Effiziente Strukturen zum Wohl der Patienten |
13.05.2002 00:00 Uhr |
Die deutschen Apotheken sorgen weiter für Beschäftigung. Gegen den allgemeinen Trend stieg die Zahl der Arbeitsplätze in den Apotheken weiter an. Gleichzeitig sank die Zahl der Offizinen leicht. Der Wirtschaftsbericht bietet einen detaillierten Blick auf die ökonomische Entwicklung der Apotheken.
Der Wirtschaftsbericht für das Jahr 2001 ist wie üblich wieder in die Kapitel Arbeitsmarkt, Apotheke, Mengen, Preise, Umsätze und Betriebswirtschaftliche Ergebnisse gegliedert. Wie gewohnt gehen wir auch auf unseren größten Marktpartner, die gesetzlichen Krankenkassen, ein. Da die pharmapolitische Diskussion in Deutschland zunehmend vor dem Hintergrund ausländischer Erfahrungen geführt wird, erfolgt zum Abschluss ein Blick über den deutschen Zaun und ganz konkret auf die Entwicklungen in den USA, die mit der in Deutschland vergleichen wird. Auch wenn das Wirtschaftsjahr 2001 noch komplett in DM fakturiert wurde, werden alle Beträge in Euro angegeben. Dies soll die Vergleichbarkeit der Daten über längere Zeiträume erleichtern.
Arbeitsmarkt Apotheke
Der Arbeitsmarkt Apotheke hat 21.569 Standorte in Deutschland. Nachdem sich die Zahl der Apotheken bereits in den Vorjahren nur noch geringfügig erhöht hatte, ist die Apothekenzahl im Jahr 2001 erstmals auch gesamtdeutsch gesunken. Der Rückgang von 23 Apotheken ist zwar prozentual gering, wir erwarten aber, dass sich dieser Trend auch im Jahr 2002 und später fortsetzt. Im Durchschnitt versorgt eine öffentliche Apotheke in Deutschland 3800 Einwohner. Der EU-Durchschnitt liegt bei 3300 Einwohnern. Das bedeutet, dass Deutschland - auch wenn es in den Medien immer wieder anders kolportiert wird - im EU-Vergleich keine übersteigerte Apothekenzahl hat.
In Umfrageergebnissen liegen Apotheken regelmäßig auf absoluten Spitzenplätzen, wenn es um die Beratungs- und Servicequalität der Dienstleistungsbranchen geht. Das kommt nicht von ungefähr, sondern dafür tun wir viel: Wir stellen kontinuierlich zusätzliches Personal ein. Allein im Jahr 2001 wurden fast 1000 Arbeitsplätze in Apotheken neu geschaffen. Nun sind über 137.000 Menschen in öffentlichen Apotheken beschäftigt.
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat am 24. April beim "Tag der Freien Berufe" gesagt, dass er für die Zukunft in den Freien Berufen einen erheblichen Wachstumsbereich sieht, der sich auch in den Arbeits- und Ausbildungsplätzen niederschlagen wird. In unserer Branche hat diese Zukunft schon lange begonnen. Seit 1992 haben wir die Arbeitsplätze in Apotheken um mehr als 15.000 erhöht. Jeder Arbeitsplatz in der Apotheke bringt auch Sozialversicherungsbeiträge und Steuereinnahmen und erhöht die gesamtwirtschaftliche Nachfrage.
Wer nur über die Vertriebskosten redet, sollte diesen gesamtwirtschaftlichen Beitrag unserer Apotheken nicht übersehen! Nach der Formel "Anders gleich besser" werden von vielen Seiten brachiale Änderungen gefordert - nicht nur, aber auch in der Arzneimittelversorgung. Bundeskanzler Schröder hat am 30. April gegenüber der EU-Kommission, die dies in vielen Branchen einleiten möchte, etwas Bemerkenswertes gesagt: "Wer an den gewachsenen Strukturen etwas ändern will, muss zunächst beweisen, dass sich der Zustand danach für die Menschen verbessert." Wenn dieses Kanzlerwort in der Diskussion um die zukünftige Arzneimittelversorgung beherzigt würde, wäre Sorgen um die Zukunft auch dieser Arbeitsplätze nicht nötig!
Arzneimittelverbrauch
Die Zahl der im Wege der Selbstmedikation (also rezeptfrei) abgegebenen Arzneimittelpackungen hat im Jahr 2001 um 10 Millionen auf 610 Millionen Einheiten zugenommen. In den letzten 10 Jahren betrug die jahresdurchschnittliche Wachstumsrate rund 1 Prozent.
