Titel
Das seit 1961 bekannte Metoclopramid besitzt auch heute noch große
Bedeutung als preisgünstiges und wirksames Antiemetikum und
Gastroprokinetikum, obwohl in den letzten 15 Jahren parallel zur
Entdeckung neuer Dopamin- und Serotoninrezeptor-Subtypen die geringe
Selektivität dieses Arzneistoffs offenbar geworden ist.
Metoclopramid zeigt signifikante Affinität für Dopaminrezeptoren der D2-Familie
(D2, D3, D4) sowie für Serotoninrezeptoren vom 5-HT3- und 5-HT4-Subtyp
(5-HT steht für 5-Hydroxytryptamin, Serotonin). Seit seiner Entdeckung hat
Metoclopramid immer wieder als Leitstruktur bei der Entwicklung neuer
Arzneistoffklassen mit verbesserter Rezeptorselektivität Pate gestanden. Von
herausragender Bedeutung sind hier die D2-Rezeptorantagonisten vom
Sulpirid-Typ, die 5-HT3-Rezeptorantagonisten vom Zacoprid-Typ sowie die
5-HT4-Rezeptorliganden vom Cisaprid-Typ.
Dopaminantagonistische Wirkungen von Metoclopramid
Die antiemetische Wirkung von Metoclopramid beruht zum Teil auf einer Blockade
von D2-Rezeptoren in der Area postrema der Medulla oblongata. Die
D2-Rezeptorblockade im nigro-striatalen System des ZNS kann zu
extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen führen, im tubero-infundibulären
System kann eine Erhöhung der Prolactinsekretion resultieren. Die aus
Metoclopramid entwickelten Antipsychotika Sulpirid (Dogmatil®) und das
verwandte Remoxiprid blockieren bevorzugt Rezeptoren der D2-Familie im
mesolimbischen System und werden als Neuroleptika mit günstigem
Nebenwirkungsprofil eingesetzt.
Wechselwirkung von Metoclopramid mit Serotonin-Rezeptoren
Von den derzeit bekannten vierzehn 5-HT-Rezeptorsubtypen, die in sieben
Rezeptorfamilien aufgeteilt werden (5-HT1 bis 5-HT7) blockiert Metoclopramid
den an einen Kationenkanal gekoppelten 5-HT3-Rezeptor und stimuliert als
partieller Agonist den G-Protein-gekoppelten 5-HT4-Rezeptor. Durch selektive
Blockade von 5-HT3-Rezeptoren in der Area postrema der Medulla oblongata
sowie im Neuronalgewebe des Gastrointestinaltrakts, wo Serotonin in den
enterochromaffinen Zellen gespeichert ist und bei Bestrahlung oder Therapie mit
Krebschemotherapeutika wie Cisplatin freigesetzt wird, kann der antiemetische
Effekt von hochdosiertem Metoclopramid erklärt werden. Zacoprid und die derzeit
im Handel befindlichen 5-HT3-Rezeptorantagonisten Ondansetron (Zofran®),
Granisetron (Kevatril®), Tropisetron (Navoban®) und Dolasetron (Anemet®)
können vergleichsweise niedrig dosiert werden, besitzen praktisch keine Affinität zu
Dopaminrezeptoren und sind daher erheblich nebenwirkungsärmer.
Die Stimulation neuronaler 5-HT4-Heterorezeptoren im Gastrointestinaltrakt wurde
in den letzten Jahren als gastroprokinetischer Wirkmechanismus von Metoclopramid
erkannt. Als Metoclopramidderivate einzustufen sind Cisaprid (Propulsin, Alimix®)
sowie das kurz vor der Zulassung stehende Mosaprid. Untersuchungen der Autoren
und anderer Gruppen haben gezeigt, daß Strukturabwandlungen des
Metoclopramid-Moleküls einerseits zu partiellen 5-HT4-Rezeptoragonisten mit
1000facher Metoclopramid-Potenz, andererseits auch zu potenten
5-HT4-Rezeptorblockern führen. Letztere könnten in der Zukunft als
ZNS-Therapeutika oder zur Behandlung gastrointestinaler Störungen (Reizdarm,
"irritable bowel syndrome") ihren Eingang in den Arzneischatz finden.
PZ-Titelbeitrag von Andreas Keller, Sigurd Elz und Walter Schunack, Berlin
© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de