
Titel
Minister Rexrodt: "Generell
keine Sorgen um
die Zukunft der Apotheken"
Nachdem Bundesgesundheitsminister
Horst Seehofer am 26. September in Bonn öffentlich
erklärt hat, die Pläne der ABDA zur Modifikation der
Arzneimittelpreisverordnung zu unterstützen, hat die
politische Diskussion einen wesentlichen Impuls bekommen.
"Drehung" und "FF" sind ein in sich
schlüssiges System, das die Arzneimittelpreise in der
Tat für die Krankenkassen kostensparend, für die
Apotheker ertragsneutral kalkuliert. Damit bleibt der
bundesweit einheitliche Apothekenabgabepreis erhalten.
Die PZ befragte im Vorfeld des Deutschen Apothekertages
1996 Bundeswirtschaftsminister Dr. Günter Rexrodt zu
fünf Problemfeldern, die gemäß des
gesundheitspolitischen Konzepts der ABDA angepaßt werden
sollten. Für eine Änderung der Verordnung ist das
Bundeswirtschaftsministerium zuständig.
PZ:
Herr Minister, nachdem Bundesgesundheitsminister Horst
Seehofer öffentlich die Pläne der ABDA -
Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände zur
Modifizierung der Arzneimittelpreisverordnung positiv
bewertet hat, möchten wir Ihre Meinung zu einer
Änderung der Arzneimittelpreisverordnung erfahren, aber
zunächst fragen, ob Sie grundsätzlich an der Systematik
der Preisbildung im Pharmabereich beziehungsweise an der
Gleichpreisigkeit der Arzneimittel in allen deutschen
Apotheken festhalten wollen?
Rexrodt: In einer sozialen
Marktwirtschaft ist jede preisregulierende Verordnung ein
Fremdkörper. Insoweit fühle ich bei einem Regelwerk,
dessen Ziel die Gleichpreisigkeit ist, ein gewisses
Unbehagen - wie alle meine Vorgänger im Amt übrigens
auch. Ich akzeptiere aber den seit Jahrzehnten
bestehenden parteiübergreifenden Konsens, daß bei der
Behandlung von Arzneimitteln besondere Bedingungen gelten
und gesundheitspolitische Zielsetzungen den Ausschlag
geben. Die Arzneimittelpreisverordnung hat sich bewährt
und bleibt erhalten. Ob dies auf Dauer für den
gegenwärtigen Umfang gilt, ist eine andere Frage.
PZ: Seit Jahren wird immer wieder von
seiten der Apotheker eine Anpassung der
Apothekenaufschläge an die allgemeine wirtschaftliche
Entwicklung gefordert. Man beruft sich dabei auf die
Verpflichtung des Verordnungsgebers, regelmäßig die
Aufschläge zu überprüfen. Dies ist seit dem
Inkrafttreten der Verordnung im Jahr 1980 nicht
geschehen. Ist hier die Politik ihrer Verpflichtung nicht
nachgekommen oder sah sie keinen Handlungsbedarf?
Rexrodt: Das
Bundeswirtschaftsministerium hat die Entwicklung in den
Jahren seit Inkrafttreten der Verordnung kontinuierlich
verfolgt. Aufgrund der dynamischen Konzeption der
Verordnung mit prozentual gestaffelten Spannen paßt sie
sich automatisch der wirtschaftlichen Entwicklung an.
Dabei gibt es natürlich im Laufe der Zeit Verschiebungen
innerhalb des Preisgefüges. Insgesamt glaube ich aber,
daß sich diese Verordnung bislang gut bewährt hat. Die
Wünsche nach Änderungen sind erst jüngerer Natur.
Diese Forderungen werden von uns sorgfältig geprüft.
