Titel
Das in der Lunge
frisch arterialisierte Blut strömt über die Lungenvenen
in den linken Vorhof des Herzens, wird von der linken
Herzkammer in den Körperkreislauf gepumpt und
durchfließt nun nacheinander den arteriellen Schenkel,
das Kapillargebiet und den venösen Schenkel, um
schließlich über die großen Hohlvenen des Körpers in
den rechten Vorhof des Herzens zu gelangen. Von hier aus
strömt das sauerstoffarme venöse Blut im Rhythmus des
Herzschlags in die rechte Kammer ein und wird durch die
Lungenarterien wieder in die Lunge und die unzähligen
Kapillaren gepumpt. Der PZ-Titelbeitrag gibt eine
Übersicht über Funktion und Aufbau des Gefäßsystems
Anhand der gemessenen Druckwerte kann
funktionell das Hochdrucksystem aus der linken Kammer
während der Systole und den Arterien bei mittleren
Drücken von 60 bis 100 mmHg vom Niederdrucksystem aus
dem rechten Herzen, Lungengefäßen und linker Kammer
während der Diastole bei mittleren Drücken von 20 mmHg
unterschieden werden.
Da der Strömungswiderstand im Niederdrucksystem nur
gering ist, wird der Druck im wesentlichen vom
Füllungszustand des Kreislaufsystems bestimmt, während
die Drücke im Hochdrucksystem durch die Pumptätigkeit
des Herzens aufgebaut werden, also durch
Herzminutenvolumen und peripheren Widerstand bestimmt
sind. Es ist an dieser Stelle wichtig, sich zu
vergegenwärtigen, daß das Niederdrucksystem den
Hauptblutspeicher des Körpers darstellt: 85 Prozent des
gesamten Blutvolumens sind hier lokalisiert.
Der Wandaufbau der Gefäße trägt den unterschiedlichen
funktionellen Anforderungen Rechnung, auch wenn
prinzipiell Arterien und Venen ein ähnliches Bauschema
aufweisen. Ausgehend vom Gefäßlumen läßt sich die
Gefäßwand in drei Abschnitte aufteilen: die Tunica
intima, Tunica media und Tunica externa oder auch
Adventitia. Sowohl der Anteil dieser drei Wandabschnitte
an der gesamten Gefäßwand als auch der Feinbau der
einzelnen Schichten schwankt je nach Gefäßart und
Lokalisation entlang der Gefäßstrecke zwischen Herz und
Peripherie.
Das Gefäßendothel
Die Tunica intima als innerste, dem Lumen und damit dem
Blutstrom zugewandte Schicht, besteht aus einer Lage
Endothelzellen und dem subendothelialen Raum. Das
Gefäßendothel ist zu einer Vielzahl von zellulären
Signal- und Syntheseleistungen befähigt. Immerhin sind
es circa 10 000 Liter Blut pro Tag, die durch das
Gefäßsystem strömen. Das Endothel unterliegt also
einer erheblichen mechanischen Beanspruchung durch die
Scherkräfte, die das vorbeiströmende Blut verursacht.
Es ist gleichzeitig der Ort, an dem Leckagen des
Gefäßsystems durch die Auslösung der Blutgerinnung
abgedichtet werden müssen und andererseits unerwünschte
Gerinnungsherde nicht auftreten dürfen. Überdies ist
die Endothelschicht in der Lage, lokal den Gefäßtonus
zu regulieren und bestimmte Blutbestandteile durch die
Gefäßwand hindurchzulassen.
Die Endothelzellen stellen naturgemäß auch die
Eintrittspforten für Blutzellen der Immunabwehr dar, die
aus dem Gefäß in das umliegende Gewebe auswandern,
indem sie durch das Endothel hindurchtreten (Diapedese).
Die Umschaltung zwischen Immunüberwachung mit niedriger
Auswanderungsrate der Leukozyten und Immunabwehr mit
hoher Auswanderungsrate wird durch das Maß der Haftung
der Leukozyten am Gefäßendothel bestimmt. Für die
Haftung verantwortlich sind Adhäsionsmoleküle an der
Zelloberfläche (cell adhesion molecules, CAMS).
Gefäßregulation
Endothelzellen sind an der lokalen Gefäßregulation
beteiligt durch Metabolisierung vasoaktiver
körpereigener Verbindungen und die endotheliale Synthese
vasoaktiver Gewebshormone. Das Endothel nimmt vasoaktive
Neurotransmitter wie Noradrenalin oder Serotonin auf und
überführt sie durch Desaminierung in unwirksame
Abbauprodukte. Auch die aus Blutplättchen freigesetzten
Adeninnukleotide ATP, ADP und AMP werden an der äußeren
Zellmembran durch Ektonukleotidasen zu Adenosin abgebaut
und dann aufgenommen. In der Endothelzellmembran ist auch
das Angiotensin-Converting Enzyme (ACE) lokalisiert, das
Angiotensin I in das stark vasokonstriktorisch wirkende
Angiotensin II spaltet, gleichzeitig jedoch auch als
Protease Kininase II das stark vasodilatatorische
Bradykinin inaktiviert.
