Titel
Das trockene Auge (Keratokonjunktivitis sicca) ist ein häufiges, oft
verkanntes diagnostisches und therapeutisches Problem in der
Ophthalmologie. Die Erkrankung tritt in allen Altersgruppen auf, bevorzugt
jedoch Frauen mittleren Alters. Die Pathogenese der Keratokonjunktivitis
sicca ist nicht vollständig geklärt.
Als auslösende Ursachen kommen Umweltnoxen, hormonelle Einflüsse,
(subklinische) Entzündungen der Tränendrüse und Bindehaut, Lidfehlstellungen und
Lidrandentzündungen sowie die Einnahme verschiedener systemischer und lokaler
Medikamente in Betracht. Die Liste der Medikamente, die zu verminderter
Tränenproduktion führen, beinhaltet orale Kontrazeptiva, Betablocker (oral und
lokal als Augentropfen), Psychopharmaka wie Benzodiazepine, Antidepressiva und
Neuroleptika, Diuretika, Antihistaminika sowie adrenerge Augentropfen
("Weißmacher") und lokalanästhetische Ophthalmika. Trockene Augen treten nicht
nur isoliert auf, sondern können auch verbunden mit Mundtrockenheit Bestandteil
eines Syndroms (Sjôgren-Syndrom) beziehungsweise einer Autoimmunerkrankung
(zum Beispiel primär chronische Polyarthritis) sein.
Symptome und Befund
Patienten klagen typischerweise über empfindliche, gerötete Augen und ein
Fremdkörpergefühl. Paradoxerweise besteht häufig subjektiv ein "feuchtes Auge"
mit vermehrtem Tränenfluß, der durch eine Reflextränenproduktion bei sehr
trockenem Auge erklärbar ist. Der klinische Befund reicht von geringgradiger
Bindehautreizung bis hin zur schwersten Keratokonjunktivitis filiformis mit
fädchenartiger Abschilferung der Hornhautoberfläche, quälenden Schmerzen und
Visusreduktion.
Diagnose und Therapie
Die Diagnose erfolgt beim Augenarzt durch eine gewissenhafte
Spaltlampenuntersuchung mit Bindehaut- und Hornhautanfärbung, sowie durch
weiterführende Tests zur Beurteilung der Menge und Qualität des Tränenfilms
(Schirmertest und Tränenfilmaufreißzeit).
Zunächst müssen Grundleiden wie Lidfehlstellungen oder Lidrandentzündungen als
Ursache des trockenen Auges behandelt werden. Auch adjuvante Störfaktoren wie
Rauch oder Staub sollten beseitigt werden. Überaus wichtig ist außerdem die
Überprüfung der Refraktion und des Binokularsehens, da sogenannte asthenopische
Beschwerden (ausgelöst durch die falsche Brille oder eine unerkannte Schielstellung)
sich negativ auf ein trockenes Auge auswirken können.
In der Therapie wurden in der Vergangenheit zwei Substanzen zur Anregung der
Tränensekretion verwendet, Bromhexin und Eledoisin. Aufgrund widersprüchlicher
Erfolge, Nebenwirkungen und einer nachlassenden Wirkung im zeitlichen Verlauf
spielen diese Medikamente jedoch in der täglichen Praxis keine Rolle.
Die häufigste therapeutische Maßnahme beim trockenen Auge ist die Substitution
mit Tränenersatzmitteln. Neben einer guten Verträglichkeit und einer hohen
Oberflächenstabilität darf der Filmbildner nicht zu viskös sein, um die Sehschärfe
nicht negativ zu beeinflussen. Zum Einsatz kommen halbsynthetische
Zellulosederivate, Polyvinylalkohole, Polyvinylpyrrolidon,
Polyakrylsäureabkömmlinge und Hyaluronsäure, die je nach Schweregrad der
Sicca-Symptomatik und Patientenverträglichkeit rezeptiert werden.
Bei Patienten mit ausgeprägter Keratokonjunktivitis sicca bringen gelartige
Tränenersatzmittel den Vorteil einer längeren Verweildauer im Auge. Bei häufiger
Tropffrequenz sollte auf die Verordnung Konservierungsstoff-freier Präparate
geachtet werden. Bringt die häufige Applikation künstlicher Tränen keine
wesentliche Erleichterung für den Patienten, kann der Verschluß der abführenden
Tränenwege durch kleine Kunststoffplomben ("punctum plugs") oder durch
Koagulation erwogen werden.
Für die Zukunft steht möglicherweise mit der lokalen Cyclosporin-A-Therapie ein
Medikament zur Verfügung, das bei schwerster Keratokonjunktivitis sicca vor allem
im Rahmen einer Autoimmunerkrankung die subklinische Entzündung bekämpft und
somit die entzündliche Zerstörung der Tränendrüse mit nachfolgender
Sicca-Symptomatik verhindert.
PZ-Titelbeitrag von Elisabeth M. Messmer, München
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