Die Zahl der ärztlich verordneten Arzneimittel (GKV und PKV) hat sich 2001 um 30 Millionen Packungseinheiten auf 990 Millionen erhöht. Trotz höherer Einwohnerzahl ist die Zahl der von Ärzten verordneten Arzneimittelpackungen im Jahr 2001 um 20 Prozent niedriger als zu Beginn der 90er Jahre.
Der Pro-Kopf-Arzneimittelverbrauch variiert in der Europäischen Union zwischen 12 und 49 Packungen. In Deutschland liegt er mit 19 Packungen im Mittelfeld. Hiervon entfallen 12 auf ärztliche Verordnungen und 7 auf die Selbstmedikation.
Die Mengenstruktur der Arzneimittelabgaben hat sich im Jahr 2001 im Vergleich zum Vorjahr wenig geändert: Insgesamt macht damit der Verordnungsmarkt 62 Prozent der Menge aus. 44 Prozent der Arzneimittelabgaben entfallen auf die Verordnung rezeptpflichtiger und 18 Prozent auf die Verordnung apothekenpflichtiger rezeptfreier Arzneimittel.
35 Prozent der Arzneimittelabgaben entfallen auf die Selbstmedikation mit apothekenpflichtigen rezeptfreien Arzneimitteln und 3 Prozent auf die Selbstmedikation mit freiverkäuflichen Arzneimitteln. Mittlerweile macht die Selbstmedikation 38 Prozent aller Medikationen aus. Sie kann damit - wenn es um ein optimiertes Arzneimittelmanagement geht - nicht ignoriert werden. Das ist auch der Grund, warum wir einen Arzneimittelpass wollen, der die Gesamtmedikation und nicht nur die ärztlichen Verordnungen beinhaltet.
Arzneimittelpreise
Die Preisentwicklung bei Arzneimitteln war auch im Jahr 2001 mit plus 1 Prozent moderat. Die für den Gesamtarzneimittelmarkt ermittelten Daten stammen vom Wissenschaftlichen Institut der Ortskrankenkassen (WidO). Wenn man das Preisniveau des Jahres 1992 mit dem Indexwert von 100 versieht, so wurde in 2001 ein Wert von 96,9 erreicht.
Wenn man dagegen den Lebenshaltungskostenindex betrachtet, zeigt sich eine völlig andere Entwicklung. Dieser ist in den letzten 10 Jahren kontinuierlich angestiegen und hat mittlerweile einen Indexwert von 118,5 erreicht. Die Schere zwischen beiden Indices klafft von Jahr zu Jahr weiter auseinander. Länder, die erfolglos am Arzneimittelvertrieb experimentieren, beneiden uns darum.
Branchenumsatz
Der Gesamtumsatz der Apotheken ist 2001 um 7,5 Prozent auf 29,3 Milliarden Euro gestiegen. Der Gesamtumsatz der Apotheken beinhaltet alle Arzneiverordnungen für gesetzlich und privat krankenversicherte Personen, die komplette Selbstmedikation sowie unsere kompletten Umsätze mit Hilfsmitteln sowie Produkten aus dem apothekenüblichen Ergänzungssortiment.
Sieht man sich die Struktur unseres Gesamtumsatzes an, so zeigt sich hier die eindeutige Dominanz des Verordnungsmarktes: 69,5 Prozent des Gesamtumsatzes entfallen auf die Verordnung rezeptpflichtiger und 10 Prozent auf die Verordnung apothekenpflichtiger rezeptfreier Arzneimittel, so dass insgesamt fast 80 Prozent des Umsatzes durch ärztliche Verordnungen determiniert ist.
Die Selbstmedikation mit apothekenpflichtigen rezeptfreien Arzneimitteln hat einen Umsatzanteil von 12,5 Prozent und die Selbstmedikation mit freiverkäuflichen, also nicht-apothekenpflichtigen Arzneimitteln einen von 1,5 Prozent. Die Umsätze mit freiverkäuflichen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken sind übrigens rückläufig. Sie sanken im vergangenen Jahr um mehr als 10 Prozent.
Die Medicalprodukte machen 3,5 Prozent und das apothekenübliche Ergänzungssortiment 3 Prozent unseres Gesamtumsatzes aus, so dass der OTC-Bereich insgesamt 20,5 Prozent des Apothekenumsatzes erreicht.