PZ: Der Vorschlag der ABDA für eine
"Drehung" der Apothekenzuschläge auf
Fertigarzneimittel sieht vor, bei hochpreisigen
Arzneimitteln den Apothekenaufschlag zu kappen, während
im niedrigpreisigen Bereich die Aufschläge geringfügig
angehoben werden. Halten Sie diesen Vorschlag für den
richtigen Weg, die Kosten der gesetzlichen Krankenkassen
im Arzneimittelsektor zu senken? Ist dieser Vorschlag aus
Ihrer Sicht politisch überhaupt durchsetzbar?
Rexrodt: Wie Sie wissen, wird dieser
Vorschlag sehr kontrovers diskutiert. Was mir in jedem
Fall berechtigt erscheint, ist eine Kappung der
Preisspannen im oberen Bereich, um extreme
Distributionsspannen eines einzelnen Medikaments
zukünftig zu verhindern. Mir ist auch klar, daß man bei
einer solchen Kappung die Einkommensverluste der
Apotheker kompensieren muß. Hier gibt es einen Vorschlag
aus dem Bundesgesundheitsministerium, zum Ausgleich die
seit 1980 unveränderten Rezepturzuschläge sowie den
Nachtdienstzuschlag deutlich anzuheben.
Die ABDA favorisiert eine Anhebung der Preise im unteren
Marktsegment. Dies stößt bei Pharmaherstellern auf
Kritik. Da hier im wesentlichen der Markt der
freiverkäuflichen Arzneimittel betroffen ist, muß man
sich auch die Frage stellen, ob dieser Bereich nicht in
einem solchen Fall aus der Verordnung herausgenommen
werden sollte. Wir werden mit den Beteiligten erörtern,
inwieweit hier ein Konsens möglich ist. Wahrscheinlicher
ist aber, daß kein Vorschlag die Interessen aller
Betroffenen befriedigt. Schließlich sollte man in
Rechnung stellen, daß jede Änderung der Zustimmung des
Bundesrates bedarf. Hier sollte die Tendenz der
Ländermehrheit, notwendige Kosteneinsparungen im
Gesundheitswesen weniger den Versicherten, sondern
verstärkt den Leistungsanbietern aufzuerlegen, nicht
unterschätzt werden.
PZ: Mit dem
festbetragsgruppenspezifischen Festzuschlag bei
Festbetragsarzneimitteln will die ABDA für den Apotheker
eine vom Herstellerabgabepreis unabhängige Auswahl bei
wirkstoffgleichen Arzneimitteln ermöglichen. Wie sehen
Sie den Vorschlag?
Rexrodt: Der hinter dem
festbetragsgruppenspezifischen Festzuschlag stehende
Gedanke einer vom Herstellerpreis unabhängigen Auswahl
des Apothekers durch einen einheitlichen Zuschlag ist
konsequent im Hinblick auf eine Stärkung der
Beratungsneutralität. Mir hat allerdings noch niemand
klarlegen können, wie man eine solche Regelung ohne
einen nicht mehr zu vertretenden zusätzlichen
bürokratischen Aufwand umsetzen kann. Der
Verordnungsgeber müßte für die mehreren tausend
Festbetragsgruppen zu jedem Zeitpunkt, unverzüglich nach
jeder Änderung oder Aufstellung einer neuen
Festbetragsgruppe, den einheitlichen Endverkaufspreis
sicherstellen. Außerdem würde das gegenwärtige System
einer Preisspannenverordnung weitgehend gesprengt, so
daß die Konstruktion der Verordnung insgesamt zur
Disposition gestellt würde.
PZ: Bei einer Revision der
Arzneimittelpreisverordnung erwarten die Apotheker auch
eine Anpassung der Rezepturpreise - sie betragen je nach
Anfertigung zwischen 1,50 und 4,50 DM - und der Nacht -
beziehungsweise Notdienstgebühr, die seit nunmehr 16
Jahren unverändert 2,00 DM beträgt. Würden Sie bei
einer Änderung der Arzneimittelpreisverordnung auch
diesen Bereich "modernisieren"?
