Zur Anatomie des Menschen: Aufbau undEntwicklung des Darmes |
21.09.1998 00:00 Uhr |
Titel
Innervation des Darmes
Die Innervation des Darmes gliedert sich in intrinsische Anteile, die innerhalb der
Darmwand lokalisiert sind, und extrinsische Anteile, die ihren Ursprung nicht im
Darm nehmen, sondern von außen heranziehen und ihn innervieren. Die extrinsische
Innervation erfolgt über parasympathische und sympathische Fasern sowie
sensorische Nervenfasern.
Diese extrinsische Innervation hat jedoch weitgehend nur modulierenden Charakter.
Selbst eine Durchtrennung aller genannten Nervenfasern würde die Darmaktivität
nicht zum Erliegen bringen, da das in der Darmwand lokalisierte intrinsische
Nervensystem autonom die Organaktivität aufrechterhält. Der Rumpfdarm ist auf
seiner gesamten Länge mit einem dichten Nervengeflecht durchsetzt, das ungefähr so
viele Nervenzellen enthält wie das Rückenmark. Das intrinsische
Darmwandnervensystem ist in dichten Netzen (Plexus) organisiert, in denen auffällige
Anhäufungen von Nervenzellen, sogenannte Ganglien, auftreten. Zwei Nervenplexus
werden unterschieden: der Plexus myentericus, der zwischen der zirkulären und der
longitudinalen Muskelschicht der Tunica muscularis liegt, und der Plexus
submucosus, der in der Tela submucosa liegt.
Während der Plexus submucosus im wesentlichen die Sekretion der Darmdrüsen
beeinflußt, reguliert das Gros der Nervenzellen des Plexus myentericus die Motilität
des Darmes. Seine Nervenzellpopulation ist nicht einheitlich. Sie besteht aus
erregenden Neuronen mit den Transmittern Substanz P und Acetylcholin, sowie
hemmenden Neuronen mit den Transmittern VIP (Vasoactive Inhibitory
Polypeptide), ATP und NO (Stickoxid). Weitere Nervenzelltypen sind Interneurone
mit den Transmittern Substanz P und Acetylcholin, das hier Nikotinrezeptoren
erregt, sowie sensorische Neuronen, die über Dehnungs-, Mechano- und
Chemorezeptoren Informationen über den Dehnungszustand des Darmes und die
Bewegung seines Inhaltes erhalten.
Das Darmwandnervensystem strahlt zirkulär in die einzelnen Wandschichten und
longitudinal entlang des Organs aus und ist die Grundlage für das Motilitätsmuster
aus Längs- und Ringkontraktionen. Das Darmwandnervensystem übernimmt die
Koordination der Erregung, die durch die extrinsische Innervation lediglich noch
verändert wird. Dabei wirken parasympathische postganglionäre Fasern auf die in
der Darmwand gelegenen intrinsischen Nervenzellen oder auch direkt auf die glatte
Darmwandmuskulatur und erhöhen die Motilität und die Sekretion der Drüsen des
Darmes. Sympathische postganglionäre Fasern reduzieren die Motilität durch
Hyperpolarisierung der glatten Muskulatur.
Aganglionose, eine pathologische Veränderung im Darmwandnervensystem
Bei kongenitalen Aganglionosen (Morbus Hirschsprung) fehlt das
Darmwandnervensystem in einzelnen Segmenten oder seltener im gesamten Darm.
Die Erkrankung wird autosomal rezessiv oder dominant vererbt; Jungen sind
häufiger betroffen als Mädchen. Durch das Fehlen der Ganglienzellen unterbleibt die
intramurale Inhibition des extramuralen Parasympathikus; als Folge steigt die
Acetylcholinesteraseaktivität der Darmwandnervenzellen stark an. Durch diese
Enthemmung des Parasympathikus wird die Ringmuskulatur des aganglionären
Darmabschnitts massiv kontrahiert und verursacht eine Pseudoobstruktion. Der
Darminhalt staut sich in den Abschnitten vor der Engstelle (Koprostase), so daß
Darm und Abdomen stark aufgetrieben werden. Ein Megacolon ist die Folge. Die
Therapie besteht in der frühzeitigen chirurgischen Entfernung des aganglionären
Abschnitts.
Blutversorgung und venöse Drainage des Darms
Die Blutversorgung des gesamten Rumpfdarmes wird nicht aus einem einzigen
arteriellen Zufluß gespeist, sondern aus verschiedenen Seitenästen der Bauchaorta.
Der Vorderdarm, ausgenommen Pharynx, oberer Ösophagus und Respirationstrakt,
erhält seinen arteriellen Zufluß aus der Arterja (A.) coeliaca, die während der
Embryonalentwicklung zum Truncus coeliacus wird. Der Mitteldarm wird versorgt
aus der A. mesenterica superior (obere Gekröseschlagader) und der Enddarm aus
der A. mesenterica inferior (untere Gekröseschlagader).