Betriebswirtschaftliche Ergebnisse
Das Kölner Institut für Handelsforschung ermittelt für alle Handelsbereiche jährlich die betriebswirtschaftlichen Branchenergebnisse. Für das gesamte Leistungsspektrum ist die Handelsspanne, also die Differenz zwischen Verkaufs- und Einstandspreisen bezogen auf den Bruttoumsatz, im Jahr 2001 auf 26,7 Prozent gesunken. Seit 1992 ist ein kontinuierlicher Rückgang zu erkennen. Die Handelsspanne im Bereich der GKV-Arzneimittelversorgung liegt sogar erheblich niedriger.
Die Kostenbelastung einschließlich des kalkulatorischen Unternehmerlohns sowie der Zinsen für das eingesetzte Eigenkapital betrug im Jahr 2001 25,3 Prozent der Bruttoumsätze. Aus der Differenz von Handelsspanne und Kosten ergibt sich die Umsatzrendite bezogen auf den Bruttoumsatz. Im Jahr 2001 lag sie bei 1,4 Prozent.
Wenn man von den Daten für die Gesamtbranche auf die einzelwirtschaftlichen Daten übergehen will, stellt sich die Frage, welchen Apothekentyp man darstellen möchte oder genauer, welche Apotheke man als "typisch" bezeichnen möchte.
Die statistische Methodenlehre stellt hier einige Messkonzepte bereit: Es kann die Apotheke mit dem "mittleren" Umsatz gewählt werden, es können aber auch Apotheken aus verschiedenen Umsatzbereichen dargestellt werden oder es kann der am häufigsten vorkommende Wert genommen werden.
Wenn man längerfristige Entwicklungen aufzeigen will, ist es weniger wichtig, welches dieser statistischen Messkonzepte man für die typische Apotheke wählt. Wichtig für eine seriöse Berichterstattung ist vielmehr, dass man nicht jährlich unterschiedliche Konzepte wählt, sondern dauerhaft bei dem gewählten Messkonzept bleibt.
Die ABDA hat sich seit 1992 dafür entschieden, die "typische" Apotheke anhand des so genannten "häufigsten Wertes" abzubilden. So gelingt eine Darstellung, die für eine möglichst große Zahl von Apotheken zutreffend ist.
Im Jahr 2001 lag der häufigste Wert in der Umsatzgrößenklasse von 0,75 bis 1 Million Euro. Unmittelbar Über und unter der typischen Apotheke liegen zudem ebenfalls stark besetzte Umsatzgrößenklassen, so dass unsere typische Apotheke geeignet ist, die betriebswirtschaftliche Situation für eine sehr große Zahl der Apotheken sinnvoll abzubilden.
Die typische Apotheke erzielte im Jahr 2001 einen Bruttoumsatz von 1.078.000 Euro. Von diesem Bruttoumsatz ist die gesetzliche Mehrwertsteuer abzuführen. Im Jahr 2001 waren das 149.000 Euro. Bemerkenswert ist übrigens, dass sich gegenüber 1992 zwar der Bruttoumsatz um 30 Prozent erhöht hat, die Mehrwertsteuerabführung jedoch um satte 46 Prozent. Das mag zwar das Bundesfinanzministerium erfreuen. Doch dies zeigt überdeutlich, dass die 16-prozentige Mehrwertsteuer auf Arzneimittel weder in den europäischen Kontext noch zum deutschen Gesundheitswesen passt.
Nach Abzug der Mehrwertsteuer ergibt sich der Nettoumsatz der typischen Apotheke. Er betrug im Jahr 2001 rund 929.000 Euro. Der Wareneinsatz stieg auf 641.000 Euro angestiegen.
Nach Abzug des Wareneinsatzes entstand ein Rohertrag von 288.000 Euro. Aus diesem Rohertrag - also dem Wertschöpfungsanteil der Apotheken am Bruttoumsatz - müssen alle Ausgaben für den Apothekenbetrieb bestritten werden. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Rohertrag somit um insgesamt knapp 24 Prozent erhöht.
Vom Rohertrag sind die Personalkosten für die Angestellten abzuziehen; hier ist übrigens kein kalkulatorischer Unternehmerlohn eingerechnet. Die Personalkosten lagen im Jahr 2001 bei 110.000 Euro. Im Vergleich zu 1992, dem Beginn unserer Zeitreihe, sind diese Arbeitgeberkosten für das Apothekenpersonal mit 34 Prozent deutlich stärker als der Rohertrag der Apotheken gestiegen.
