Titel
Seit einigen Jahren stehen schwache elektromagnetische Felder unter
Verdacht, den menschlichen Organismus zu schädigen. Immer mehr
Menschen besitzen Mobiltelefone, vor allem Handys, bei denen die
Antenne als Sende- und Empfangseinheit nicht vom restlichen Gerät
räumlich getrennt ist. Ihre zunehmende Verbreitung löst immer wieder
Diskussionen um eventuelle gesundheitliche Risiken für Benutzer und
Passanten aus.
In über 10.000 Studien untersuchten Forscher in den vergangenen Jahren den
Einfluß elektromagnetischer Felder auf den Organismus. Wer die aktuellen
Forschungsergebnisse studiert, sollte sich zunächst vergewissern, welche Art der
Strahlung untersucht worden ist.
Als Übertragungsmedium bedient man sich in der modernen Nachrichtentechnik
elektromagnetischer Wellen zum Informationstransport. Schallwellen bewegen sich
in der Luft mit einer Geschwindigkeit von circa 300 Meter pro Sekunde. Da sich
elektromagnetische Wellen aber in Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, erfolgt die
Kommunikation über eine Funkverbindung quasi in Echtzeit. Per Mikrofon erzeugt
der Sender zunächst Schallwellen, die dann in elektromagnetische Wellen
transformiert werden. Nach der Übertragung zum Empfänger wird das Funk-
wieder in ein Schallsignal umgewandelt.
Wirkungen auf menschliche kultivierte T-Lymphozyten
Eine Vielzahl von Stoffwechselvorgänge im menschlichen Organismus werden durch
zelluläre Signalübertragung gesteuert. Diese Übertragung beginnt häufig an
Zellmembranen und führt schließlich zur Aktivierung oder Deaktivierung eines
Zielgens. Dieser Informationstransfer steht im Verdacht, durch elektromagnetische
Felder (EMF) beeinflußt zu werden. Meist bilden Calcium-Ionen und second
messager wie cAMP ein wichtiges Glied in der Übertragungskette.
Ein Forscherteam vom Physiologischen Institut der Universität Bonn versuchte
deshalb den Einfluß von EMF auf die intrazelluläre Calciumkonzentration von
kultivierten entarteten T-Lymphozyten zu bestimmen und zwar in den für
Telekommunikationzwecke relevanten Bereichen von 900 und 1800 MHz. Die
intrazellulären Konzentrationen wurden dabei mit Hilfe eines fluoreszierenden
Calciumindikatorfarbstoffes gemessen. Die Intensitäten bestimmten die Forscher
dabei mit einer quantitativen computergestützten Bildanalyse.
Die Auswertung erfolgte auf zwei Arten: Einerseits bestimmten die Wissenschaftler
die Zahl der Zellen, die in den verschiedenen Phasen der Experimente
Ca2+-Oszillationen zeigten. Andererseits verfolgten sie den zeitliche Verlauf der
intrazellulären Ca2+-Konzentration für jede Gruppe über alle Zellen gemittelt.
Die Ca2+-Oszillationen in den unterschiedlichen Gruppen zeigten keine auffälligen
Unterschiede bei den Experimenten mit 900 MHz. Bei der Exposition in einem 1800
MHz-Feld wurde eine höhere Aktivität beobachtet. Ob es sich bei den
Verschiebungen um ein zufälliges Ereignis, ein Artefakt des Versuchsaufbaus oder
um einen wirklichen Einfluß des EMF handelte, konnten die Wissenschaftler nicht
abschließend beantworten. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen EMF und der
Konzentration war nicht nachweisbar.
Erbgutschädigende Einflüsse
Nicht nur erhöhte Ca2+-Konzentrationen in menschlichen Zellen können durch
Hochfrequenzfelder beeinflußt werden. Das Augenmerk einiger Forschergruppen ist
auch auf einen eventuell erbgutschädigenden Einfluß von Mobiltelefonen gerichtet. In
einem Projekt der Technischen Universität Braunschweig untersuchte eine
Wissenschaftlercrew Mutationen in Genen und Chromosomen sowie
Veränderungen der Zellprolieferation einer Kanzerogenese in Verbindung mit EMF.