Die Übergangszonen der arteriellen Versorgungsgebiete lassen sich demnach an
folgenden Stellen lokalisieren: im Duodenum zwischen den Versorgungsgebieten des
Truncus coeliacus und der A. mesenterica superior: im Colon transversum zwischen
A. mesenterica superior (für die rechte Hälfte des Colons) und A. mesenterica
inferior (für die linke Hälfte); im Analkanal zwischen A. mesenterica inferior für die
oberen zwei Drittel und A. pudenda (Schamarterie) für das untere Drittel des
Analkanals.
Typisch für die Blutversorgung des gesamten Rumpfdarmes ist die bogenförmige
Anordnung der sich aufzweigenden Arterienäste, so daß Gefäßarkaden entstehen,
die bereits am Magen und dann entlang des gesamten Dünn- und Dickdarmes
anzutreffen sind. Die Blutversorgung des Magens wird durch gegenläufige
Arterienäste entlang der großen und kleinen Kurvatur des Magens
(Magenkrümmung) versorgt. Alle drei Äste des Truncus coeliacus, die Arteria (A.)
gastrica sinistra, die A. splenica (Milzarterie) und die A. hepatica communis, sind
hieran beteiligt.
Auch das Duodenum wird von zwei gegenläufigen Arterienästen versorgt; zum einen
von cranial aus durch einen Seitenast der A. hepatica communis, die A.
gastroduodenalis, deren Endast, die A. pancraaticoduodenalis superior, sowohl in
die Vorder- als auch in die Rückseite des Duodenums einstrahlt. Von caudal treten
aus dem Stromgebiet der A. mesenterica superior zwei Äste der A.
pancreaticoduodenatis inferior an das Duodenum heran und versorgen nun von
unten Vorder- und Rückseite des Duodenums. Wie der Name
"pancreaticoduodenalis" bereits signalisiert, übernehmen diese Gefäße auch die
Blutversorgung für das Pankreas (Bauchspeicheldrüse), allerdings nicht für den
gesamten Drüsenkörper, sondern nur für den Pankreaskopf.
Die gesamten Dünndarmabschnitte nach der Flexura duodenojejunalis, an der das
Duodenum in das Jejunum übergeht, werden ebenfalls von der A. mesenterica
superior versorgt, deren Hauptstamm das untere Duodenum überkreuzt und dann
mit einer Vielzahl von Ästen im Gekröse zu den Darmschlingen zieht. Auf ihrem
Wege dorthin fächern sich diese dann jeweils in zwei Teiläste auf, die sich dann
wieder bogenförmig mit ihren Nachgefäßen vereinigen. Auf diese Weise entstehen
die typischen Gefäßarkaden, die je nach Darmabschnitt zwei- bis fünffach angelegt
sein können und den Darm auf seiner gesamten Länge begleiten.
Die A. mesenterica superior übernimmt auch noch einen Großteil der Blutversorgung
des Colons und den überwiegenden Teil des Colon transversum (Quercolon). Im
Bereich des Quercolons überschneiden sich die Versorgungsgebiete der A.
mesenterica superior und inferior, die funktionell durch die Riolansche Anastomose
(benannt nach dem Anatomen Jean Riolan, 1580 bis 1657) miteinander verbunden
werden, um dann ab der Flexura coli sinistra fast vollständig von der A. mesenterica
inferior dominiert zu werden. Diese versorgt das Colon descendens, Colon
sigmoideum und das obere Rektum, während das mittlere und untere Rektum von
Gefäßästen der A. iliaca interna (innere Beckenarterie) und A. pudenda
(Schamarterie) versorgt werden.
Die venöse Drainage des Darmes erfolgt über die Venae (Vv.) mesentericae
superior et inferior, die beide das Blut in die Pfortader leiten, entweder direkt oder
wie im Falle der V. mesenterica inferior über die V. splenica. Lediglich im mittleren
und unteren Rektum fließt das venöse Blut nicht in das Stromgebiet der Pfortader,
sondern über die V. pudenda interna oder direkt über die V. iliaca interna in das
Stromgebiet der V. cava inferior, so daß der große Kreislauf unter Umgehung der
Leber erreicht wird. Dieser Sachverhalt wird mit wechselndem Erfolg für die rektale
Applikation von Arzneistoffen genutzt, die auf diesem Wege wenigstens teilweise
vor der Inaktivierung durch eine Leberpassage geschätzt werden sollen.