Die endotheliale Eigensynthese von vasoaktiven
Verbindungen ist physiologisch bedeutsamer als die
Metabolisierung und umfaßt die Synthese von
Stickstoffmonoxid (NO), Endothelinen, Endothelium Derived
Hyperpolarizing Factor (EDHF) durch Epoxidierung von
Arachidonsäure und von Prostacyclin.
Die größte Bedeutung hat hierbei wohl
Stickstoffmonoxid, das für eine Vasodilatation von
Gefäßstrecken sorgt, die sonst nicht angemessen auf
physiologische Erfordernisse reagieren könnten. Die
mangelnde Empfindlichkeit betrifft vor allem die Bereiche
der kleinen Arterien und Arteriolen, die vor dem
Stromgebiet der terminalen Arteriolen liegen. Wird bei
erhöhter Leistungsanforderung an den Organismus eine
verstärkte Durchblutung auch in diesen weniger reagiblen
Stromgebieten notwendig, so vermittelt vor allem das
Stickstoffmonoxid die Vasodilatation.
Die Endotheline spielen offensichtlich vor allem unter
pathophysiologischen Bedingungen bei Schädigung des
Endothels eine Rolle. Sie stellen eine Gruppe von
Peptiden aus 21 Aminosäuren dar und werden nicht nur in
Endothelien gebildet. Exogene Applikation von Endothelin
führt zu starken Gefäßkontraktionen, die bis zu einer
Nekrose des Versorgungsdebietes führen können.
Verstärkte Freisetzung von endogenem Endothelin wurde
beispielsweise bei Hirninfarkten,
Subarachnoidalblutungen, kardiogenem Schock,
Nierenversagen und pulmonalem Hochdruck beobachtet. Die
Entwicklung von nicht-peptischen Antagonisten verspricht
daher neue therapeutische Möglichkeiten bei diesen
Krankheitsbildern.
Tunica media und Tunica externa
An die Schicht des Endothels schließt sich ein schmaler
subendothelialer Raum aus Bindegewebe an, dann folgt eine
gefensterte, innere elastische Membran (Membrana elastica
interna), die bereits zur Tunica media gezählt werden
muß. Durch die Fenestrierung dieser inneren elastischen
Membran erhalten die glatten Muskelzellen direkten
Kontakt mit den Fortsätzen der Endothelzellen. Bei
Kontraktion der Arterie wird zwangsläufig auch die Zahl
der Fenestrationen und damit der Kontakt und
Stofftransport verringert. Die hierauf folgende Schicht
der Tunica media enthält vornehmlich glatte Muskulatur.
Diese Schicht weist jedoch innerhalb des arteriellen
Systems große Unterschiede auf. Man unterscheidet
Arterien vom muskulären Typ (herzfern), die sowohl die
großen Gefäßstämme, zum Beispiel in den
Extremitäten, als auch das feine arterielle Netzwerk
umfassen, sowie Arterien vom elastischen Typ (herznah),
zum Beispiel die Aorta.
Die weitere Verästelung des arteriellen Gefäßnetzes
leitet über zu den Arteriolen, deren geringer
Durchmesser von 40 bis 100 µm dem Blutstrom einen
erheblichen Widerstand entgegensetzt, so daß
zwangsläufig der intravasale Druck steil abfallen muß
(Widerstandsgefäße). Die Tunica media dieser Gefäße
ist bereits stark reduziert und umfaßt nur noch ein bis
zwei Lagen Muskelzellen, wobei die innere elastische
Membran zunehmend verlorengeht. An diese
Gefäßabschnitte schließen sich die sogenannten
Metarteriolen an als letzte Station vor dem Übergang in
das Kapillarbett. Sie verfügen nur noch über einen sehr
lückenhaften Besatz mit Muskelzellen, die schließlich
in den Kapillaren vollständig fehlen.
Bauweise der Kapillaren
In den Kapillaren sinkt die
Strömungsgeschwindigkeit des Blutes auf circa 0,5 mm/s
stark ab. Da die mittlere Kapillarlänge lediglich 0,5 mm
beträgt, steht für den Stoffaustausch zwischen Blut und
Gewebe im Mittel 1 Sekunde zur Verfügung. Berechnet auf
die gesamte Kapillarfläche diffundieren 60 1/min über
diese Grenzfläche, das sind 85 000 Liter pro Tag.
Man unterscheidet drei Typen von Kapillaren, und zwar
Kapillaren mit kontinuierlichem Endothel, Kapillaren mit
gefenstertem Endothel, aber kontinuierlicher Basalmembran
sowie Kapillaren mit diskontinuierlichem Endothel und
diskontinuierlicher Basalmembran.