Die Studie wurde mit menschlichem Spenderblut durchgeführt. Da es sich um eine
In-vitro-Versuchsreihe handelte, waren direkte Rückschlüsse auf die
Gesamtfunktionalität des Körpers nicht möglich. Diesmal kamen HF-Felder von
440, 900 und 1800 MHz zum Einsatz. Testparameter waren
Schwesterchromatidenaustausch, Chromosomenaberrationen, Mikrokerne,
Prolieferationsverhalten und Mutationen des HGPRT-Locus (Genabschnit der das
Enzym Hypoxanthin-Guanin-phosphoribosyl-Transferase exprimiert. HGPRT bildet
reversibel aus Inosin oder Hypoxanthin GMP oder IMP.). In insgesamt 90
ausgewerteten Versuchsansätzen fanden die Wissenschaftler keine Hinweise auf
feldbedingte Änderungen.
Neue Studienergebnisse
Die Diskussion um ein eventuell erhöhtes Krebsrisiko von Handybenutzern wurde
durch eine Anfang Mai 1997 in der Fachzeitschrift Radiation Research
veröffentlichte Studie einer australischen Forschergruppe erneut belebt. Das
Wissenschaftlerteam fand in einer Langzeitstudie mit transgenen Mäusen ein deutlich
erhöhtes Risiko für die Entstehung von Blutkrebs. Die verwendeten Versuchstiere
waren allerdings genetisch so verändert, daß sie schon eine Prädisposition für die
Entwicklung von Leukämie besaßen. Das Erbmaterial der Nager enthielt das Gen
pim1, welches die Bildung von Tumoren begünstigt.
Die auf diese Weise manipulierten Mäuse entwickelten auch ohne äußere Einflüsse
innerhalb von zehn Monaten in 5 bis 10 Prozent der Fälle Lymphome. Im Laufe der
Beobachtungszeit diagnostizierten die Forscher bei 43 Prozent der Probanden eine
bösartige Erkrankung, in der Kontrollgruppe dagegen nur bei 22 Prozent.
Die verwendete elektromagnetische Strahlung wies eine Frequenz von 900 MHz
auf, gepulst mit 217 MHz. Das entspricht dem GSM-Standard (Global System for
Mobile Communication) von Mobiltelefonen des D-Netzes. Die Forscher
gruppierten die Tierkäfige so um den Sender, daß das Zentrum eines jeden Käfigs
0,65 m von der Antenne entfernt lag. Die Mäuse wurden zweimal täglich jeweils
eine halbe Stunde lang bestrahlt. Die eingesetzte Strahlungsintensität von 2,6 bis 13
W/m2 führte bei den einzelnen Tieren zu SAR-Werten zwischen 0,0078 und 4,2
W/kg.
Innerhalb des Beobachtungszeitraums entwickelten die Mäuse unter anderem
Erkrankungen der Nieren, der Leber und des Zentralen Nervensystems. Häufigste
Todesursache waren allerdings lymphoblastische und nicht-lymphoblastische
Lymphome. Hier zeigte sich auch der deutlichste Unterschied zwischen den
bestrahlten Tieren und der Kontrollgruppe. Die Ergebnisse wurden an Unterschiede
im Alter und Körpergewicht der Mäuse angepaßt. Andere Erkrankungen als
konkurrierende Todesursache berücksichtigte man ebenfalls. Die exponierte Gruppe
wies danach ein doppelt so großes Risiko für die Entwicklung eines Lymphomes auf
wie die der nichtbelasteten Tiere.
Die Bedeutung dieser Studie für den menschlichen Organismus ist bis dato unklar,
denn die Mäuse wurden im Weitfeld bestrahlt, welches ihren ganzen Körper erfaßte.