Ösophagus, die Speiseröhre
Beim Schlucken durchwandert der Speisebrei die drei Anteile der Speiseröhre -
Pars cervicalis, Pars thoracica und Pars abdominalis -, bevor er in den Magen
gelangt. Im Unterschied zu den anderen Abschnitten des Rumpfdarmes wird die
Speiseröhre (Ösophagus) nicht von dichten Gefäßarkaden versorgt, sondern erhält
ihre Blutzufuhr aus der A. thyroidea inferior (untere Schilddrüsenarterie), aus kurzen
Seitenästen der Aorta und im Bauchraum aus der A. gastrica sinistra. Das Fehlen
kräftiger Gefäßäste in Längsrichtung erschwert operative Eingriffe, da postoperativ
leicht minderversorgte Abschnitte entstehen können, die dann absterben. Der
Ösophagus wird als muskuläres Rohr durch seine starke Längsmuskulatur straff
ausgespannt. In seinem Verlauf treten drei physiologische Engstellen auf, die klinisch
bedeutsam sind, weil dort bevorzugt Fremdkörper steckenbleiben.
Diese Engstellen befinden sich am Ösophagusmund, also am Beginn des Ösophagus
knapp unterhalb des Ringknorpels des Kehlkopfes, weil hier der Musculus
constrictor pharyngis (Schlundschnürer) des Rachens zusammen mit der
Ösophagusmuskulatur eine Schließmuskelwirkung ausübt, im Brustbereich, wo die
enge Nachbarschaft der Speiseröhre zu Aortenbogen und linkem Hauptbronchus
erneut das Lumen verringert und beim Durchtritt der Speiseröhre durch das
Zwerchfell, wobei die untere Ösophagusenge entsteht.
In Ruhe ist der Übergang zwischen Ösophagus und Magen immer verschlossen,
obwohl beide Organe nicht durch einen anatomisch definierten Schließmuskel
getrennt sind. Der Verschluß wird aber dennoch wirkungsvoll durch einen
funktionellen Schließmuskel erreicht.
Die Funktionsfähigkeit des Verschlußmechanismus ist nur gewährleistet, wenn der
Ösophagus straff ausgespannt ist. Dies setzt eine intakte Aufhängung im Hiatus
oesophageus (Speiseröhrenschlitz) des Zwerchfells voraus. Der terminale Abschnitt
des Ösophagus wird hierbei umfaßt von der Membrana phrenico-oesophagea, die
hauptsächlich von der Fascia subdiaphragmatica des Zwerchfells ausgeht und
trichterartig die Speiseröhre nach cranial und caudal umfaßt. Die Membran geht
einerseits in die Adventitia des Oesophagus und die Tunica serosa des abdominalen
Speiseröhrenabschnitts über, andererseits läuft sie in die Faszienbedeckung des
Zwerchfells aus und ist am Speiseröhrenschlitz durch ein Fettpolster unterlegt.
Anders als die Hohlvene, die fest mit dem Zwerchfell verwachsen ist, ist die
Speiseröhre an ihrer Durchtrittsstelle elastisch und beweglich aufgehängt, so daß
große Speisebrocken ohne Behinderung hindurchgleiten können. Dies hat leider
auch Nachteile. Die elastische Aufhängung ist damit ein Ort des geringsten
Widerstands im Bereich des Zwerchfells, durch den sich Organe des Bauchraumes,
getrieben vom höheren Druck der Bauchhöhle, hindurchdrängen können; diese
Gefahr besteht besonders dann, wenn im Alter die Elastizität der beteiligten
Strukturen abnimmt. Der Ösophagusschlitz stellt demnach für die Bauchorgane eine
Bruchpforte für Weichteilbrüche (Hernien) dar. Eine Hiatushernie kann sich in
zweierlei Weise ausprägen, je nachdem, ob die elastische Aufhängung des
Ösophagus noch regelrecht ist oder nicht. Man unterscheidet:
Der klinische Unterschied liegt darin, daß bei der Gleithernie die Aufhängung der
Speiseröhre nicht intakt ist, während dies bei der paraösophagealen Hernie noch der
Fall ist. Bei der ungleich häufigeren Gleithernie schwindet die Funktion des
Ösophagusverschlusses am Übergang zum Magen, was zu einem guten Teil durch
den höheren Druck im Abdomen bedingt ist. Gelangt der terminale
Ösophagusabschnitt in den Thorax, so öffnet der dortige Unterdruck den Verschluß
zum Magen und saurer Magensaft fließt zurück in die Speiseröhre.
Dies birgt immer die Gefahr einer Schädigung des Ösophagusepithels, das im
Unterschied zur Magenschleimhaut keine Schutzbarriere gegen den sauren
Magensaft aufweist. Im Gegensatz dazu funktioniert der Verschlußmechanismus bei
der paraösophagealen Hernie; allerdings kann die Verlagerung größerer Anteile des
abdominalen Ösophagus, von Magenanteilen oder sogar des ganzen Magens und
vom Darmanteilen in den Brustraum (Upside-down-stomach) gravierende Herz-
oder Atemstörungen erzeugen und birgt zudem die Gefahr der Strangulation oder
Inkarzeration von Magen- oder gar Darmanteilen. Eine paraösophageale Hernie
muß daher immer operatiert werden, während eine axiale Gleithernie in fast drei
Viertel aller Fälle symptomlos und nicht therapiepflichtig ist.
PZ-Titelbeitrag von Thomas Beck, Rostock
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