Die sonstigen Kosten, also die Kosten für Raum und Einrichtung, Fremdkapitalzinsen, diverse Sachkosten, Gewerbesteuer und so weiter haben bei der typischen Apotheke im Jahr 2001 einen Betrag von 99.000 Euro erreicht.
So ergibt sich das zu versteuernde Einkommen des Leiters der typischen Apotheke. Es betrug im vergangenen Jahr 79.000 Euro. Über den Gesamtzeitraum seit 1992 ist damit das zu versteuernde Einkommen um 11 Prozent gestiegen. Das entspricht einer durchschnittlichen Rate von rund 1 Prozent jährlich.
Das Vor-Steuer-Einkommen des Apothekenleiters darf nicht mit einem Arbeitnehmerbruttogehalt verwechselt werden. Der Apothekenleiter muss auf dieses Einkommen nicht nur die Einkommenssteuer abführen, sondern zugleich seine Absicherung für den Krankheitsfall, für die Berufsunfähigkeit sowie für die Altersvorsorge vollständig selbst finanzieren. Als Selbstständiger ist er nicht gegen Arbeitslosigkeit versichert und er trägt persönlich das volle wirtschaftliche Haftungsrisiko für die Apotheke. Zugleich ist das zu versteuernde Einkommen Entgelt für das eingesetzte Eigenkapital und die Arbeitszeit des Apothekenleiters.
Marktpartner GKV
Die gesetzlichen Krankenkassen sind der größte Marktpartner der Apotheken. Von den 29,3 Milliarden Euro Gesamtumsatz entfallen einschließlich 69 Prozent auf die GKV (einschließlich Patientenzuzahlung). Auf Packungen bezogen sind es 55 Prozent, also knapp 880 Millionen von 1,6 Milliarden Packungen sind verordnete Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen.
Auch im Jahr 2001 haben sich die Wertschöpfungsanteile in der GKV-Arzneimittelversorgung weiter zugunsten der Industrie und zu Lasten der Vertriebsstufen verschoben. In der GKV-Arzneimittelversorgung ist unsere Handelsspanne, also der Wertschöpfungsanteil der Apotheken, um 0,6 Prozentpunkte auf 19,4 Prozent zurückgegangen. Gegenüber 1978, dem Startjahr der Arzneimittelpreispreisverordnung ist die Apothekenhandelsspanne in der GKV-Versorgung von 28,4 auf 19,4 Prozent zurückgegangen. Für das Jahr 2002 ist übrigens ein weiterer deutlicher Rückgang der Apothekenhandelsspanne wegen der Erhöhung des gesetzlichen Apothekenabschlages an die GKV von 5 auf 6 Prozent programmiert.
Zusammen mit dem Großhandelsanteil von 8,5 Prozent ergaben sich im Jahr 2001 somit Gesamtvertriebskosten in der GKV-Versorgung von 27,9 Prozent. 1978 betrug dieser Anteil noch 37,9 Prozent. Der Nicht-Vertriebsanteil bei den GKV-Arzneimittelausgaben, also der kumulierte Anteil der Industrie und des Staates lag 1978 noch bei 62,1 Prozent. Im Jahr 2001 ist er auf 72,1 Prozent gestiegen.
Sieht man sich die Wertschöpfungsanteile nicht nur über den GKV-Markt insgesamt an, sondern zerlegt diesen in einzelne Preissegmente, erhält man einige interessante Aspekte: Der Mehrwertsteueranteil des Staates ist mit 13,8 Prozent in allen Preissegmenten konstant (denn: 16 Prozent auf Hundert entsprechen 13,8 Prozent im Hundert).
Der Industrieanteil liegt im unteren Segment bei 47,8 Prozent und steigt über 55,3 und 62 bis auf 67,5 Prozent im oberen Preissegment, in dem hochinnovative Arzneimittel placiert sind. Der Großhandelsanteil fällt von 9,1 Prozent bis auf 7,2 Prozent.
