Wirkstoffe aus marinen Organismen |
23.11.1998 00:00 Uhr |
Titel
Die meisten akademischen Arbeitsgruppen sammeln ihre Organismen auf speziell
organisierten Exkursionen durch Flaschentauchen (SCUBA diving: self contained
underwater breathing apparatus). Dabei wird bis in etwa vierzig Meter Tiefe
getaucht, aus Sicherheits- und arbeitstechnischen Gründen immer mindestens zu
zweit. Ein Taucher entnimmt die Proben, der andere verpackt sie in vorbereitete
Behälter. Die Auswahl erfolgt meist direkt unter Wasser und erfordert detaillierte
Kenntnisse der Taxonomie und Chemotaxonomie mariner Lebewesen. Am Standort
wird auch ersichtlich, in welchem ökologischen Umfeld ein Organismus lebt.
Ökologischer Druck, beispielsweise durch Freßfeinde oder Konkurrenten um
Lebensraum, kann oft mit der Produktion bioaktiver Sekundärstoffe korreliert
werden.
Große und teilweise kommerzielle Unternehmen wie PharmaMar in Spanien und
Harbor Branch Oceanographic Institution (HBOI) in Florida verfügen über
professionelle Taucher und Taxonomen, die diese Arbeit übernehmen. Harbor
Branch besitzt das berühmte Tauchboot Johnson Sea Link, mit dem Proben aus der
Tiefsee beschafft werden. Das 25 Jahre alte, unabhängige Forschungsinstitut spielt
eine führende Rolle auf dem Gebiet der pharmakologisch aktiven marinen
Naturstoffe.
Die Proben werden taxonomisch identifiziert, extrahiert, einem chemischen und
biologischen Screening unterzogen und die aktiven Naturstoffe durch
chromatographische Verfahren sowie mit Bioassays isoliert.
Inzwischen sind über 6000 Verbindungen aus marinen Organismen beschrieben;
Informationen findet man in der Datenbank MARINLIT (A Database of the
Literature on Marine Natural Products, J.W. Blunt, M. H. G. Munro, Department
of Chemistry, University of Canterbury, Christchurch, New Zealand).
Vermutlich werden viele marine Naturstoffe auf ähnlichen Biosynthesewegen wie
terrestrische Verbindungen aufgebaut, beispielsweise Terpene, die auch in
Meerestieren und -pflanzen häufig vorkommen. Wissenschaftliche Untersuchungen
dazu gibt es jedoch nur wenige. Die Chance, auf neue strukturelle Varianten und
Strukturtypen zu stoßen, ist sehr hoch. Einige Beispiele sollen zeigen, daß marine
Naturstoffe strukturelle Überraschungen bieten und diese mit potenter biologischer
Aktivität einhergehen.
Cembrane sind makrozyklische Diterpene, die vor allem in Weich- und
Hornkorallen vorkommen. Ein Cembran der Weichkoralle Lobophytum cristagalli
hemmt die Ras-Farnesyltransferase. Die Ras-Proteine aus der großen Familie
GTP-bindender Proteine helfen mit, Signale von der Zelloberfläche zum Kern
weiterzuleiten. Diese Signalkaskaden sind an der Steuerung des Zellwachstums und
der Zelldifferenzierung beteiligt. Bei etwa dreißig Prozent der menschlichen Tumoren
wurden Mutationen in den Ras-Genen nachgewiesen. Inhibitoren der
Ras-Farnesyl-Transferase hemmen die für die Verankerung in der Membran
wichtige, posttranslationale Verknüpfung der Ras-Proteine mit einem Prenyl-Rest
und gelten als potentielle Tumortherapeutika.
Ein weiterer Naturstoff mit terpenoidem Charakter ist das von der Gruppe W.
Fenical in Kooperation mit Bristol-Myers Squibb identifizierte Eleutherobin. Es
stammt aus einer seltenen, an der Küste West-Australiens vorkommenden
Weichkoralle der Gattung Eleutherobia. Eleutherobin besitzt ein
Eunicellan-Grundgerüst, das durch weitere Ringschlüsse aus dem
Cembrangrundkörper hervorgeht. Zunächst wurde die außerordentlich starke, im
nanomolaren Bereich liegende Zytotoxizität gegenüber kultivierten Krebszellinien
registriert, dann der Wirkungsmechanismus aufgeklärt. Eleutherobin stabilisiert wie
Paclitaxel (Taxol) Mikrotubuli und war bei seiner Entdeckung das zweite Molekül
mit dieser einzigartigen biologische Aktivität.
