Titel
Seit 1989 Bailey zufällig entdeckte, daß Grapefruitsaft die Plasmaspiegel
von Felodipin nahezu verdreifachte, wurde in mehr als 50 Publikationen der
Mechanismus dieser Arzneimittel-Nahrungs-Wechselwirkung beschrieben,
wirksame Inhaltsstoffe gefunden und die Kinetik von rund 20 Pharmaka auf
diesen Effekt hin untersucht.
Die Steigerung der Bioverfügbarkeit einiger Arzneistoffe beruht nach heutiger
Vorstellung auf der Hemmung von Cytochrom P450 3A4, eines Isoenzyms aus der
Superfamilie der Cytochrome, welche Phase-I-Biotransformationen katalysieren.
CYP3A4 ist das wichtigste Enzym bei der oxidativen Metabolisierung von
Pharmaka in Leber und Dünndarm. Seine Hemmung ist Grund für schwerwiegende
Arzneimittelinteraktionen, so durch Cimetidin, Erythromycin, Fluvoxamin und
Ketoconazol. Grapefruitsaft vermindert die Aktivität des Isoenzyms anders als diese
Pharmaka aber ausschließlich im Dünndarm. Sein Wechselwirkungspotential ist
dadurch geringer, wirkt sich nicht auf die Eliminationskinetik und auf die Kinetik
parenteral verabreichter Substanzen aus und kommt nur zur Geltung, wenn der
First-pass-Effekt eines Arzneistoffs im Darm eine bedeutende Rolle spielt.
Orangensaft und andere Citrussäfte beeinflussen das Enzym nicht.
Noch ist das wirksame Prinzip nicht eindeutig identifiziert. In vitro erwiesen sich für
Grapefruit spezifische Flavanone (Naringin und sein Aglykon Naringenin) und
Psoralene (Bergamottin, Dihydroxybergamottin und Dimere) als wirksam. In vivo
sind erstere ohne Effekt, letztere noch nicht untersucht. Eine synergistische Wirkung
mehrerer Komponenten ist wahrscheinlich. Die Aktivität von Grapefruitsäften
schwankt in Abhägigkeit von Provenienz und Aufbereitungsverfahren.
Der Grapefruiteffekt ist von Proband zu Proband unterschiedlich. So verändert
Grapefruitsaft die maximalen Plasmaspiegel von Nisoldipin um plus 7 bis plus 736
Prozent, die Fläche unter der Blutspiegelkurve um minus 19 bis minus 582 Prozent
und die Bioverfügbarkeit von Ciclosporin um minus 16 bis plus 200 Prozent. Bei
Felodipin wies Lown eine Nivellierung der interindividuell stark schwankenden
Bioverfübarkeit durch Grapefruitsaft nach. Das muß als Sonderfall, nicht als Regel
gelten.
Grapefruitsaft beeinflußt die Kinetik von Ciclosporin, von Midazolam, von
Saquinavir, vor allem aber von Lovastatin und die der
Dihydropyridin-Calciumantagonisten Felodipin, Nifedipin, Nisoldipin, Nitrendipin,
weniger die von Terfenadin. Klinische Relevanz ist aber bei strenger Betrachtung nur
für Felodipin nachgewiesen, bei dem es zur Steigerung der Wirksamkeit und der
Nebenwirkungen kommt. Bei Lovastatin kann man ein erhöhtes
Nebenwirkungspotential vermuten. Der Möglichkeit einer Wechselwirkung mit
Grapefruitsaft wird steigende Bedeutung zugemessen, die FDA hat beispielweise
eine Warnung vor dem Genuß bei einer Therapie mit Astemizol angeordnet, obwohl
es keine publizierten Daten dazu gibt. Da mindestens 60 Arzneistoffe Substrate von
CYP3A4 sind, dürfte sich die Reihe betroffener Substanzen weiter vermehren.
Das bedeutet, daß in der Apotheke künftig im Fall der oben erwähnten Pharmaka
auf die Gefahr durch Grapefruitsaft hinzuweisen ist.
PZ-Titelbeitrag von Horst Wunderer, München
© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de