geld hat, um die Finanzierung sicherzustellen«.