Der Apothekenanteil fällt von 29,3 Prozent im unteren bis auf 11,5 Prozent im oberen Segment. Das heißt: Mit steigendem Preis erhöhen sich die Nicht-Vertriebskosten und dementsprechend fällt der Vertriebskostenanteil. Gerade in den Preisbereichen, in denen Arzneimittelinnovationen eingeführt werden und in denen sich die so genannte Strukturkomponente abspielt, ist der Vertriebsanteil noch deutlich niedrigerer als im Durchschnitt. Die Schlussfolgerung ist eindeutig: Wer die Diskussion um die Kosten der Arzneimittelversorgung auf eine Vertriebsdiskussion reduziert, verkennt die Gesamtsituation.
Das absolute Aufkommen aus den Arzneikostenzuzahlungen ist mit 1,94 Milliarden Euro im Jahr 2001 absolut unverändert geblieben. Relativ betrachtet, ist der Patientenanteil in der GKV-Arzneimittelversorgung jedoch auf 10 Prozent gesunken.
Je nach Normpackungsgröße ist ein Patientenanteil von 4, 4,50 beziehungsweise 5 Euro vorgesehen. Doch bezogen auf die Gesamtzahl der 880 Millionen Arzneimittelverordnungen in der GKV ist im Durchschnitt eine Patientenzuzahlung von nur 2,20 Euro je Verordnung angefallen. In jedem zweiten Fall sind die GKV-Rezepte komplett von der Zuzahlung befreit. Diese Darstellung zeigt mehr als deutlich, dass die Politik zwar gern und vollmundig von stärkerer Mitverantwortung der Patienten redet, aber das Gegenteil bewirkt. Um es deutlich zu machen: Die Apotheker reden nicht massiven Zuzahlungserhöhungen das Wort, doch halten wir eine Überprüfung der bestehenden Zuzahlungsregelungen für dringend erforderlich.
Der Krankenkassenanteil an den GKV-Verordnungen betrug im Jahr 2001 21,4 Milliarden Euro. Der Zuwachs von rund 10 Prozent erklärt sich im wesentlichen durch die politisch gewollte Auflösung des Rationierungsstaus, der durch die seit 1993 andauernde Budgetierungsphase entstanden war. Für das Jahr 2002 rechnen wir mit einem deutlich geringeren Anstieg. Rechnet man die Monatsumsätze des ersten Quartals auf das Gesamtjahr 2002 hoch, ergibt sich ein Anstieg der GKV-Ausgaben von 1,4 Prozent. Ursache sind hier die Neuregelungen des Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetzes, insbesondere die Erhöhung des gesetzlichen Apothekenabschlages von 5 auf 6 Prozent ab 1. Februar 2002.
Seit 1992 sind die Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenkassen damit im Jahresdurchschnitt um knapp 3 Prozent gestiegen - das ist im Vergleich zu der Entwicklung der Gesamtausgaben der GKV unterdurchschnittlich.
Im Rahmen der aktuellen Diskussion um die Vertriebskosten in der Arzneimittelversorgung stellt sich die Frage, was die gesetzlichen Krankenkassen eigentlich für die Benutzung des Systems "öffentliche Apotheke" mit allen Dienstleistungen insgesamt ausgeben. Anders gewendet heißt das: Wie viel Apothekenrohertrag steckt in den Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen?
Im Jahr 2001 war in den GKV-Arzneimittelausgaben ein Apothekenrohertrag von 4,15 Milliarden Euro enthalten. Das ist der Betrag, den die gesetzlichen Krankenkassen für die Benutzung des Vertriebsweges öffentliche Apotheken ausgegeben haben. Wenn Sie die Zeitreihe zurückverfolgen, sehen Sie, dass dieses "Benutzungsentgelt" 1992 bereits 3,76 Milliarden Euro betragen hat, sich also in dem Gesamtzeitraum seither nur um insgesamt 10 Prozent erhöht hat.
Stellt man dem die Zeitreihe für die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen gegenüber, so sind diese von 16,6 Milliarden Euro im Jahr 1992 auf 21,4 Milliarden Euro im vergangenen Jahr angestiegen. Dieser Zuwachs ist mit fast 29 Prozent erheblich größer als das Benutzungsentgelt für die Gesamtleistung aller öffentlichen Apotheken.
Der Apothekenrohertrag von 4,15 Milliarden Euro entspricht mathematisch zwingend der Apothekenhandelsspanne von 19,4 Prozent in der GKV-Arzneimittelversorgung. Jeder, der für einen geänderten Vertriebsweg für Arzneimittel plädiert, sollte belegen, dass das von ihm alternativ vorgeschlagene System, mit insgesamt günstigeren Benutzungskosten auskommt.
