
Titel
Die
Patch-clamp-Technik und ähnliche Meßverfahren
Ein koordinierter
Informationsfluß durch Zellmembranen ist die
Voraussetzung für jedes Leben. Dazu dienen
transmembranale Ionenkanäle, durch die Ströme fließen.
Mit Hilfe von elektrophysiologischen Meßmethoden kann
man diese Prozesse in Echtzeit studieren. Eine besondere
Rolle spielt die Patch-clamp-Technik, da sie eine hohe
Auflösung von Ionenströmen durch einzelne Kanäle sowie
vielfältige Kombinations- und Einsatzmöglichkeiten
erlaubt. Ihre Entdecker, die Professoren Erwin Neher und
Bert Sakmann, erhielten dafür 1991 den Nobelpreis für
Medizin und Physiologie.
Obwohl seit Ende der vierziger Jahre der
Stromfluß an Zellmembranen gemessen wurde, bereiteten
direkte Einzelkanalmessungen der Ströme im
Pikoampère-Bereich erhebliche Schwierigkeiten. Das
Hintergrundrauschen des Präparates überdeckt das
eigentliche Meßsignal. Neher und Sakmann versuchten in
den siebziger Jahren, die Empfindlichkeit der Methode zu
erhöhen. Sie isolierten kleine Membranflecken, indem sie
fein ausgezogene Glaskapillaren mit Elektrolytlösung
füllten und auf die Zelloberfläche aufsetzten. Ströme,
die direkt unter der Pipettenöffnung flossen, sollten
durch das schlecht leitende Glas von Strömen außerhalb
der Pipette abgeschirmt werden. Der Durchbruch gelang
jedoch erst, als Neher per Zufall feststellte, daß durch
Ansaugen der Membran mit einer frischen Meßpipette der
Abdichtwiderstand um mehrere Zehnerpotenzen in den
Gigaohm-Bereich stieg. Durch den engen Abstand zwischen
Pipette und Membranfleck von etwa 0,1 nm wird eine
elektrische Abgrenzung und eine hohe mechanische
Stabilität erzielt.
Ausgehend von dieser als Cell-attached bezeichneten
Konfiguration sind weitere Meßkonfigurationen möglich.
Bricht man mit einem kurzen Saug- oder Spannungspuls ein
Loch in die Membran unter der Pipettenöffnung, kann man
im Whole-cell-Modus messen. Dabei werden alle
elektrogenen Ströme, die durch die Zellmembran fließen,
gemessen. Dagegen lassen sich Einzelkanalmessungen in dem
Cell-attached-Modus und an Membranflecken (Excised
patches) ausführen. Je nach Versuchsbedingungen zeigt
die Membraninnenseite nach außen in die Badlösung
(Inside-out-patch) oder nach innen in die Pipette
(Outside-out-patch). Perforated patches entstehen durch
intrazelluläre Zugabe von Nystatin oder Amphotericin B,
die die Zellmembran permeabel für kleine Moleküle
(Molmasse unter 300) machen.
Leitfähigkeitsmessung
Mit der Patch-clamp-Technik werden alle nicht
elektroneutralen, transmembranalen Ströme erfaßt.
Hierunter fallen besonders solche, die durch Ionenkanäle
fließen. Man unterteilt diese Poren in folgende Klassen:
o Spannungsabhängige Kanäle öffnen und schließen sich
bei Veränderungen des Spannungsgradienten über der
Zellmembran. Für Na
+-,
K
+-, Ca
2+-
und Cl
--Ströme wurden
solche Kanalproteine in der Zellmembran nachgewiesen.
o Rezeptorgesteuerte Kanäle öffnen als Reaktion auf die
Bindung extrazellulärer Agonisten an speziellen Stellen
der Zelloberfläche. So führt N-Acetylcholin an dem
n-ACh-Rezeptor zur Aktivierung eines Kationenstroms.
Durch den Einstrom positiver Ladungsträger depolarisiert
die Zelle und aktiviert spannungsabhängige Kanäle.
o Second-messenger-kontrollierte Ionenkanäle werden
durch intrazelluläre Botenstoffe reguliert. Solche
Transmitter sind zum Beispiel cyclische Nukleotide oder
Ca
2+.
o Volumensensitive Ionenkanäle aktivieren bei
Osmolaritätsunterschieden zwischen Zellinnerem und
extrazellulärem Milieu. Häufig handelt es sich dabei um
Chloridströme.
o Speicherregulierte Kanäle öffnen bei Entleerung des
intrazellulären Calcium-Speichers und führen zu einem
Ca
2+-Einstrom, dessen
physiologische Bedeutung wahrscheinlich die
Wiederauffüllung des Reservoirs ist.
Kapazitätsmessung
Neben der Messung von Strömen können mit der
Patch-clamp-Technik auch Kapazitäten erfaßt werden.
Nach physikalischen Gesetzen verhalten sich Kapazitäten
proportional zu den Oberflächen eines
Plattenkondensators. Dies gilt auch für biologische
Membranen, so daß Oberflächenänderungen, zum Beispiel
beim Verschmelzen von einzelnen Vesikeln mit der
Zellmembran, aus gemessenen Kapazitätsänderungen
berechnet werden können. Für biologische Membranen
liegen die Kapazitäten im Bereich von 1 mikroFarad
(µF)/cm
2.
Amperometrie
Bei der Fusion sehr kleiner Vesikel, zum
Beispiel von Katecholamin-speichernden Vesikeln der
chromaffinen Zellen aus dem Nebennierenmark, entsteht nur
ein geringer Kapazitätszuwachs, der an der
Auflösungsgrenze der Meßmethode liegt. Daher koppelt
man die Patch-clamp-Technik mit der Amperometrie, bei der
eine Kohlenstoffelektrode zur polarographischen Detektion
von freigesetzten redoxaktiven Substanzen dient. Aus den
Meßergebnissen kann man berechnen, daß drei Millionen
Moleküle Adrenalin oder Noradrenalin pro
Exozytosebläschen aus den chromaffinen Zellen des Rindes
freigesetzt werden.
Ausblick
Elektrophysiologische Meßmethoden werden bei
vielfältigen Fragestellungen eingesetzt. So können
Wirkmechanismen von Pharmaka identifiziert, gentechnisch
veränderte Ionenkanäle vermessen und pathologische
Kanalveränderungen, die beispielsweise der Mukoviszidose
zugrundeliegen, aufgeklärt werden.
PZ-Titelbeitrag von Matthias Bödding, Göttingen
© 1996 GOVI-Verlag
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