Der mobiltelefonierenden Mensch setzt jedoch im Nahfeld nur einen kleinen Teil
seines Körpers relevanten Energien aus. Ferner absorbieren beim Menschen nur die
Haut, die darunterliegenden Muskeln und das Auge die hochfrequente Strahlung.
Dennoch deutet die australische Studie, die übrigens die australische
Telefongesellschaft Telestra finanzierte, auf gesundheitlich relevante biologische
Effekte im nicht-thermischen Bereich unterhalb der offiziellen Grenzwerte für
Mobiltelefone hin.
Das manipulierte Mausgen pim1 wurde zwar beim Menschen noch nicht
beobachtet. Die Autoren der Studie boten jedoch als Erklärungsmöglichkeit an, daß
die Strahlung allgemein zu einer vermehrten Zellneubildung führte, welche die
Wahrscheinlichkeit für Mutationen steigerte. Dieses prinzipielle Steigerungsmuster
von Mutationen sei nicht an ein bestimmtes Krebsgen gebunden.
Weitere Untersuchungen sind dringend nötig
Die Medienresonanz auf die Ergebnisse der Repacholi-Studien war gewaltig. Anlaß
für zahlreiche öffentliche Instanzen, die australische Studie zu bewerten. So berichtet
das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) am 9. Mai 1997 in einer Pressemitteilung:
"Das BfS ist der Meinung, daß die Resultate der Untersuchung weitere
Grundlagenforschung auf diesem Gebiet verlangen. Insbesondere ist die Frage nach
den Wirkungsmechanismen zu klären. Es gibt keinen wissenschaftlich begründeten
Anlaß, die bestehenden Grenzwerte zu ändern. Nach wie vor ist ein sicherer Schutz
der Bevölkerung auch für empfindliche Personengruppen durch die Grenzwerte der
Hochfrequenzabstrahlung gewährleistet." Franjo Grotenhermen kontert im
Strahlentelex des Elektrosmog-Report vom 3. Juli 1997: "Natürlich weisen Mäuse
und Menschen unterschiedliche Expositionsbedingungen auf. Damit ist aber die
Annahme nicht entkräftet, daß das, was bei der Maus eine biologische Wirkung
hervorruft, dies nicht auch beim Menschen tut. Nur durch eine - wenn auch
eingeschränkte - potentielle Übertragbarkeit ist eine tierexperimentelle Forschung,
wie sie durchgeführt wurde, überhaupt sinnvoll. Wäre das Ergebnis anders
ausgefallen, hätte man die Studie vermutlich als methodisch hervorragenden
Unbedenklichkeitsbeweis für Mobiltelefone angeführt."
Weltweit sind in den letzten 40 Jahren mehr als 10.000 wissenschaftliche Artikel und
Berichte zum Thema Elektrosmog veröffentlicht worden. Doch die Ergebnisse der
Forschungsarbeiten sind teilweise widersprüchlich oder unvollständig. Die Frage, ob
es eine Gesundheitsschädigung durch elektromagnetische Felder gibt und
bestehende Sicherheitsvorkehrungen für den Betrieb von Mobiltelefonen verschärft
werden müssen, kann noch immer nicht befriedigend beantwortet werden. Um
endlich mehr Klarheit über Auswirkungen der Hochfrequenzstrahlung zu gewinnen,
plant die EU inzwischen ein europaweites Forschungsprogramm. Ein Aktionsplan,
erarbeitet von einer zehnköpfigen Expertengruppe, definiert Reichweite und
Prioritäten des Programms. Er wurde bereits Anfang 1997 der Öffentlichkeit
vorgestellt. In den nächsten fünf Jahren sollen 50 verschiedene Projekte mit einem
Etat von 23,8 Millionen Euro durchgeführt werden.
PZ-Titelbeitrag von Ulrich Brunner, Eschborn
© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de