Eine neue Welt der Arzneimitteldistribution ist noch lange nicht besser, wenn sie punktuell Arzneimittelproduktbereiche verbilligt, sondern sie müsste die Gesamtkosten von 4,15 Milliarden Euro unterbieten. Das ist die Benchmark. Bislang konnte noch keiner der Versandhandels-Befürworter entsprechende harte Zahlen vorgelegen. Deshalb werden wir nicht müde zu fragen, wo die harten Daten und Fakten sind, die die Vorteilhaftigkeit eines Systemwechsels belegen.
Dass man mit Rosinenpickerei einzelne Produkte billiger distribuieren kann, bestreitet niemand. Doch die Leistungsfähigkeit eines Systems ist am Gesamtergebnis zu messen. Und da ist unsere "Performance" nicht zu überbieten!
Man kann sich diese Benutzungskosten für das System "öffentliche Apotheke" auch auf die durchschnittlichen GKV-Arzneimittelpackung beziehen, indem man Apothekenrohertrag durch die Gesamtzahl der GKV-Arzneimittelverordnungen dividiert. Je GKV-Durchschnittspackung gerechnet ist der Apothekenrohertrag von 3,85 Euro im Jahr 1992 auf 5,30 Euro im Jahr 2002 angestiegen. Das ist ein Zuwachs je Packung von 38 Prozent in neun Jahren.
Stellt man dieser Zeitreihe den durchschnittlichen Packungspreis in der GKV-Arzneimittelversorgung gegenüber, so zeigt sich, dass diese von 16,12 Euro im Jahr 1992 auf 28,76 Euro im vergangenen Jahr angestiegen ist. Das ist ein Zuwachs von über 75 Prozent.
Der Packungspreis wächst also mehr als doppelt so stark wie der Apothekenrohertrag. Das heißt, dass nicht die Benutzung des Vertriebsweges Apotheke das Kernproblem in der Arzneimittelversorgung sein kann.
Die Politiker, die über die Weiterentwicklung der Arzneimittelversorgung zu entscheiden haben, sind - wenn sie über alternative Vertriebswege nachdenken - gut beraten, zu prüfen, ob solche Alternativen tatsächlich geringere Benutzungskosten als die öffentliche Apotheke mit sich brächten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für "Großkunden" (und das ist die Gesetzliche Krankenversicherung mit einem Volumen von 880 Millionen Arzneimittelpackungen) nicht die Einzelpreise, sondern die Durchschnittspreise relevant sind.
Wer Rosinenpickerei bei den 10 Prozent der Packungsmenge zulässt, die im oberen Preisbereich liegen, und damit die heutige Mischkalkulation auf der Apothekenstufe zerschlägt, muss wissen, dass wir dann die restlichen 90 Prozent der Packungsmenge nicht zu unveränderten Konditionen bewerkstelligen können. Leistung ist nicht zum Nulltarif zu haben!
Vorbild Amerika?
Die Gesamtarzneimittelausgaben in Deutschland, also die Gesamtausgaben für ärztliche Verordnungen bei privat und gesetzlich Krankenversicherten einschließlich der kompletten Ausgaben für Selbstmedikationsarzneimittel sind in Deutschland von 20 Milliarden Euro im Jahr 1992 auf 28 Milliarden Euro im Jahr 2002 angestiegen. Das ist ein Zuwachs von 40 Prozent in 9 Jahren.
Da stellt sich die Frage, ob es andere besser mit der pharmapolitischen Steuerung machen. Dazu ein Blick über den deutschen Zaun. Weil alle Vertriebswegsänderungen, die derzeit in Deutschland heiß diskutiert werden, in den USA schon seit vielen Jahren im Praxistest sind, möchte ich Ihr Augenmerk auf die empirische Evidenz dieses Landes lenken.
Ein solcher Vergleich ist übrigens nicht unfair: Wer Versandhandel, multiplen Arzneimittelvertriebswegen und frei floatenden Arzneimittelpreisen das Wort redet, der muss auch bereit sein, sich mit der Performance solcher Maßnahmen am Beispiel der USA auseinander zu setzen.
Die Gesamtarzneimittelausgaben in den USA - und zwar ebenfalls über alle Vertriebswege und alle Kostenträger aufsummiert - sind im gleichen Zeitraum von 67 Milliarden Euro auf 179 Milliarden Euro angestiegen. Das ist eine Zunahme um 167 Prozent in neun Jahren. Allein im Jahr 2001 sind die Gesamtarzneimittelausgaben in den USA um 14 Prozent angestiegen. In Deutschland war der Anstieg halb so groß.
