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Die wichtigsten Radikalquellen im menschlichen Organismus

04.05.1998  00:00 Uhr

- Titel

Govi-Verlag

Die wichtigsten Radikalquellen im
menschlichen Organismus

In physiologischen Systemen wie dem menschlichen Organismus herrscht ein Gleichgewicht zwischen prooxidativen und antioxidativen Systemen. Eine Imbalance zwischen beiden Systemen zugunsten der prooxidativen Seite resultiert in sogenanntem oxidativen Streß. Es gilt als erwiesen, daß oxidativer Streß bei einer Reihe von Erkrankungen und Symptomen als ursächlicher oder häufiger als begleitender pathogenetischer Faktor eine Rolle spielt. Bei all diesen Erkrankungen oder Symptomen sind es fast immer die gleichen grundlegenden Reaktionen, die in entscheidendem Maße zur Freisetzung freier Radikale, besonders von Sauerstoffradikalen, beitragen.

Höchste Priorität kommt folgenden Radikalquellen zu: der mitochondrialen Atmungskette, dem Purinabbau, dem Stoffwechsel der Katecholamine, weiteren wichtigen Substratautoxidationen, der Detoxifikation von Xenobiotika, Reaktionsschritten der neutrophilen Granulozyten, dem Arachidonsäuremetabolismus und der Einwirkung von Strahlung, besonders von UV-Strahlung, auf die Haut.

Die Atmungskette, die in fast allen Zelltypen des Menschen vorhanden ist, ist durch einen permanenten "Leak" von Superoxidradikalen aus der Elektronentransportkette der Mitochondrien gekennzeichnet. Zusammen mit dem Superoxid-Leak des endoplasmatischen Retikulums (mikrosomaler Elektronentransport), dessen Anteil vom Durchsatz durch das Cytochrom-P450-System abhängt, soll der Superoxid-Leak der mitochondrialen Atmungskette circa 2 Prozent des Gesamt-Sauerstoffverbrauchs betragen. Mit steigendem Sauerstoff-Partialdruck kann sich der Anteil des Superoxid-Leaks in den Elektronentransportketten beträchtlich erhöhen.

Die Xanthinoxidase als Enzym des Purinabbaus wird seit längerem als bedeutsame Quelle für die Bildung von Sauerstoffradikalen in reperfundierten oder reoxygenierten Geweben angesehen. Die Xanthinoxidoreduktase, die die Umwandlung von Hypoxanthin zu Xanthin und nachfolgend auch von Xanthin zu Harnsäure katalysiert, existiert in zwei Formen: einer Dehydrogenase-Form und einer Oxidase-Form. Die Reaktionen der Oxidase-Form sind unmittelbar mit der Umwandlung von Sauerstoff zu Superoxidradikalen oder Wasserstoffperoxid verbunden. Entscheidend für einen möglichen Beitrag der Xanthinoxidoreduktase an der Sauerstoff-Radikalbildung in einem Gewebe oder Organ ist die Aktivität des Enzyms in diesem Gewebe oder Organ. Dabei sind nicht nur die eigentlichen Parenchymzellen bedeutsam, sondern auch weitere in dem Gewebe oder Organ existente Zelltypen, zum Beispiel Endothelzellen und Bindegewebszellen. Die Kaskade des Abbaus intrazellulärer Purine wurde während und nach Sauerstoffmangel in verschiedenen Geweben untersucht. Charakteristisch ist die Akkumulation von Hypoxanthin während des Sauerstoffmangels als Ausgangspunkt für die ROS (Reaktive Sauerstoffspezies)-Bildung bei erneuter Sauerstoffversorgung des Gewebes (Reperfusion).

Die Autoxidationsreaktionen von Katecholaminen stellen eine weitere wichtige endogene Quelle von Sauerstoff- und anderen Radikalen dar. Die Oxidation von Adrenalin und Adrenalinanaloga ist aufgrund der vielen möglichen freien Radikale und Metabolite, die durch die sequentiellen Ein-Elektronen-Oxidationen der jeweiligen Verbindungen gebildet werden können, außergewöhnlich komplex. Unter Bedingungen der vermehrten Katecholaminbildung und -ausschüttung werden die Autoxidationsprozesse und die damit verbundene Bildung der verschiedenen Radikalspezies eine noch weit größere Rolle als bei physiologischen Konzentrationen spielen.

Eine Reihe von endogenen Verbindungen des menschlichen Körpers unterliegt permanent Autoxidationsprozessen, bei denen Sauerstoffradikale freigesetzt werden können. Deren quantitative Bedeutung hängt im wesentlichen von der Bildungsrate und Konzentration solcher Verbindungen und dem sie umgebenden Sauerstoff-Partialdruck ab. Von besonderer quantitativer Bedeutung ist die Autoxidation von Hämoglobin. Die langsame Autoxidation von Monosacchariden unter Sauerstoffaufnahme und Bildung reaktiver Sauerstoffspezies spielt wahrscheinlich beim Auftreten höherer Glucosekonzentrationen eine Rolle (Glucoxidation).

