Titel
Die Pharmazeutische Zeitung hat in Verbindung mit dem Institut für
Gesundheits-System-Forschung Kiel in Heft 47/1996 eine Leserumfrage mit
der Überschrift "Wo würden Sie reformieren?" durchgeführt. Eine
gleichlautende Umfrage erfolgte im Deutschen Ärzteblatt. Wesentliche
Ergebnisse der Leserumfrage in der Pharmazeutischen Zeitung werden hiermit
vorgestellt und mit den Ergebnissen der Leserumfrage im Deutschen
Ärzteblatt verglichen.
Mit der Leserumfrage sollten sich Apotheker zu Kernfragen der Weiterentwicklung
unseres Gesundheitswesens äußern. Die Diskussion darüber wird überwiegend von der
Politik und von Verbänden geführt. Wer im Gesundheitswesen tätig ist, wird kaum in
die Diskussion einbezogen.
An der Leserumfrage zu den Themen
O Rationalisierung
O Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
O Selbstbeteiligung in der gesetzlichen Krankenversicherung
O Rationierung
haben sich 209 Personen beteiligt. Der Anteil der Apothekerinnen beträgt 39 Prozent,
der Anteil der Apotheker 61 Prozent der Antworten. Aus der Altersverteilung ergibt
sich, daß überwiegend diejenigen geantwortet haben, die berufstätig sind. Rund 90
Prozent arbeiten in einer öffentlichen Apotheke, etwas mehr als 3 Prozent sind im
Krankenhaus tätig. 7 Prozent sind in der pharmazeutischen Industrie, im öffentlichen
Gesundheitsdienst und in sonstigen Bereichen beschäftigt. Diese Verteilung ist im
wesentlichen ein Spiegelbild der Tätigkeitsbereiche von Apothekern.
Rationalisierungsreserven
96 Prozent der Apotheker sind der Auffassung, daß im Gesundheitswesen eine
wirtschaftlichere Erbringung von Gesundheitsleistungen, daß Rationalisierung möglich
ist. Die Rationalisierungsreserven werden von mehr als zwei Dritteln der Apotheker als
wesentlich und von einem Sechstel als groß eingeschätzt. Am häufigsten wird mit 82
Prozent das Krankenhaus als Bereich genannt, in dem Rationalisierungsreserven
mobilisiert werden können. 74 Prozent sehen im Kurwesen Rationalisierungsreserven,
44 Prozent in der ambulanten Versorgung, 31 Prozent bei Arzneimitteln, 27 Prozent bei
Heilmitteln, 26 Prozent in der Rehabilitation und 23 Prozent bei Hilfsmitteln
(Mehrfachnennungen waren möglich). Als weitere Bereiche werden
Rationalisierungsreserven bei Krankenkassen durch eine Senkung der
Verwaltungskosten, eine Reduktion der Ausgaben für Werbung und eine Einschränkung
von Gesundheitskursen genannt.
Ärzte sehen mit 95 Prozent ebenfalls Rationalisierungsreserven im Gesundheitswesen.
In ähnlich großem Umfang wie die Apotheker (69 Prozent) schätzen die meisten Ärzte
(64 Prozent) die Rationalisierungsreserven als wesentlich ein. Ärzte gehen allerdings in
höherem Maß (25 Prozent) davon aus, daß die Rationalisierungsreserven im
Gesundheitswesen groß sind. Insbesondere Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst und
niedergelassene Ärzte sehen die Rationalisierungsreserven als groß an.
Unter den Ärzten wird mit 81 Prozent das Kurwesen als erster Bereich genannt, in dem
Rationalisierungsreserven mobilisiert werden können. Weitere Bereiche sind:
Krankenhaus, Arzneimittelversorgung, ambulante Versorgung, Heilmittel, Hilfsmittel und
Rehabilitationsleistungen.
Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
Mit 86 Prozent ist die Mehrheit der Apotheker der Auffassung, daß Leistungen aus
dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen werden können.
Dabei sind Apotheker in höherem Maß (89 Prozent) als Apothekerinnen (81 Prozent)
dieser Auffassung. 87 Prozent der Apotheker halten es sogar für erforderlich, trotz
bestehender Rationalisierungsreserven Leistungen aus dem Leistungskatalog der
gesetzlichen Krankenversicherung zu streichen. Mit überwältigender Mehrheit wird der
gesamte Bereich der Gesundheitskurse von den Apothekern als Leistungsbereich
genannt, der aus dem Leistungskatalog herausgenommen werden kann. Ebenfalls
gestrichen werden können nach Auffassung der Apotheker Kuren, Leistungen für
Sportverletzungen, die Pille, Fahrtkosten und Leistungen für Schwangerschaftsabbruch.
Kuren für Rentner werden vollständig abgelehnt. Es wird auch darauf hingewiesen, daß
eine Leistungsbeschränkung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung streng
an Kosten-Nutzen-Überlegungen orientiert sein muß.
Ärzte befürworten mit 90 Prozent eine Streichung von Leistungen aus dem
Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Ärztinnen und Apothekerinnen
lehnen im Vergleich zu männlichen Kollegen in deutlich höherem Maß
Leistungseingrenzungen ab. Rationalisierungsreserven sehen Ärzte hauptsächlich bei
Massagen. Aus den Antworten läßt sich ablesen, daß nach Auffassung von Apothekern
und Ärzten der Rationalisierung im Gesundheitswesen für die Reform unseres
Gesundheitswesens eine wesentliche Bedeutung zukommt.
