Titel
Dank der
immunsuppressiven Therapie ist die Lebenserwartung der
Patienten nach Organtransplantation deutlich gestiegen.
Auch Menschen mit schweren entzündlichen
Autoimmunkrankheiten wie nekrotisierenden Vaskulitiden
oder systemischem Lupus erythematodes (SLE) profitieren
von den Medikamenten. Diese hemmen oder dämpfen eine
übersteigerte Immunantwort; damit verhindern sie
Abstoßungskrisen nach der Transplantation oder eine
überschießende pathologische Immunantwort bei den
Autoimmun- oder Systemerkrankungen.
Die Arzneistoffe hemmen die zelluläre oder
humorale Antwort durch Einwirkung auf T- oder
B-Lymphozyten. Am effektivsten ist die Immunsuppression,
wenn sie zu einem möglichst frühen Zeitpunkt der
Immunantwort erfolgt. Daher beginnt man in der
Transplantationsmedizin bereits ein bis zwei Tage vor der
Operation mit einer hochdosierten immunsuppressiven
Therapie. Eine konsequente lebenslange Gabe von niedrigen
Dosen schließt sich an. Bei den Autoimmunerkrankungen
ist die Prophylaxe meist nicht möglich; hier wird die
überschießende Immunantwort medikamentös reguliert.
Von den physikalischen Methoden hat sich bei den
genannten Indikationen nur die Plasmapherese
durchgesetzt. Dabei werden antikörperhaltige
Eiweißfraktionen im Plasma durch Filter von den
zellulären Blutbestandteilen getrennt und aus dem
Körper entfernt. Das Verfahren hat sich besonders bei
akuten lebens- oder organbedrohenden Schüben einiger
Autoimmunerkrankungen wie der SLE-Nephritis bewährt.
Medikamentöse Therapie
Die Immunsuppressiva werden in vier Gruppen
unterteilt. Obwohl alle Wirkstoffe das gesamte
Immunsystem meist nachhaltig unterdrücken, treten
Komplikationen wie erhöhte Infektanfälligkeit und
gesteigerte Neoplasie-Inzidenz bei jeder Substanz
individuell und nach Dosis und Therapiedauer
unterschiedlich häufig auf.
Glucocorticoide wirken immunsuppressiv durch
Einwirkung auf Lymphozyten: Es kommt zu Zelltod,
Zellumverteilung und Funktionsänderungen. So erleiden
alterierte B-Lymphozyten bei Erkrankungen des
lymphatischen Systems, zum Beispiel bei chronisch
lymphatischer Leukämie oder akuter
Lymphoblastenleukämie, dosisabhängig eine Zytolyse.
Durch Zellumverteilung ändert sich die intravasale
Zellzahl; entscheidend ist die Lymphozytopenie durch
Abwandern der Lymphozyten ins Knochenmark und in die
lymphatischen Gewebe. Dabei fällt besonders die Zahl der
T-Lymphozyten ab. Außerdem kommt es zu
Funktionsverlusten; Makrophagen und neutrophile
Granulozyten werden gehemmt, die Aktivierung von
T-Helfer- und T-Suppressorzellen unterdrückt. Meist
werden Glucocorticoide mit anderen Substanzen, zum
Beispiel zytotoxischen Stoffen oder Cyclosporin-A,
kombiniert.
Zytotoxische Substanzen
Die Zytostatika töten dosisabhängig alle
teilungsfähigen, nicht nur immunkompetente Zellen ab.
Daraus erklären sich die Nebenwirkungen wie gesteigerte
Infektneigung, Knochenmarksuppression, Übelkeit und
Brechreiz, Infertilität und Teratogenität sowie
Kanzerogenität. Zur Immunsuppression verwendet man
deutlich niedrigere Dosen als in der Onkologie. Vier
Substanzen werden bevorzugt: die Alkylantien
Cyclophosphamid und Chlorambucil sowie die
Antimetaboliten Azathioprin und Methotrexat. Die
Antimetaboliten greifen nur in die S-Phase des
Zellzyklus, also in die DNA-Synthese ein. Alkylantien
hemmen vermehrt sich teilende und weniger die ruhenden
Zellen.
Cyclophosphamid wird hochdosiert vorwiegend bei
Knochenmarktransplantierten gegeben, in niedriger Dosis
bei verschiedenen schweren Autoimmunerkrankungen. Seine
Knochenmarkstoxizität ist oft dosisabhängig.
Chlorambucil ist Mittel der Wahl bei der essentiellen
Kryoglobulinämie und der Kälte-Agglutinin-induzierten
hämolytischen Anämie. Verglichen mit Cyclophosphamid
treten weder eine Alopezie noch eine hämorrhagische
Zystitis auf.
Methotrexat hat sich als Low-dose-Basistherapeutikum bei
der rheumatoiden Arthritis etabliert. Häufig wird die
Substanz mit einer Low-dose-Glucocorticoidgabe
kombiniert. Azathioprin wird zu Beginn der
Transplantation häufig noch mit Corticoiden oder
Cyclosporin-A kombiniert, später aber möglichst
abgesetzt. Erfolgreich ist es bei vielen
Autoimmunkrankheiten; gefürchtet ist eine
Agranulozytose.
Selektive Immunsuppressiva
Pilzderivate wie Cyclosporin-A und Tacrolimus
hemmen selektiv die T-Helfer-Lymphozyten. Sie
unterdrücken die Interleukin-2-Synthese in diesen Zellen
und damit die frühe Immunantwort. Mycophenolatmofetil
hemmt als Antimetabolit die Proliferation von T- und
B-Lymphozyten. Cyclosporin-A ist derzeit das wichtigste
Immunsuppressivum in der Transplantationsmedizin. Häufig
wird die Therapie nach anfänglicher Kombination mit
Glucocorticoiden, Azathioprin oder Antithymozytensera als
Monotherapie fortgesetzt. Die Low-dose-Therapie wird
zunehmend bei entzündlichen Systemerkrankungen
eingesetzt. Auch corticoidpflichtiges Asthma gilt in
besonderen Fällen als neue Indikation.
Antikörper
Tierische polyklonale Antikörper erreichen
meist eine starke unselektive Immunsuppression. Sie
werden besonders bei der akuten Transplantatabstoßung
und der aplastischen Anämie eingesetzt. Man verwendet
Antikörper gegen menschliche Thymus- und
Lymphozytenbestandteile. Polyklonale menschliche
Antikörper werden gut vertragen und bei verschiedenen
Autoimmunerkrankungen eingesetzt. Eine noch selektivere
Hemmung von Entzündungsmediatoren oder humoralen
Faktoren wird derzeit experimentell und in
Patientenstudien untersucht. Dazu werden monoklonale
chimäre Antikörper gegen Interleukine, zellständige
Rezeptoren, Zelloberflächen- und Endothelzellstrukturen
entwickelt.
Die monoklonalen Antikörper zeigen teilweise auch
immunstimulierende Effekte; daher spricht man heute eher
von Immunmodulation. Neue Präparate im Sinne von echten
Immunmodulatoren werden gegenwärtig entwickelt, zum
Beispiel Tenidap oder Leflunomid. Trotz der
überzeugenden Erfolge der etablierten Immunsuppressiva
sind eine exakte Grundlagenforschung zum Wirkmechanismus
und kontrollierte Patientenstudien zur korrekten
Dosisfindung unerläßlich.
PZ-Titel von Dr. Hans Hatz, München
© 1996 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de