Arzneimittel und andere Xenobiotika, wie verschiedene Umweltnoxen, können auf vielfältige Weise die Bildung und Beseitigung von freien Radikalen beeinflussen. Das Cytochrom-P450-System wird als bedeutende Quelle für die Bildung von Sauerstoffradikalen beim Einsatz zahlreicher Medikamente betrachtet. Ausgehend von dem aktuellen Verbrauch an Pharmaka zur Behandlung vor allem chronischer Erkrankungen wie arterielle Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und chronischer Schmerzzustände unterschiedlicher Genese kann der Radikalbildung in Cytochrom-P450-abhängigen Reaktionen für größere Gruppen der Bevölkerung Bedeutung beigemessen werden.

Die aktivierte NADPH-Oxidase der Membran von Phagozyten ist eine bedeutsame Quelle freier Radikale. Wenn neutrophile Granulozyten und Makrophagen durch inflammatorische Mediatoren stimuliert werden, kommt es zum sogenannten respiratory burst. Da die Myeloperoxidase, ein lysosomales Enzym der neutrophilen Granulozyten, in der Lage ist, die Bildung von unterchloriger Säure, Singluett-Sauerstoff und langlebiger Chloramin-Verbindungen zu katalysieren, können von diesen Produkten abgeleitete spezifische freie Radikale zusätzlich im Gewebe entstehen. Untersuchungen zur Metabolisierung der Arachidonsäure über die Cyclooxygenase und die Lipoxygenase zeigten, daß in oder ausgehend von diesen Stoffwechselwegen Peroxy-Verbindungen und Hydroxylradikale gebildet werden.

Daß ionisierende Strahlung, Röntgenstrahlen und kosmische Strahlung, aber auch UV-Strahlung zur Radikalbildung in biologischen Geweben führt, ist seit langem bekannt. Exposition gegenüber solchen Strahlen ist mit einem erhöhten Risiko gesundheitlicher Schäden verbunden, wobei die Zellen der Haut primär betroffen sind. Andererseits ist die medizinische Nutzung von UV-B- und UV-A-Strahlung aus der Therapie von dermatologischen Erkrankungen nicht mehr wegzudenken, zum Beispiel bei schweren Formen der Akne, bei der Psoriasis und bestimmten Ekzemformen.

Die Effizienz der therapeutischen (und prophylaktischen) Beeinflussung der Radikalbildung im menschlichen Organismus ist um so höher, je bedeutsamer die Radikalquellen sind, die beeinflußt werden. Die pharmakologischen Strategien sind deshalb in der Regel auf die genannten quantitativ wichtigsten Radikalquellen ausgerichtet. Somit sind nicht nur Pharmaka mit Radikalfängereigenschaften gemeint, sondern vor allem Pharmaka, die direkt oder indirekt die Radikalquellen einschränken. Dazu gehören die Hemmstoffe des Purinendabbaus Allopurinol und Oxipurinol, durchblutungsfördernde Pharmaka, die die Häufigkeit und Schwere von Ischämie/Reperfusions-Episoden verringern sollen, Antiphlogistika, aber auch Corticoide, die Einfluß auf die Neutrophilen-Aktivität haben, Hemmstoffe des Arachidonsäure-Metabolismus oder Eisen/Metall-komplexierende Verbindungen. Einige solcher Verbindungen haben zusätzlich radikalfangende Eigenschaften.

Eine pharmakologische Strategie besteht in der Vernichtung der ROS durch Radikalfänger und Antioxidantien wie Vitamin C, Vitamin E oder SH-Donatoren wie Glutathion oder Acetylcystein. Diese Substanzen werden mit präventivem oder therapeutischem Ziel breit angewendet und zunehmend populärer. Eine deutliche Neuroprotektion konnte in verschiedenen Modellen der cerebralen Ischämie mit Dihydroliponsäure, einem endogenen Dithiol, nachgewiesen werden. Die Anwendung des Pharmakons bei der diabetischen Polyneuropathie ist bekannt.

Ein großes, erst in geringem Maße genutztes Potential hinsichtlich radikalfangender und antioxidativer Eigenschaften bieten auch natürliche Bestandteile von Nahrungsmitteln und andere Naturstoffe.

Werner G. Siems, Bad Harzburg, Olaf Sommerburg, Heidelberg, Horst Mayer, Berlin, und Tilman Grune, Berlin
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