Selbstbeteiligung in der gesetzlichen Krankenversicherung
Die zum Zeitpunkt der Fragestellung geltende Selbstbeteiligungsregelung in der
gesetzlichen Krankenversicherung erschien 90 Prozent der Apotheker als zumutbar für
den Versicherten. Die höchste Zustimmung zur Selbstbeteiligung äußerten die
Antwortenden mit jeweils 96 Prozent in den Altersgruppen unter 35 Jahre sowie 60
Jahre und älter.
57 Prozent befürworten eine Ausweitung der Selbstbeteiligung, 43 Prozent lehnen dies
ab. Eine Einbeziehung von Leistungen, die bisher nicht von Zuzahlungen betroffen sind,
befürworten 25 Prozent. Von 21 Prozent wird vorgeschlagen, sowohl bestehende
Selbstbeteiligungen zu erhöhen als auch den Bereich der Leistungen mit Zuzahlungen
auszuweiten. In der Altersgruppe 40 bis 49 Jahre befürworten 53 Prozent die
Ausweitung der Selbstbeteiligung auf weitere Leistungen. In den übrigen Altersgruppen
wird eine Ausweitung der Selbstbeteiligung auf zusätzliche Leistungen von 25 bis 50
Prozent als sinnvoll erachtet.
62 Prozent der Antwortenden, welche die bestehende Selbstbeteiligung für zumutbar
halten, befürworten eine Ausweitung der Selbstbeteiligung. Die Apotheker nennen als
Leistungen, die zukünftig mit einer Selbstbeteiligung versehen werden sollten,
Arztbesuch, kieferorthopädische Maßnahmen bei Kindern, Hilfsmittel, Behandlungen
nach Sportunfall, Kontrazeptiva und Gesundheitskurse.
Übereinstimmend mit den Apothekern sehen Ärzte mit 90 Prozent die bestehenden
Selbstbeteiligungsregelungen als zumutbar an. Jüngere Ärzte in der Altersgruppe unter
35 Jahre sehen die Selbstbeteiligungsregelungen weniger häufig als zumutbar an als
ältere Ärzte und Apotheker in der gleichen Altersgruppe. 67 Prozent der Ärzte
befürworten eine Ausweitung der Selbstbeteiligung. 31 Prozent lehnen diese
Möglichkeit ab. Die Ärzte befürworten in geringerem Maß (20 Prozent)
Selbstbeteiligung für Leistungen, die bisher nicht von Zuzahlungen betroffen sind.
Rationierung
Von besonderem Interesse ist die Feststellung von 80 Prozent der Apotheker, daß
bereits heute Rationierung im Gesundheitswesen stattfindet. Diese Einschätzung ist bei
jüngeren Apothekern stärker ausgeprägt als bei älteren Apothekern. Folgerichtig halten
54 Prozent Rationierungsmaßnahmen zukünftig für unvermeidbar. Nach Auffassung von
64 Prozent der Antwortenden wird Rationierung im Gesundheitswesen auch dann
unvermeidbar sein, wenn Rationalisierungsreserven ausgeschöpft werden.
Als Kriterium für eine Rationierung wird von Apothekern überwiegend gefordert, daß
eine gleiche Versorgung für alle gewährleistet sein muß. Das Alter des Patienten darf
kein Grund für eine Rationierung von Gesundheitsleistungen sein.
Ärzte sind mit 59 Prozent in deutlich geringerem Maß der Ansicht, daß Rationierung
bereits stattfindet. Diese Auffassung ist am ausgeprägtesten in der Altersgruppe unter
35 Jahre. Der Anteil nimmt mit steigendem Alter kontinuierlich bis auf 50 Prozent ab.
70 Prozent der Antwortenden halten eine Rationierung im Gesundheitswesen trotz
Ausschöpfung von Rationalisierungsreserven für unvermeidbar.
Von den Ärzten wird darauf hingewiesen, daß bestimmte Leistungen nicht mehr
gewährt werden sollten, damit eine Rationierung vermieden werden kann.
Fazit
Die Antworten der Apotheker stimmen im wesentlichen mit der Einschätzung der Ärzte
überein. Die Ergebnisse aus beiden Umfragen machen deutlich, wie dringend eine
ehrliche und öffentliche Diskussion über das Thema Rationierung im Gesundheitswesen
ist. Zusätzlich zu der Frage der Rationierung ist der Leistungskatalog der gesetzlichen
Krankenversicherung zu überprüfen und auf wesentliche Elemente zu konzentrieren.
Damit Rationalisierungsreserven realisiert werden können, sind unabhängig von der
Diskussion über eine Rationierung im Gesundheitswesen Maßnahmen zur
Rationalisierung unerläßlich.
Apotheker, Ärzte, andere Gesundheitsberufe und Gesundheitspolitik werden der Frage,
wie mit dem Thema Rationierung umgegangen werden soll, nicht ausweichen können.
Aus beiden Umfragen wird insbesondere deutlich, daß nicht die Frage zur Diskussion
steht, ob rationiert werden muß, sondern vielmehr die Frage, wie Maßnahmen zur
Rationierung von Gesundheitsleistungen auszugestalten sind.
PZ-Titelbeitrag von Axel Olaf Kern, Fritz Beske, Johannes F. Hallauer, Kiel
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