Inzwischen wurde ein weiteres Molekül mit dieser Wirkweise gefunden: das aus
dem Schwamm Discodermia dissoluta stammende Discodermolide. Harbor Branch
verkaufte die Lizenz für Discodermolide an Novartis.
Marine Naturstoffe zeichnen sich durch ungewöhnliche funktionelle Gruppen aus,
insbesondere die Substitution mit Halogenen, vorwiegend Chlor und Brom, selten
auch Iod. Cyclocymopol ist ein bromierter aromatischer Metabolit der marinen
Grünalge Cymopolia barbata, der mit dem Progesteronrezeptor interagiert.
Auch komplexe Heterocyclen und Ringsysteme sind weit verbreitet. Palau'amine ist
eine hexacyclische Verbindung mit zwei Guanidingruppierungen, eine in marinen
Naturstoffen auffallend häufige Einheit. Die Substanz wurde in dem Schwamm
Stylotella agminata gefunden und hat potente immunsuppressive Wirkung, ist
allerdings auch generell zytotoxisch.
Viele marine Toxine gehören zur Gruppe der Polyetherverbindungen, die auf dem
Polyketidweg aufgebaut werden. Einige davon, beispielsweise Halichondrin B, sind
als Antitumorsubstanzen therapeutisch vielversprechend. Halichondrin B befindet
sich bereits in der präklinischen Phase der Entwicklung.
Eine Besonderheit sind Peptide und Depsipeptide mit teilweise ausgefallenen
Aminosäuren. Kahalalide F wurde erst kürzlich aus der Seeschnecke Elysia
rufescens isoliert. Dieses Tier ernährt sich ausschließlich von einer Grünalge der
Gattung Bryopsis, nimmt das Peptid aus dieser Futterquelle auf und reichert es an.
Werden kultivierte Zellen mit Kahalalide F inkubiert, so blähen sie sich innerhalb von
Minuten auf, schwellen an, und es bilden sich große Vakuolen. Vermutlich lagert
sich die Verbindung in die Membran der Lysosomen ein.
Viele marine Substanzen befinden sich derzeit in der präklinischen und klinischen
Phase ihrer Entwicklung. Durch das US National Cancer Institute (NCI) wurden
einige als Zytostatika einsetzbare Stoffe sehr bekannt, beispielsweise Bryostatine
und Didemnine. An zweiter Stelle stehen Antiphlogistika aus den
Forschungsgruppen von W. Fenical und J. Faulkner am SCRIPPS Institution of
Oceanography (La Jolla, California) und R. Jacobs von der University of California
sowie Immunsuppressiva, die vor allem aus den Laboratorien von Harbor Branch
Oceanographic Institution stammen.
Eine der am besten untersuchten Antitumorsubstanzen ist das Bryostatin-1 aus dem
Moostierchen (Bryozoa) Bugula neritina, einem weit verbreiteten Fäulniserreger.
Moostierchen sind etwa 0,5 mm große, einfach gebaute Tiere, von denen etwa
4000 Arten bekannt sind. Die Einzeltiere befinden sich in Kammern, deren
Außenskelett kalkartig sein kann und das Tier panzerartig verfestigt erscheinen läßt.
Der Mund des Einzeltieres ist von einem Tentakelkranz umgeben. Durch die
Bewegung der Tentakelwimpern entsteht ein Wasserstrom, der den Tieren Plankton
als Nahrung zuführt; Moostiere gehören somit zu den Strudlern. Bryozoen bilden
Kolonien, die von wenigen Millimetern bis zu ein Meter groß sein können. Die
Stöcke haben unterschiedliche Formen. Sie können, ähnlich den Algen, wie kleine
Bäumchen aussehen, Krusten bilden oder zu äußerst feinen spitzenartigen Gebilden
heranwachsen.
Die Gruppe von Professor George Pettit an der Arizona State University begann
bereits 1968 im Golf von Mexiko Bryozoen zu sammeln, die später als Bugula
neritina identifiziert wurden. Es stellte sich heraus, daß deren Extrakt die
Überlebenszeit von Versuchstieren mit P388-Leukämie signifikant verlängerte. Erst
1981 konnte das erste Milligramm der aktiven Substanz Bryostatin-1 durch
Bioassay-guided fractionation erhalten werden. Heute kennt man mehr als zwanzig
verschiedene Bryostatine.