Bei Kapillaren mit kontinuierlichem Endothel bestehen
zwischen den Endothelzellen keine Lücken. Vielmehr sind
die Zellen über Zonulae occludentes (tight junctions),
seltener Nexus (Kommunikationskontakte) und Maculae
adherentes (Haftkontakte) miteinander verbunden. Der Grad
der Abdichtung durch die Dichtleisten der Zonulae
occludentes ist nicht einheitlich. In den meisten
Kapillaren kann noch ein parazellulärer Stofftransport
diese Leisten umgehen, weil sie Unterbrechungen aufweisen
oder zwischen den Dichtleisten Lücken bestehen. In
manchen Kapillargebieten, zum Beispiel im Gehirn, sind
die Zonulae occludentes lückenlos und sehr viel
zahlreicher und lassen daher dort keinen parazellulären
Stofftransport zu.
Deutliche Unterschiede zu diesem Typ weisen die
fenestrierten Kapillaren auf, bei denen oft zahlreiche
Poren in der Anordnung von Siebplatten die
Endothelzellschicht durchsetzen, jedoch ist wie bei den
Kapillaren des kontinuierlichen Typs ebenfalls außen
eine durchgängige Basalmembran aufgelagert, die auch die
Porenflächen überdeckt. Die Poren erleichtern den
Transport von Wasser und hydrophilen kleinen Molekülen,
etwa um das 100- bis 1000fache, so daß dieser
Kapillartyp vor allem dort gefunden wird, wo ein
intensiver Flüssigkeitsaustausch zwischen Blut und
umliegendem Gewebe notwendig ist. Größere Moleküle wie
Proteine werden jedoch weitgehend von der lückenlosen
Basalmembran zurückgehalten. Lipophile Verbindungen
können bei beiden Kapillartypen ohne Schwierigkeiten
durch die Endothelzellen diffundieren.
Eine Kombination aus intra- und interzellulären
Durchtrittspforten findet man beim Typ der Kapillaren mit
diskontinuierlichem Endothel und auch
diskontinuierlicher, oft fast vollständig fehlender
Basalmembran. Hier ist der Stofftransport ganz wesentlich
erleichtert; Proteine und auch korpuskuläre
Plasmabestandteile können frei diffundieren. Man findet
solche Kapillaren in der Leber, der Nebennierenrinde, der
Hypophyse und dem Knochenmark.
Die Venen
Im Unterschied zu den Arterien weisen die Venen
einen eher verwaschenen Schichtenaufbau der Wand auf,
deren Stärke ist im Verhältnis zum Lumen deutlich
geringer. Entsprechend der sehr viel geringeren
Druckbelastung im Niederdrucksystem der Venen ist auch
die Muskulatur locker, schraubenförmig geschichtet.
Überall dort, wo eine Blutsäule entgegen der
Schwerkraft zurück zum Herzen transportiert werden muß,
bildet die Tunica intima der Venen lockere Falten, die
lappen- oder zipfelartig ins Lumen hineinragen und
einander gegenüberliegen. Diese halbmondförmigen
Venenklappen verhindern den Rückstrom des Blutes und
lassen normalerweise nur eine zum Herzen gerichtete
Flußrichtung zu.
Die äußere Wandschicht der Venen ist sehr viel enger
mit dem umliegenden Gewebe verzahnt als die Arterien. Sie
verankert das Gefäß kräftig mit dem Gefäßbett.
Auffällig ist jedoch die recht dicke Schicht lockeren
Bindegewebes mit längsverlaufenden kollagenen Fasern und
Muskelzügen. Die drei Einzelelemente - Muskeln,
Kollagenfibrillen und elastische Fasern bestimmen die
Formstabilität der Venen. Durch krankhafte
Veränderungen dieser Strukturen werden die Venen
überdehnt, so daß dann die Venenklappen nicht mehr
schließen und es zum venösen Rückstau mit der Gefahr
der Thrombose kommt.
Von entscheidender Relevanz ist dies für die Venen der
unteren Extremitäten. In aufrechter Lage des Körpers
müssen die Beinvenen ein Mehrvolumen von circa 600 ml
Blut im Vergleich zur horizontalen Lage verkraften. Das
beim Wechsel von der horizontalen zur aufrechten
Körperlage einströmende Blut erhöht den Venendruck
erheblich auf Werte von 100 mmHg im Bereich des Fußes.
Zum Rücktransport des Blutes in Richtung Herz reicht der
postkapilläre Restdruck von 15 mmHg keineswegs aus. Hier
muß die Pumpwirkung der sich kontrahierenden
Muskelfaszien der quergestreiften Muskulatur des Beines
hinzutreten.
Die Wirkung dieser Muskelpumpe wird bereits aus der
drastischen Senkung des Drucks von 100 mmHg auf circa 30
mmHg durch das Gehen ersichtlich. Bei Immobilisation, sei
es postoperativ oder durch langes Sitzen beziehungsweise
Stehen, fällt die Pumpfunktion aus, und das
Thromboserisiko durch die deutliche Verlangsamung des
Blutstromes steigt an.
PZ-Titel von Thomas Beck, Rostock
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