Der Grund für dieses geradezu explosionsartige Ausgabenwachstum in den USA ist ebenso einfach wie zwingend: Wer neben einen singulären Vertriebsweg weitere setzt, um Preisvorteile durch Vertriebskonkurrenz zu erzielen, muss natürlich jedem Vertriebsweg auch das Recht geben, mit dem Preisargument zu werben. Das heißt, mit der Vertriebsschienenvielfalt tritt unweigerlich etwas zu Tage, was die Amerikaner Direct-to-Consumer-Marketing nennen. Das volkswirtschaftliche Gesamtergebnis sehen Sie an diesem Chart.
Jeder, der für die Vertriebswegsumgestaltung in Deutschland votiert, ist gut beraten, sich mit diesem Chart zu befassen. Die Wähler werden es, früher oder später, in jedem Fall tun.
Die Ausgaben für OTC-Drugs, also nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel, sind in den USA von 13,6 Milliarden Euro im Jahr 1992 auf 23 Milliarden Euro in 2001 angestiegen. Das ist ein Zuwachs von 70 Prozent. Wer also meint, dass eine Freigabe der Endverbraucherpreise bei nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln die Arzneimittelrechnung insgesamt verbilligt, irrt. Er verwechselt nämlich die Preisentwicklung bei einigen Signalprodukten mit der Gesamtmarktentwicklung.
Die Ausgaben für Prescription Drugs, also verschreibungspflichtige Arzneimittel, sind in den USA von 53,6 Milliarden Euro im Jahr 1992 auf 156,3 Milliarden Euro im Jahr 2001 gewachsen. Allein im Jahr 2001 war hier ein Zuwachs von 15,5 Prozent zu verzeichnen.
Zusammengenommen ergibt dieser kurze Blick über den deutschen Zaun ein eindrucksvolles Bild: In den USA betragen die gesamten Arzneimittelausgaben je Einwohner 628 Euro, in Deutschland 390 Euro. Das ist eine Differenz von 61 Prozent.
Die ärztlichen Arzneimittelverordnungskosten liegen in den USA bei 447 Euro, in Deutschland bei 330 Euro. Das ist eine Differenz von 36 Prozent. Die Ausgaben für Selbstmedikation liegen in den USA bei 181 Euro, in Deutschland bei 60 Euro. Das ist eine Differenz von 202 Prozent. Der durchschnittliche Preis einer ärztlich verordneten Arzneimittelpackung liegt in den USA bei 58 Euro, in Deutschland bei 29 Euro. Das ist eine Differenz von 100 Prozent.
Jeder, der mit Pharmapolitik verantwortlich befasst ist oder Diskussionsbeiträge dazu liefert, sollte diese Zahlen auf sich wirken lassen. Er sollte das eingangs zitierte Kanzlerwort beachten: "Wer an den gewachsenen Strukturen etwas ändern will, muss zunächst beweisen, dass sich der Zustand danach für die Menschen verbessert."
Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass die Menschen in Deutschland amerikanische Verhältnisse wollen. Das ist wohl auch der Grund für die hohe Beteiligung an der Unterschriftenaktion gegen den Versandhandel. Diese Zahlen, aber auch der Wille der Menschen in Deutschland sollten ernst genommen werden.
Der Autor
Dr. Frank Diener studierte von 1978 bis 1984 Volkswirtschaftslehre und wurde mit dem Thema "Die Wahl der Verträge zwischen Versicherungen und Kliniken" zum Dr. rer. pol. an der Universität des Saarlandes promoviert. Von 1984 bis 1988 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Professor Dr. Richter am Institut für Theoretische Volkswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes. Zwischen 1988 und 1989 leitete er die Geschäftsstelle des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen. Seit 1989 arbeitet er bei der ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände in Eschborn, zunächst als Referent für Gesundheitsökonomie und Sozialpolitik, ab 1991 als Leiter der Grundsatzabteilung und seit Juli 1999 als Geschäftsführer Wirtschaft und Soziales.
Anschrift des Verfassers:
Dr. Frank Diener
Geschäftsführer Wirtschaft und Soziales
ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände
Carl-Mannich-Straße 26
65760 Eschborn
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