Bryostatine sind makrocyclische Laktone, die wahrscheinlich auf dem Polyketidweg
aufgebaut werden. Der zwanziggliedrige Ring enthält drei Pyranringe; dieses
Bryopyran-Ringsystem wurde bislang nur bei diesen Bugula-neritina-Naturstoffen
gefunden. Ein Problem ist die extrem geringe Konzentration im Ausgangsmaterial,
die im Bereich 10-8 bis 10-3 Prozent liegt. Man braucht 500 bis 1000 kg Bryozoen
für einige Milligramm Substanz. Für die klinischen Untersuchungen wurde
Bryostatin-1 1988 in großem Maßstab isoliert. Dazu wurden etwa 40000 Liter
dieses Tieres an der Küste des südlichen Kaliforniens gesammelt und daraus 18 g
Bryostatin-1 isoliert. Inzwischen ist die Biotechnologie-Firma CalBioMarine
Technologies (Carlsbad, California) mit finanzieller Unterstützung des NCI dabei,
Kolonien von B. neritina in 5000-Liter-Tanks zu kultivieren. Langfristig sollen
hochproduzierende Organismen selektioniert und der Nachschub an Bryostatin-1
gesichert werden.
Vorkommen, Menge und Art der Derivate sind in natürlichen Populationen sehr
variabel. So enthält bei weitem nicht jede Population die gesuchten Naturstoffe. Es
ist nicht ausgeschlossen, daß das Moostierchen nicht selbst, sondern assoziierte
Mikroorganismen die eigentlichen Produzenten der Bryostatine sind.
Auf zellulärer Ebene wurden zahlreiche Effekte durch Bryostatin-1 ausgelöst, die
jedoch den Wirkungsmechanismus nicht eindeutig klären. Sicher ist eine Bindung an
die Proteinkinase C (PKC), die für die gezielte Isolierung der Bryostatine genutzt
werden kann: In einem In-vitro-Bioassay wird die Verdrängung radioaktiv
markierter Phorbolester durch Bryostatin-1 vom PKC-Rezeptor gemessen. Die
PKC gehört zu einer Familie von Serin/Threonin-Kinasen, die Teil einer
Signalkaskade (intrazellulärer Phosphatidylinositol-Signalübertragungsweg) sind und
unter anderem zur Expression von Genen führen, die am Zellwachstum beteiligt sind.
Phorbobolester sind Aktivatoren der PKC und Tumorpromotoren. Bryostatin-1
aktiviert zwar die Proteinkinase, ist aber kein Tumorpromoter. Im Tiermodell und
anhand kultivierter Keratinozyten wurde sogar gezeigt, daß es den tumorfördernden
Effekt von Phorbolestern antagonisiert. Möglich ist ein unterschiedlicher Einfluß auf
verschiedene Isoenzyme.
Bemerkenswert ist die Wirkung auf das Immunsystem. Die Substanz steigert in
Knochenmarkkulturen die Produktion von Granulozyten-Makrophagen-Kolonien,
wirkt immunstimulierend und regt die Produktion von Zytokinen an.
Die Lizenz für Bryostatin-1 wurde vom NCI an Bristol-Myers Squibb verkauft. Die
Substanz wird seit 1990 klinisch erprobt, drei Phase-I-Studien sind publiziert. Der
dosislimitierende Faktor sind Myalgien (Muskelschmerzen), eine Antitumorwirkung
ist evident. Phase-II der klinischen Versuche begann 1996 in der USA.
Meeresalgen sind in der Pharmazie vor allem aufgrund ihrer hochmolekularen und
viskosen Polysaccharide bekannt. Daß auch Verbindungen mit mittlerem
Molekulargewicht bedeutend sein können, zeigt die Antitumorsubstanz Halomon aus
Portieria hornemanii. Der Extrakt dieser weit verbreiteten grazilen Rotalge fiel im
Anti-HIV-Screening des NCI auf. Während bereits bekannte Toxine antiviral
wirkten, wurden weitere Komponenten als selektiv zytotoxisch erkannt. 1992
wurde die relativ einfache Struktur beschrieben. Halomon ist ein neuer Vertreter der
für Rotalgen gängigen Strukturklasse hochhalogenierter Monoterpene.