Rexrodt: Ich stimme ausdrücklich zu,
daß bei einer Änderung der Arzneimittelpreisverordnung
die Rezepturpreise angemessen angepaßt werden müssen.
Dies wäre aber wohl Teil eines Gesamtpaketes auch im
Hinblick auf die zusätzlichen Einnahmen der Apotheker.
PZ: Als Gefahr für das bisherige
Preisbildungssystem wurden insbesondere in den letzten
Monaten die zu erzielenden Einkaufsvorteile diskutiert.
Sehen Sie eine Möglichkeit, Einkaufsvorteile auf dem
Verordnungswege zu reglementieren?
Rexrodt: Eine weitere Regulierung in der
Arzneimittelpreisverordnung durch ergänzende Regelungen
zur Beschränkung von Rabatten kann ich mir nicht
vorstellen. Hier gäbe es im übrigen auch rechtliche
Hürden.
PZ: Unterschiedliche
Preisbildungssysteme, Lohnstrukturen und staatliche
Reglementierungen haben in Europa zu nicht vergleichbaren
Arzneimittelpreisen geführt. Von den Preisunterschieden
wollen die gesetzlichen Krankenkassen durch Reimporte und
Parallelimporte profitieren und die Apotheker zur Abgabe
jetzt per Vertrag verpflichten, obwohl die gesetzliche
Verpflichtung gerade aufgehoben wurde. Sehen Sie als
liberaler Wirtschaftspolitiker nicht auch die
Notwendigkeit, im Arzneimittelbereich in allen
EU-Ländern zunächst einmal vergleichbare
Rahmenbedingungen zu schaffen, bevor Preisvorteile von
Importen als Kostensenkungspotential im Gesundheitswesen
ausgenutzt wird?
Rexrodt: Die Kompetenz für die
nationalen Gesundheitssysteme ist aus einer Reihe von
Gründen bei den Mitgliedstaaten verblieben. Aufgrund
ihrer sehr unterschiedlichen Struktur sind sie einer
Harmonisierung auch weitgehend nicht zugänglich. Wenn
wir nicht wollen, daß die Kommission oder andere
Mitgliedstaaten in unsere Gesundheitspolitik eingreifen,
können wir auch gegenüber anderen Mitgliedstaaten keine
Forderungen stellen. Hier wird man wohl auch weiterhin
mit unterschiedlichen Regelungen leben müssen. Die Folge
davon sind Reimporte und Parallelimporte von
Arzneimitteln, deren grundsätzliche Zulässigkeit im
einheitlichen Binnenmarkt nicht in Frage steht. Mit der
Aufhebung der Verpflichtung zur Abgabe reimportierter
Arzneimittel hat der Gesetzgeber dem von Ihnen
angesprochenen Problem unterschiedlicher
Preisbildungssysteme Rechnung getragen. Inwieweit dies zu
neuen Vereinbarungen mit den Krankenkassen führt, ist
Sache der Vertragspartner.
PZ: Den Apotheken obliegt, so steht es
im Gesetz, die im öffentlichen Interesse gebotene
Sicherstellung einer ordnungsgemäßen
Arzneimittelversorgung. Herr Minister, wie beurteilen Sie
vor dem Hintergrund der allgemeinen wirtschaftlichen
Entwicklung in Deutschland und Europa die Zukunft der
deutschen Apotheke?
Rexrodt: Auch hier dürfte es einen
parteiübergreifenden Konsens in Deutschland geben, daß
die Stellung der Apotheken als Garant einer
ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung auch in Zukunft
gesichert werden muß. Damit ist nicht ausgeschlossen,
daß den Apotheken der Wettbewerbswind etwas härter ins
Gesicht bläst. Um ihre Zukunft mache ich mir generell
dennoch keine Sorgen.
Das Interview führten Hartmut Morck und Gisela
Stieve, Bonn
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