Derzeit versucht das NCI selektiv zytotoxische Substanzen zu identifizieren. Man
sucht Verbindungen, die langsam wachsende Krebszellen schädigen. Die Wirkung
von Testsubstanzen wird an etwa sechzig verschiedenen Krebszellinien geprüft; das
Profil aus den verschiedenen Dosis-Wirkungskurven wird ausgewertet und mit dem
Profil bekannter Zytotoxine wie Taxol oder Colchicin verglichen. Daraus gewinnt
man Hinweise auf den Wirkungsmechanismus.
Halomon führte zu einem Fingerprint mit auffallend differentieller Zytotoxizität.
Während die eher sensitiven Leukämie- und Melanomazellen nur wenig ansprachen,
waren chemoresistente Zellen, zum Beispiel Kolonkrebszellen, um ein Vielfaches
empfindlicher. Es handelt sich demnach nicht um ein generelles Zellgift. Das Profil
von Halomon ist einzigartig und weist auf einen neuen Wirkungsmechanismus hin. In
der präklinischen Phase werden derzeit Struktur-Aktivitätsbeziehungen untersucht
und die Isolierung ausreichender Substanzmengen sichergestellt. Die erste Studie zur
Pharmakokinetik in Mäusen ist bereits erschienen.
Manteltiere (Tunicata) sind relativ nahe verwandt mit Wirbeltieren; eine Untergruppe
sind die im adulten Stadium sessilen Seescheiden (Ascidien), häufig mit
knollenförmigem Körper und gut sichtbarer Mundöffnung. Das Manteltier
Ecteinascidia turbinata liefert die Ecteinascidine. Es handelt sich um ein
kolonienbildendes Tier aus einer Gruppe von dicht aneinanderstehenden Zooiden
(Einzeltieren), die an der Basis miteinander verbunden sind.
Bereits Ende der sechziger Jahre wurde die antineoplastische Wirkung des
Extraktes erkannt. Es gab massive Schwierigkeiten bei der Isolierung und
Strukturbestimmung der aktiven Komponenten, die erst um 1990 von Rinehart
beschrieben wurden. 1992 begannen Versuche zur Aquakultur des Tieres.
Inzwischen konnten die Bedingungen soweit optimiert werden, daß der volle
Entwicklungszyklus des Tieres im Aquarium abläuft. Der Bedarf an Substanz scheint
zumindest vorläufig gedeckt zu werden.
Ecteinascidine sind trimere Tetrahydroisochinolinalkaloide. Ecteinascidin-743
(PharmaMar) befindet sich in Phase-I der klinischen Erprobung als
Antitumorsubstanz. Besonders bemerkenswert ist die chemisch aktive
Carbinolamingruppe. Wahrscheinlich wirken diese Stoffe ähnlich wie einige
mikrobiell produzierte Chemotherapeutika (Anthracycline) durch kovalente Bindung
an die DNA. Die Substanz inhibiert in vitro in pikomolaren Konzentrationen das
Zellwachstum, wie von Kolon- und ZNS-Krebszellen. Im Unterschied zu
Seescheiden wie Ecteinascidia turbinata bilden andere Tiere dieser taxonomischen
Gruppe krustenartige Stöcke, bei denen die Einzeltiere nicht mehr erkennbar sind.
Dazu gehört Trididemnum solidum, die die Didemnine liefern. Diese Verbindungen
zählen zu den Depsipeptiden und enthalten auch untypische Aminosäuren,
beispielsweise Isostatin in Didemnin B.
Didemnine beeinträchtigen die Proteinsynthese; der Wirkungsmechanismus ist
jedoch nicht im Detail geklärt. Als Target wurde der Elongationsfaktor-1a
beschrieben, ein Protein, das für den Transport von Aminoacyl-t-RNA zur A-Stelle
der Ribosomen verantwortlich ist. Didemnin B soll die Aminoacyl-tRNA-Bindung
an die ribosomale A-Stelle stabilisieren, womit die Translokation unterbunden wird.
Eine geringfügig abweichende Verbindung mit höherer antiproliferativer Wirkung,
das Dehydrodideminin B, fand die spanische Firma PharmaMar in der im
Mittelmeer vorkommenden Tunikate Aplidium albicans; diese wird derzeit
weiterentwickelt.
Schwämme und Weichkorallen sind weitere wichtige Sekundärstoffproduzenten.
Schwämme sollen die strukturell vielfältigsten Naturstoffe enthalten. Schwämme sind
ebenfalls Strudler, die ihre Nahrung durch Filtration von Seewasser erhalten.
Aus Luffariella variabilis, einem unauffällig braun gefärbten Tier, wurde die wohl
bekannteste antiinflammatorische Substanz erhalten. Manoalid ist ein Sesterterpen,
also ein C25-Terpen; diese sind in Schwämmen häufig, in terrestrischen Organismen
aber kaum zu finden. Es hemmt die Phospholipase A2 (PLA2) und vermindert damit
die Bereitstellung von Arachidonsäure zur Biosynthese proinflammatorischer
Eicosanoide. Manoalid wurde klinisch in topischer Anwendung geprüft, nähere
Daten sind nicht publiziert. Nach Angaben von Professor Jacobs, University of
California, laufen keine klinischen Prüfungen mehr, da Bedenken wegen der
chemischen Reaktivität dieses Stoffes bestehen. Manoalid besitzt verdeckte und
reaktive Aldehydgruppen, die zu einer kovalenten Bindung an das Targetprotein
PLA2 führen. Die Substanz wird jedoch in vielen zellbiologischen Tests als
Standardinhibitor der PLA2 eingesetzt.
Eine Hornkoralle auf den Bahamas, Pseudopterogorgia elisabethae bildet
interessante Stoffe. Hornkorallen oder Gorgonien gehören zu den Nesseltieren. Die
als Pseudopterosine bezeichneten Diterpene liegen zum Teil als Glykoside vor - ein
seltener Befund in marinen Organismen. Die antiinflammatorische Aktivität von
Pseudopterosin E beruht ebenfalls auf der Hemmung der PLA2, und zwar
zellspezifisch in polymorphkernigen Leukozyten, sowie der 5-Lipoxygenase.
Möglicherweise ist das Glykosid ein Prodrug; erst nach Hydrolyse und Oxidation
zum o-Chinon tritt Aktivität auf.
Pseudopterosin E zeigt in der Maus bis zu 300mg/kg keine toxischen Effekte; in
klinischen Studien der Phase-I wird das Derivat Methopterosin geprüft. Die Firma
Estée Lauder inkorporiert Pseudopterosine in Kosmetika (Resilience Produkte), da
neben der antiphlogistischen Aktivität auch eine Wirkung auf den Elastinhaushalt
bestehen soll.
Ein großes Problem in der marinen Naturstoffchemie und -pharmakologie ist die
Bereitstellung ausreichender Mengen an Prüfsubstanz. Die Makroorganismen
können bestenfalls in Versuchsansätzen kultiviert werden, und das tonnenweise
Abernten aus dem natürlichen Habitat ist ökologisch nicht immer vertretbar. Hier
liegt eine große Aufgabe für die Grundlagenforschung in den Bereichen marine
Biotechnologie, Biosynthese und Ökologie mariner Naturstoffe. Unter anderem wird
versucht, das genetische Material schwer oder nicht kultivierbarer mariner
Organismen in kultivierbare und genetisch einfach zu manipulierende
Mikroorganismen einzubauen.
Eine der interessantesten Gruppen stellen die Cyanobakterien oder Blaualgen dar.
Bereits vor Jahren wurden aus der Alge Lyngbya majuscula hautreizende und
tumorpromovierende Naturstoffe isoliert. Die Gruppe von Gerwick an der Oregon
State University konnte 1994 eine antimitotische Substanz aus einer Chemovariante
dieser Blaualge, die in Curaçao (Karibik) gesammelt wurde, erhalten. Curacin A
hemmt das Wachstum kultivierter Krebszellen in nanomolaren Konzentrationen.
Dabei wird die Tubulinpolymerisation durch Wechselwirkung von Curacin A mit der
Colchicin-Bindungsstelle inhibiert. Die antiproliferative Wirkung wurde auch am
Tiermodell nachgewiesen. Eine weitere interessante Substanz aus Lyngbya
majuscula ist das Microcolin A, ein Lipopeptid mit immunsuppressiver Wirkung.
PZ-Artikel von Gabriele M. König und Anthony D. Wright, Braunschweig
© 1997 GOVI-Verlag
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